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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0030

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werde, weil ihn noch niemand gelesen habe, und daß sein
Werk ein „salmigondis", ein zusammengestoppeltes Gewäsch
sei.')
Welchen Sinn dieses Gewäsch habe, suchte er nicht zu
erforschen. Er bewunderte einige Verse, die er melodisch und
eines Tasso oder Ariosto würdig fand, das Uebrige hielt er
nicht für würdig gelesen zu werden.-) Der große Dante, der
wie der Prophet Jesaias sein Volk mit Flammenworten gei-
ßelte, der stets den Blick nach oben richtend auf Erden ging,
dem der Haß noch mehr als die Liebe begeisterte Lieder ein-
gab, war zu hehr, zu edel, als daß ihn der Sohn des entarteten
achtzehnten Jahrhunderts hätte begreifen können. Seine schwär-
merische Liebe zu Beafrice war für den Sänger der Pucelle un-
verständlich. Seine Philosophie, in der sich die Bilder der
Apocalypse und die Träumereien Plato's mit der Weisheit des
Aristoteles zu einem wunderbar mystischen Ganzen verwoben,
entlockte ihm nur ein spöttisches Lächeln. Er däuchte sich ja
so groß, so unfehlbar, der geistreiche Voltaire! War er nicht
der berühmteste Mann eines ganzen Jahrhunderts? Hatte er
nicht den Schleier der Geschichte gelüftet und den Irrthum
und die Lüge niedergetreten? Was kümmerte ihn der Florentiner
Träumer mit seiner mittelalterlichen Weltweisheit? Am lieb-
hätte er ihn todtgeschwiegen; aber er hielt es für seine Pflicht,
ihn seinen Mitmenschen zu entlarven; er hatte schon den Ho-
mer als einen Barbaren und Shakespeare als einen Bänkel-
sänger gebrandmarkt; er wollte auch beweisen, daß Dante
nur ein Narr gewesen.

Goethes hundertdreißigster Geburtstag und
die französische Literatur.
Zur Feier des hundertdreißigsten Geburtstags Goethes ist
soeben eine kleine Schrift von Dr. E. W. Sabell veröffentlicht
worden.3) Es ist nicht meine Absicht, die Leser dieses Blattes
in dieses Buch einzuführen, das einige interessante Beiträge
zur Faustliteratur enthält; ich will bescheiden an seinem Ein-
gänge stehen bleiben und nur einen Blick in das Vorwort wer-
fen, das ihm der Verfasser voran geschickt hat.
Man sollte glauben, daß eine Festschrift, zumal eine Fest-
schrift zu Ehren Goethes, mit einigen würdevollen Worten

*) Voltaire, Dictionnaire philosophique. Le Dante.
O Voltaire, Essai sur les moeurs et l'esprit des nations. Chap. LXXXI1.
3) Zu Goethe's hundertdreiüigstem Geburtstag. Festscchrift zum 28. August
1879 von Dr. Eduard W. Sabell. Heilbronn 1879. gr. 8°.
 
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