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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 156/157 (April 1913)
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Scheerbart, Paul: Herr Kammerdiener Kneetschke: Eine Kammerdiener-Tragödie in fünf Aufzügen
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Lotz, Ernst Wilhelm: Gedichte
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [1]: Ein Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0017

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Kneetscke: Frechheit und Ehre sind zwei

ganz verschiedene Begriffe.

Wladimir: Kneetschke, Sie sollten Rebellen-
general werden.

Kneetschke: Das wird nie geschehen!
Wladimir: Es wäre aber im Interesse aller Fa-
milien, die mit den Patzigs verwandt sind, sehr
erwünscht.

Kneetschke: Warum?

Wladimir: Weils immer gut ist, wenn der
größte Esel — unsere Feinde — anführt.
Kneetschke: Mich werden Sie niemals an-
führen, Durchlaucht! Ich bin ein ehrenfester
Mann.

Wladimir: Sie sind der größte Esel von ganz

Europa.

Kneetschke: Immer noch besser als ein
Falschmünzer — und auch besser als diejenigen,
die anonyme Karten schreiben.

Wladimir: Kneetschke, ich erwürge dich, du
Hund!

Kathi (von links): Wladimir! Wladimir! Lade
bloß keinen Mord auf dein Gewissen.
Wladimir: Kathi! (Dreht sich rasch um und
küßt sie.)

Kathi: Uebrigens, Kneetschke! Ich will Ihnen
was sagen: nicht Wladimir hat die Karte mit
dem Esel geschrieben — ich war’s.
Kneetschke: Ha! Das ist was anderes! Also
eine echte Patzig hat ich herabgelassen, einem
Kammerdiener — eine — offene — Postkarte —
zu — schreiben.

Kathi: Jawollja! Und jetzt denkt der Kammer-
diener, eine echte Patzig wird sich seinetwegen
das Leben nehmen. Zum Schießen!
Wladimir: Zum Totschießen! (Beide lachen.

Kneetschke zieht sein Taschentuch)
Kneetschke: 0 Schmach! O Schande!

Die reinmachenden Domestiken verschwinden
nach und nach — nehmen aber nur Schrubber
und Besen mit.

Der Papa und die Mama kommen.

Papa: Welch ein Lärm ist das hier wieder?!

M a m a: Dieser Kneetschke!

Kathi: Mama, ich soll mich durchaus totschießen!
M ama: Aber Kind, benimm dich doch anständig!
Papa: Kneetschke, ich muß Ihnen jetzt in allem
Ernste verbieten, diese Tausendmarkscheine
auch noch fernerhin aufzubauschen.

Wladimir: Die Geschichte ist ja einfach

lächerlich.

Papa: Selbstverständlich! Die Banknoten sind
ja nicht für den öffentlichen Verkehr bestimmt.
Ich habe mit meinem Rechtsanwalt darüber ge-
sprochen und der Mann bekam einen Lach-
krampf.

Kathi: Der Aermste!

Mama: Ist er schon außer Gefahr!

Papa: Er liegt noch zu Bett!

Wladimir: Kneetschke sollte sich auch zu Bett
legen — das wäre das Vernünftigste.
Kneetschke: Sie haben beinahe Recht, Durch-
laucht! Aber ich brauche ein sehr großes Bett!
Wladimir: Was wollen Sie damit sagen?
Kneetschke: Die große Erde, auf der ich so
lange lebte — die soll mein Bett sein.

M ama: Nehm Er sich die Sache doch nicht so zu
Herzen.

Kathi: Die Geschichte ist ja lächerlich
Kneetschke: Wohl mag heutzutage die Ehr-
lichkeit eine lächerliche Sache geworden sein.
Aber ich kann da nicht mehr mit. Der Betrug
der Familie Patzig will doch — eine Sühne haben.
Papa: Donnerwetter, Kneetschke! Jetzt mach
Er, daß Er fortkommt!

Kneetschke: Ja. das will ich! Und vielleicht

ist mein Fortgang eine Sühne für die Schandtaten
der Familie Patzig.

Wladimir: Verfluchter Hund! (Will Kneetschke
schlagen, Kathi fällt ihm aber in den Arm.)

Kneetschke: Europa lebe wohl! (Er stößt sich
einen langen Dolch ins Herz und fällt zu Boden.)
Die Mama und Kathi fallen in Ohnmacht, die
beiden Männer wissen nicht, um wen sie sich
zuerst bemühen sollen. Während dann Wla-
dimir dem Kneetschke den Dolch aus der
Wunde zieht, erscheint links der Geist des
Großvaters Patzig mit einem Lorbeerkranz in
der Hand, legt diesen auf das Haupt des Ster-
benden und geht langsam rechts ab, während
Wladimir und der Papa starr vor Entsetzen
mit offenem Munde dem Gespenste nach-
starren und die Frauen langsam aus ihrer Ohn-
macht erwachen, ohne die Szene zu begreifen.
Weibliche Domestiken ziehen vorne mit Hilfe
von Schrubbern und Besen die Gardine zu, vor
der langsam ein Tausendmarkschein aus der
Höhe herunterfällt.

Ende der Kammerdiener-Tragödie

Gedichte

Die Haide-Touristen

Sie liegen wie gemäht im Haidekraut
In ihren Köpfen stecken kurze Pfeifen.

Rauch quillt. Verweht. — Ein harter Mittag blaut;
Licht glüht herab in breiten Strahlenstreifen.

Einer sitzt wach mit vorgestrecktem Haupt.

In seinem Schoß blinkt eine Mandoline.

Sein Blick stößt vor, daß er der Landschaft raubt
Ein braunes Lied, das seiner Sehnsucht diene.

Um ihn die Schläfer träumen von der Stadt.

Der Traum warf sie zurück in ihre Zinnen,

Ins Trübe, das sie sonst umdiistert hat.

Die helle Haide sank von ihren Sinnen.

Doch jeder hat sein Mädchen dort. Das brennt
Jetzt rötlich auf in ihren müden Hirnen.

Und der, der einsam wacht und sieht, erkennt,

Das kleine Licht auf ihren braunen Stirnen.

Und stark in gelbe Ferne späht er wieder.

Schwül wogt sein Blut und trübt ihm sein Gesicht.
Hell auf den Höhen stehen viele Lieder.

Doch er ist sehnsuchtsblind und sieht sie nicht.

Die Mandoline blinkt auf seinen Knien

Noch stumm und wartend, da die andern wachen.

Ujid langsam folgt er, als sie weiterziehn.

Und sonderbar tönt ihm ihr gutes Lachen.

Musik

Im Wasgenwald tönte der Abendwind.

Ich ging in Straßburgs Sommerstraßen.

Vom Wasgenwald wehte Musik über Dächern,
Daß alle die Giebel und blanke Zinken
Erglühend zitterten.

Ums Münster aber war die Luft von Purpur.
Hier, auf den Flügeln des Westes herüberge-
kommen,

Hier sank das Lied der rot erstaunten Wälder
Herab, hier wo Musik in Steinen wohnt.

Ihr großen Wälder mit den alten Stämmen
Und Felsen, rauh gezackt, dämmernde Dörfer,

So tief versenkt in roter Nebel Flut,

Und Wohlgerüche, die der Abend atmet.

Also voll Süße war das Spiel der Lüfte,

Daß ich, nachlauschend dem Verklungenen,

Hier mitten im bunten Kreisen der Stadt -—

Nur unter Tannen schritt, die seltsam wogen.

Nur Büsche glühen sah und Johanniswürmer
Und vor mir, der ich folgte, solch ein Mädchen,
Das wie aus Tau gebaut war.

Und fern ein Licht, mein Haus, darin ich feiern

würde

Ein Fest der Sommerliebe bei rotem Wein
Und leisem Geigenstreichen.

Ja, deine Lippen dufteten so nach Harz
Und feuchten Gräsern, die ein Reh zerknickt.

Ja, du warst süß und berauschend wie das Lied,
Das von den rot geschauten Bergen vorhin
In meine Adern gezittert ist.

Ernst Wilhelm Lotz

Die Sehwermut des
Genießers

Fortsetzung

Ein Roman ,

Von Arthur Babillotte

Wer ihn in diesen Monaten sah, hielt ihn für
schwindsüchtig und redete von seinem baldigen
Tode. Alle waren des Glaubens, dies sei das Erb-
teil seiner Mutter, der Tribut, den er der Natur
entrichten mußte, und der für ihn schwerer und
schmerzlicher war als für die, deren Mütter ihre
Kinder gesund und fröhlich empfangen. Selbst
der Vater hielt ihn für verloren und beschloß, ihm
seinen Wunsch zu erfüllen, da er ihn für den
letzten großen Wunsch des Knaben hielt. Johannes
selbst wußte, daß sein Körper durch und durch ge-
sund sei; es schmerzte ihn, wenn er hören mußte,
wie die Menschen davon sprachen, daß seine Mut-
ter die Schuld an seinem Untergange trage. Aber
wenn er die zarte Frau gegen diese Reden ver-
teidigen wollte, vermochte er es nicht, bevor er
nicht die Pracht der blauen Stunde erlebt hatte.
Und sobald ihn diese Pracht wieder umfing, wußte
er, daß es dennoch jene zarte Frau mit dem Dul-
dergesicht sei, die langsam seine Seele mit ihren
unheimlich süßen Melodien in sich hinübersauge und
ihn so dem Untergange preisgäbe. Es war für ihn
ein wollüstiger Schmerz, anhören zu müssen, wie
sie seine reiche Mutter anklagten, und nicht im-
stande zu sein, die Heißgeliebte zu verteidigen.
Schon in seinen jungen Jahren trat die Freude am
Gegensätzlichen in seiner Seele stark hervor.

So kam der Tag, an dem ihn der Vater seinen
großen Wunsch erfüllte, den Wunsch, ganz ein
Musiker werden zu können.

Ich tue es schweren Herzens, Johannes, sagte
er. Alle meine Vorfahren waren Gutsbesitzer, die
ihre Güter selbst bewirtschafteten, oder aber Offi-
ziere, die im Dienst Ihres Königs für die Ehre und
das Blühen des Vaterlandes lebten.

Vor allem fiel es ihm schwer, diesen Wunsch
zu erfüllen, weil er selbst ganz unmusikalisch war
und nicht begreifen konnte, daß einem Menschen
die Musik Lebenszweck sein könne. Er hatte nie
die Künstlerschaft seiner Gattin zu würdigen ge-
wußt und ihre Musik stes nur als Unterhaltung
und Schutz vor der Langeweile in untätigen Stun-

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