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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 160/161 (Mai 1913)
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Walden, Herwarth: Arno Holz
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Benn, Gottfried: Gedichte
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Zech, Paul: Das Baalsopfer
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0029

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Arno Holz

In diesen Sätzen (aus der Vorrede zu „Igno-
rabimus“) sagt Arno Holz seine unsterblichen
Verdienste um die Kunst und um die Künstler so
knapp, daß Zu-Sätze es nicht erweitern können:

Jede Wortkunst, Lyrik wie Drama — vom
schlapp gewordenen „Epos“, vom Roman, der stets
eine Zwitterform war, wie er stets, die betreffenden
Gründe gab ich anderswo, eine solche bleiben
wird, ebenso vom sogenannten Prosadrama, das
sich mir heute, trotz seinem letzten Großen, Ibsen,
nur als eine bloße Auflösung spiegelt, sehe ich hier
ausdrücklich ab — jede Wortkunst, von frühester
Urzeit bis auf unsere Tage, war, als auf ihrem
letzten, tiefuntenstehenden Formprinzip, auf Me-
trik gegründet. Die Metrik zerbrach ich und setzte
dafür ihr genau diametrales Gegenteil. Nämlich
Rhytmik. Das heißt: permanente, sich immer
wieder aus den Dingen neu gebärende, kompli-
zierteste Notwendigkeit, statt, wie bisher, primi-
tiver, mit den Dingen nie, oder nur höchstens ab
und zu, nachträglich und wie durch Zufall, koin-
zidierender Willkür!

Das klingt sehr simpel und hört sich „wie nichts
an“, etwa ähnlich, wie die Umkehrung des Satzes,
die Sonne dreht sich nicht um die Erde, sondern
die Erde um die Sonne, von dem heute, rund drei-
einhalbhundert Jahre nachdem Kopernikus tot ist,
jeder sozusagen bessre Esel sich einbildet, er; hätte
sich diesen kleinen Scherz, von dem so viel Auf-
hebens gemacht wird, ebenso leisten können, wird
aber in seinen Folgen, und zwar nicht bloß für uns
und unsre Literatur, sondern auch für alle übrigen,
die es ebenso befreien wird, genau so unvergäng-
lich bleiben, wie es, auf ihrem Gebiet, die Tat des
Frauenburger Domherrn bleiben wird.

Lyrik und Drama — bereits bei der „Sonnen-
finsternis“ war mir das aufgegangen, aber erst
durch das „Ignorabimus“ ist mir heute Gewißheit
— haben sich formal wieder zu einer Einheit ge-
schlossen! Demselben rhytmischen Notwendig-
keitsorganismus, den jedes mir geglückte „Phan-
tasus-Gedicht darstellt, nur noch entsprechend dif-
ferenzierter, bilden jetzt auch diese Tragödien!
Meine Arbeit, die mit diesem, ihrem ersten Iiaupt-
und konstruktiven Teil hinter mir liegt, war eine
mühevoll lange, die Hemmnisse und Schwierig-
keiten, die sich mir entgegengestellt, innre, wie
äußre, schienen mir oft die denkbar niederdrückend-
sten, unüberwindbarsten, aber ich habe sie bewäl-
tigt und brauche daher mein Leben, das ich an
diese Aufgabe gesetzt, nicht zu bereuen!

Statt Metrik Rhytmik. Mögen es die Künstler
aller Künste endlich merken, sich merken!

H. W.

Gedichte

Kur-Konzert

Ueber Krüppel und Badeproleten,

Sonnenschirme, Schoßhunde, Boas,

Ueber das Herbstmeer und das Grieg — lied:

Ob Iris kommt?

Sie friert. Der kleine graue Stock in ihrer Hand
Friert mit. Wird klein. Will tiefer in die Hand.

Die Glockenblumen in den Shawl gebunden,

Das weiße Kreuz aus Scheitel und aus Zähnen
Liegt, wenn du lachst, so süß in deinem Braun!

Du steiles, weißes Land! 0 Marmorlicht!

Du rauschst so an mein Blut. Du helle Bucht!

Die große Müdigkeit der Schulterblätter!

Die Zärtlichkeit des Rockes um ihr Knie!

Du rosa Staub! Du Ufer mit Libellen!

Du, von den Flächen einer Schale steigend.

Im Veilche'nschurz. Von Brüsten laut umblüht!

0 Herbst und Heimkehr über diesem Meer!

Die Gärten sinken um. Machtloser grauer Strand,
Kein Boot, kein Segel geht.

Wer nimmt mich winters auf?!

Aus soviel Fernen zusammengeweht,

Auf soviel Sternen neugeboren
Bis vor dies Ufer: — Iris geht.

Untergrundbahn.

Die weichen Schauer. Blütenfrühe. Wie

Aus warmen Fellen kommt es aus den Wäldern.

Ein Rot schwärmt auf. Das große Blut steigt an.

Durch all den Frühling kommt die fremde Frau.
Der Strumpf am Spann ist da. Doch wo er endet,
Ist weit von mir. Ich schluchze auf der Schwelle:
Laues geblühe. Fremde Feuchtigkeiten.

O wie ihr Mund die laue Luft verpraßtk
Du Rosen — hirn, Meer — blut, du Höherzwielicht,
Du Erdenbeet, wie strömen deine Hüften
So kühl den Hauch hervor, in dem du gehst!

Dunkel: nun lebt es unter ihren Kleidern:

Nur weißes Tier. Gelöst und stummer Duft.

Ein armer Hirnhund. Schwer mit Gott behängen.
Ich bin der Stirn so satt. O ein Gerüste
Von Blütenkolben löste sanft sie ab
Und schwellte mit und schauerte und triefte.

So losgelöst. So müde. Ich will wandern.

Blutlos die Wege. Lieder aus den Gärten.
Schatten und Sintflut. Fernes Glück: ein Sterben
Hin in des Meers erlösend tiefes Blau.

Gottfried Benn

Das Baalsopfer

Von Paul Zech

Oh, das Unglück! Oh, das Unglück!

Wie ein dichtes Schneegestöber fuhr dieses
flockige Rufen über das Dorf, immer wenn der
schwarze Baal die roten Fangarme durch den
Schacht gestoßen hatte und von jenen Männern,
die ihr Bündel heiler Knochen Tag für Tag auf
die blutrostigen Böden der Förderschale legten,
sich irgend einen, oder ein Dutzend oder Hundert
auswählte zum Fraß und den erst wieder von sich
gab wie einen ausgedörrten Kothaufen.

Oh, das Unglück! Oh, das Unglück.

Und die Witwen in schwarzverlogenen Gewand
der Trauer, die diesen Ruf gleichgültig hinausmur-
melten wie den Perlenfall des Rosenkranzes, zer-
drückten in der Linken das Taschentuch und wogen
in der Rechten den Goldklumpen der Unfall-
prämie. Sie wogen und prahlten bis das Gleißende
zum Glück wurde für den neuen Gemahl aus der
Reihe der Schlafburschen.

Und dann schickten die neuen Müttergewor-
denen ihre Söhne in den Schacht hinunter. Und
es dünkte ihnen eine große unverdiente Gnade,
wenn der Grubendirektor Brot gab für die hung-
rigen Mäuler. Denn der Schatten des Hungers
lag wuchtender auf den paar aussätzigen Hütten

am Fluß, als der hagelwolkige Vorübergang einer
Katastrophe, die doch nur die Fenster zum Klirren
brachte und ein paar Gänge zum Kirchhof mehr.

Niemand im Dorf glaubte an die Brandopfer-
gier des Baals. Kein Gatte, Sohn, Bräutigam,
Kostgänger war ihnen ein dem Baal Geweihter.
Vorbestimmt war diesen nur jenes sanfte Hin-
überschlummern zwischen den Kissen des Ehe-
bettes. Aller Tod, der anders kam, war ein Un-
glück. Oder ein Zufall, wie die Aufgeklärten
meinten.

Und die, die auf das Kreuz des Alltags genagelt,
hinunterfuhren in die verfluchten Bezirke des
Frohnes, und Station an Station durchwanderten,
da einen Arm, dort ein Bein ließen, fürchteten den
Hunger maßloser als die fünf Bretter des Sarges.
Nicht einen Augenblick dachten sie bei dem zer-
fetzten Leib eines Kameraden an die Möglichkeit,
an gleicher Stelle zu liegen. Heute oder morgen.
Oh, ein Unglück. Ein Unglück. Nichts weiter.

Und das Opfer in den hakigen Klauen des
Baals, reißt es nicht das Maul auf zum Schrei:
„Oh ihr Brüder: das Unglück. Das Unglück!“

Und die diesen Schrei hören, sind sie nicht ein
furchtbares Echo, das das Bersten und Krache«
der Planken übertönt wie ein Orkan?

Aber alle, die es auffangen dort oben im weißen
Dunst des Tages, blasen es weiter in die stumpfe
Melodie des Trauermarsches: oh das Unglück!
Das Unglück!

Das schnurrt der Pfaffe am Massengrab nach.
Die Mütter und Witwen und Töchter verdrehen
die Augen, die nicht weinen wollen und krümmen
die Rücken ein paar Tage lang. Dann e'ntklafft
ihrem Schoß ein Neues und wird Unglück, das sie
nicht wissen wollen.

Und doch war einer in dieses Dorf gekommen,
den man allsogieich zum Opfer bestimmte. Ob-
wohl er das Schandmal des Unglücks an der Stirn
trug wie eine aufgebrochene Schwäre, bekam er
seinen Tod zugewiesen. Und die, die ihn hielt,
war nicht untertänig wie Abraham, da er Isaak
opfern ging. Das brachte ihn nun in eine allzu
schiefe Stellung zu den wichtigsten Dingen dieses
Lebens, wiewohl seine Mutter dagegen ankämpfte
mit den Instinkten eines Raubtiers.

Schon daß Frederik als eine Frühgeburt just ia
dem Augenblick zur Welt kam, da man seinen Er-
zeuger ins Haus brachte: schwarz, entstellt und
rotgeschunden, gab ihm eine Sonderstellung in-
mitten des großen Haufens.

Und dieser unabgestempelte Vater hinterließ
ihm nicht einmal seinen Namen. Denn die Hoch-
zeit, die jene zwei, die sich erkannt hatten, zu-
sammenkoppeln sollte nach dem Gesetz, stand vier
Wochen nach dem Unglücksfalle' an. Einen Toten
mit einer Lebenden zu verbinden, war derzeit noch
nicht gestattet.

Das zerstach der jungen Mutter das Herz und
sie haßte hinfort den Manu, der solches herauf-
beschworen hatte. Sie haßte diesen Mann über
das Grab hinaus und sie haßte seine Hantierung.

Sie gab dem Jungen die Brust und harte Pell-
kartoffeln, die sie dem Amtmann stahl, bei dem sie
bedienstet war.

Und sie übertrug auf den Bastard alle Zärtlich-
keiten, die sie Israel, dem Geliebten, schuldig ge-
blieben war.

Fredrik wuchs auf wie die anderen Würmchen,
trotzdem die hohe Obrigkeit Schwierigkeiten
machte, ihm die Türchen ins Dasein zu versperren.

Tags war er im Spital bei der Muhme. Und
die alten Klatschmühlen, die mit auf der Stube
waren, rissen ihn dutzendmal aus der Wiege und
betasteten den Körper, um irgend etwas Beson-
deres zu entdecken. Denn daß Fredrik dem Vater

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