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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 186/187 (November 1913)
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Hello, Ernest: Hello: Das goldene Kalb
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0134

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Judäa und Petrus der Fischer wirft seine Netze:
das Heidentum wimmelt allüberall. Doch acht-
zehnhundert Jahre nach Petrus, dem Fischer,
kann ich nicht sagen: Blicket nach China, auf
seine Götter aus Stein oder Metall, sondern ich
muß sagen: Blicken wir, wohin wir wollen, über
die Erde, und wir werden sehn, was wir am Fuße
des Sinai gesehn haben: das goldne Kalb.

III

Der heilige Petrus, in der gedrängten l iefe
seines so reichen Wortes, hat das goldne Unge-
tüm dort aufgetrieben, wo es ist. Der heilige Pau-
lus, der Augenwelt und Abgrundwunder äußerst
unvermutet ineinandertauscht; er, der ein Wesen
mit einem Worte behandelt und, schon unterwegs
zu Neuem, nie länger weilt, nicht länger als etwa
ein Schreiber braucht, um zwischen zwei Satz-
glieder einen Beistrich zu senken; der heilige
Paulus trifft ihn wörtlich, den Götzen der Neuzeit:
er nennt ihn den Geiz.

Die Liebe zum Geld ist eine Abgötterei, auf die
hinzuweisen um so verdienstlicher wäre als sie
sich verkleidet darstellt.

Sie hat zwei Seiten: die Begierde und den
Geiz. Man spricht oft von Geldgier. Man spricht
selten vom eigentlichen Geiz; und doch ist der
Unterschied groß.

Die Leute stutzen, wenn sie der Gier begeg-
nen, denn die Gier ist aufrührerisch und gellend.
Sie zeigt unverhüllte Leidenschaften, betreibt Ge-
schäfte, hat ein Ziel; sie will mehr haben als sie
hat, und dann noch mehr und immer wieder mehr!
Das erregt Aufsehn, oft Angst: man ist bedroht.
Denn wer die Welt in Bewegung setzt, um genug
zu haben, genug Ehre oder genug Geld, gefährdet
sich und die andern, an ihrer beiden Erzruh oder
auch nur an ihrem Lügenschlaf. So fällt er auf;
aber nicht, daß die Leute, fest überzeugt, die
Weisheit bestünde im Nichtstun, ihm nun den
Mißbrauch seiner Tätigkeit verübelten, nein, seine
Tätigkeit selbst überhäufen sie mit Vorwürfen.
Und gerade dadurch bieten sie dem Laster unter
dem Schirmdach der Tat einen Schutz.

Gier wie Ehrsucht schaffen offenbar; aber der
Geiz hütet sein Geheimnis. Ihms zu entreißen,
wäre nicht schade.

Fast alle Leidenschaften haben ihr eignes Ge-
sicht; es hindert sie zumeist, verbietet ihnen, un-
bemerkt vorbeizugleiten. Sie eröffnen sich den
Augen dessen, der sie erleidet, wie dem, der sie
beobachtet; ihr Tonfall, ihr Mienenspiel rufen
ihren Namen. Irrtum, gewiß, geschieht leicht und
häufig. Jedoch wenn der Zorn einen Menschen
im Sturme nimmt, werden er und seine Umgebung
rnühlos sagen, welche Besessenheit ihn ergriffen
hat. Die Leidenschaften bilden am liebsten Rui-
nen, und auf dem Ruinenwerk bleibt die Inschrift
ihres Namens. Die Ehrsucht, einmal befriedigt,
kann sich unmöglich verborgen halten.

Der Geiz beträgt sich anders.

In seinem Grundsatz heimlich ist er es auch
in seinen Wirkungen. Er verlangt keine heftige
Aufwallung, keinen äußern Ausbruch: gleich man-
chen Tugenden sucht er die Dunkelheit. Er ver-
meidet den Auflauf, er strebt zur Sammlung sei-
ner selbst, er verbirgt, er vergräbt, er gibt acht
und verschleudert nicht, er behauptet, daß er ver-
mehre, nicht vernichte. Er leiht sich die Züge und
die Namen der Vorsicht, der Sparsamkeit, der
Weisheit; er spricht etwa von der Sippschaft,
den Kindern, und daß man im Hinblick auf die
Zukunft sich einschränken müsse. Er kann sogar
von Barmherzigkeit reden. Denn wenn er spart,
nicht wahr, spart er doch für irgendwen.

Die andern Leidenschaften weisen, scheint es,

durch ihr ganzes Gehaben geradezu peinlich ge-
nau auf ein elendes Ende. Nur die Habsucht tut,
als führ sie zu einem gescheiten, einem dauerhaf-
ten, aus Geduld und Ueberlegung aufgebauten
Glück. Jedoch am Tage des Zusammenbruchs
wird ein sorgsamer Lauscher das Lachen des
Ungetüms hören, unter den Trümmern das ver-
steckte Kichern: der Geiz war da, ihn hatte nie-
mand beachtet.

Wenn der Mensch sich selbst prüft, erkennt
er die Hauptlaster, deren Namen er weiß, un-
schwer in seiner Seele. Im Kreis der Todsünden
sind einige aufdringlich, andre nicht so sehr. Der
Geiz wird selten bemerkt. Einer kann sein Leb-
tag Geizhals gewesen sein und stirbt, und seines
Geizes ward er nicht inne.

Ueber manche Verbrechen scherzt man;
manche rühmt man mit Stolz. Man scherzt nicht
über den Geiz und rühmt sich nicht seiner, aber
man nährt ihn lange mit dem Herzblut, solange,
bis man tot ist.

Der heimliche Götze ist ein traurig Ding, gräm-
lich, greulich, unheilvoll; dennoch, in die ganz
unterirdischen und innerlichsten Einzelheiten des
Daseins gilt es vorzudringen, will man sein dunk-
les Antlitz erfassen: o dieser Götze heischt von
seinen Gläubigen eine Dauerspende: ununter-

brochen ihr Leben. Er begnügt sich nicht mit
dem Wort; er will ein wirkliches, tatsächliches
Opfer. Er ist ein harter Herr, treibt seine Macht
ms Ungemeßne, und Mitleid ist ihm fremd.

IV

Wie jeder Liebhaber hat auch der Geizige ein
zuinnerst verschwiegenes Vorurteil und verbindet
es mit allem.

Angenommen, einer wäre sanft und anmutig
höflich, wagte weder zu widersprechen noch die
Stimme zu heben. Um nun den Augenblick, wo
sein Abgott sichtbar wird, gerade recht zu ergrei-
fen, muß man ihn in seiner Häuslichkeit über-
raschen. Er selbst sieht diesen Augenblick von
sehr weither kommen, und seine Züge, bis dahin
aus einer Art allgemeiner Gutmütigkeit zusam-
mengezogen, kräuseln sich leichthin und so als ob
man einem den Rand einer frühem Wunde be-
rührte. In ihm das Ungeheuer hat sich bewegt
und hat ihn erschüttert. Dringt man weiter, ant-
wortet das Ungetüm mit einer neuen Bewegung,
einer wenn auch plumpen, doch ganz gewissen,
und obwohl ihn scheinbar nichts Düsteres be-
schäftigt, verdüstern sich des Geizigen Augen.
Die Unterhaltung hält keineswegs bei Wichtigem,
sondern rollt spielerisch tändelnd hin; aber irgend-
wo hat der Geizige in einem Wort, in einem Hauch
die nachbarnahe Bedrohung vernommen: dort, wo
kein andrer das geringste hätte gesehn, hat er sie
erkannt und in seinem Herzen die Regung des
Ungetüms, der Innenlast, deutlich verspürt. Bald
schläft es, bald zehrt es: wenn es schläft, ist der
Geizhals vergrämt; wenn es zehrt, ist er munter.

V

Die andern Leidenschaften sprechen am lieb-
sten von den Menschen oder den Dingen ihres
Gegenstands. Der Geizige liebt das Schweigen.
Kaum wagt er, das Geld mit Namen zu nennen,
,und wenn er es nennt, tut er es nicht, um von
seiner Liebe zu sprechen.

Die Oberflächen lieben die Rede, die Tiefen
das Schweigen.

Die meisten Leidenschaften sind die nach-
ahmenden Zeichen der Oberfläche und schwatzen
mit Vergnügen.

Der Geiz ist das nachahmende Zeichen der
Tiefe; er schweigt mit Leidenschaft.

Der Geizige verbirgt sein Geheimnis nicht nur
den andern, er verbirgt es auch vor sich selbst.
Gern rnöcht er sich über den Ort täuschen, wo
verscharrt ruht, was er anbetet.

Ich wäre nicht erstaunt, wenn der Geizige da-
zu gelangte, sich vor sich selbst wie vor einem
Nebenbuhler, ja wie vor einem Diebe zu fürchten:
so sehr eifersüchtig ist seine Andacht!

Vielleicht sind in ihm zwei Menschen, und einer
wüßte wenig von dem andern. Oft rechnet er
mit Dingen, deren Zahlenwert er seit langem
kennt; zwar hat er die Dinge seiner Berechnun-
gen vor sich, doch mag ihn dieses schrecken: die
einen könnten verschwinden, während er zu den
andern übergeht.

Der Geizige hat gleichzeitig die Angst des
Bürgers und des Abenteurers. Das Geld, das
seine Tage ausfüilt, füllt auch seine Nächte. Das
Geld verheert den Bereich seiner Träume, und er
träumt auch noch im Wachen. Es ist eine furcht-
bare Sache, mitanzusehn, wie sich die Kupier-
stücke einmal der gemeinsten Notdurft und dem
elendsten Stückwerk des Außenlebens vermischen,
eine furchtbare Sache, sie dann ins Innenleben
einlaufen zu sehn, hineinrollen ins Blut der Seele,
und daß sie die Augen in einem verschwärzten
Feuer aufbrennen lassen, die Wangen färben und
die Lippen erbeben machen. Sie haben das Heilig-
tum der Seele verwüstet.

Nun ist alles möglich, selbst seine schauerliche
Andacht.

Im Schweigen der Nacht betet der Geizige an,
was kein Auge faßt.

VI

Jeder Glaube, ob wahr, ob falsch, verlangt
das Opfer. Der Geizige opfert seinem Abgott, er
opfert viel, er opfert alles: er opfert seine Fa-
milie, seine Neigungen, seine Gesundheit, sein
Leben. Wenn andre Begierden sich in ihm begeg-
nen und mit dem Geiz in Streit geraten, ihm un-
bequem sind, ihm widersprechen, dann wird der
Geiz wohl Sieger bleiben.

Das Opfer des Geizigen ist darin schmählich,
daß er stets das Ziel opfert, gleichgültig welches,
zugunsten dessen, was niemals Ziel, immer nur
Mittel sein dürfte. Es ist klar, daß das Geld bloß
einen darstellenden Wert hat; es ist genau so
kostbar, wie die Dinge, die man dafür erwerben
kann. An und für sich taugt es nicht das ge-
ringste. Wer alles Silber und Gold der Welt be-
säße, ohne zugleich die Möglichkeit, es anzuwen-
den, wäre arm wie keiner.

Der Geizige bringt sich in dieses Elend. Er
bietet dem Geld das Opfer des Reichtums. Denn
Reichtum und Geld, weit entfernt, ihm ein und
dasselbe zu sein, sind ihm bloß zwei Ausdrücke
unbedingten Widerspruchs. Je mehr er das Geld
liebt, zu desto größerm Elend verurteilt er sich.
Auf dem Altäre seines Abgotts schlachtet er den
Reichtum. Was ein Mittel war, ist ihm zum
Zweck geworden, alles, was Zweck ist, wird ihm
zum Mittel.

Er betrachtet die Wesen, so lebende wie tote,
als Wege zu einem bestimmten Schwerpunkt;
und dieser Schwerpunkt ist das starre, kalte, nutz-
lose Geld. Dieses Geld ist ihm das Herz des Welt-
alls, und es schlägt nicht, dieses Herz.

Aber nicht nur seinen Reichtum opfert der Gei-
zige dem Geld, das Geld selbst opfert er dem
Gelde. Wenn er, um viel zu verdienen, ein wenig
ausgeben müßte, wird er, mitten im Anfall seiner
Leidenschaft, diese Trennung nicht über sich brin-
gen. Er verzichtet auf das abwesende Geld, so-
viel es auch wäre, zugunsten des gegenwärtigen,
noch so spärlichen. Zugunsten des sichtbaren
Geldes entsagt er dem unsichtbaren.

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