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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 200/201 (Erstes Märzheft)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht, [5]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0192

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tungen recht häufig im Laufe der letzten Wochen
gesehen zu haben!

Er heißt Karl Mumme!“

Glaß schüttelte nachdenklich den Kopf —:
„Nein, das habe ich nicht!“

„Also nicht!“ — fuhr der andere fort, schein-
bar ein wenig enttäuscht —:

„Ja, ich könnte ja an und für sich nur von
Herzen wünschen, daß wir alle zusammen so ver-
nünftig gewesen wären!

Dann könnte es doch vielleicht einmal nach
vielen Jahren möglich sein, zu erreichen, daß sich
die Zeitungen diese abscheuliche Manier, die sie
haben, abgewöhnten — Spalte auf Spalte mit der-
gleichen Gräßlichkeiten anzufüllen!

Eine ekelhafte Angewohnheit, die auf alle Fälle
nur Schaden anriclitejn kann, indem sie das
Publikum entnervt, und zugleich auch dem Ge-
richt den ruhigen Ueberblick erschwert — und
die, bei der Sache, auf die ich hier angjespielt
habe, übrigens auch der eigentliche, treibende
Grund dazu ist . . . daß Sie mich hier heute
überhaupt sehen!“ — Er hatte sich erhoben, stand
jetzt mit gerunzelter Stirn da und strich die
Asche von seiner Zigarette —:

„Nein,“ — fuhr er fort und sah auf, diesmal
mit einem forschenden und freundschaftlichen Blick
die Augen des andern suchend — „ich komme, in
Wahrheit, um Ihnen im voraus einen Wink zu
geben -— das hielt ich für das Richtigste mit
Rücksicht auf die . . . für Sie so delikate Natur
der Sache, wenn Sie verzeihen! Natürlich doch
mit Zustimmung des Richters — und mit der Sei-
ner Exzellenz des Herrn Justizministers, die wir
uns noch heute abend auf telephonischem Wege
verschafft haben.

Ja!

So wie sich die Verhältnisse heute gestaltet
haben, hat man es nämlich für notwendig erachtet,
Sie aufzufordern, sich morgen vormittag gütigst
draußen im Hospital einzufinden, damit die-
ser Karl Mumme mit Ihnen . . . mit Ihnen kon-
frontiert werden kann . . . ja, Sie müssen ent-
schuldigen, wenn das forensische Vokabularium
in meinem Munde vielleicht weniger korrekt an-
gewandt wird.

Sie verstehen —: es liegen gewichtige Gründe
vor zu der Annahme, daß er es ist, von damals,
da drüben .... mit .... Ihrer Frau Gemah-
lin . . .!“

„So, er ist es!

Karl Mumme?!“ — wiederholte Morton, ohne
'es selbst zu wissen. Er saß noch immer in der-
selben Stellung da; mit einem sonderbaren,
gleichsam abwesenden Staunen, beobachtend:
statt diese Mitteilung mit vollkommener Ruhe
äufznnehmen, weil er ja im voraus ihren Inhalt er-
raten hatte und gewußt, daß sie kommen würde —
statt dessen ward er im innersten Innern rätsel-
haft erregt, gerade durch diese Bestätigung sei-
ner Ahnung von vorhin. Er fühlte auf einmal
ein heftiges Zittern, wie eine außerordentlich
schnelle Reihe von kleinen, harten, schmerzenden
Schlägen durch seine Knochen laufen: von den
Lenden bis hinab in beide Füße — und im selben
Augenblick ergriff ihn eine erstickende, eine alles
überwältigende Angst davor, daß dies gewaltsame
Zittern von dem andern beobachtet werden
könnte; deshalb beugte er mit einem unmerk-
lichen Ruck, mit wild hämmerndem Herzen sein
Gesicht ein klein wenig vornüber, starrte atemlos
auf seine Beine hinab; und als er gleich darauf
beobachtete, daß auch nicht das geringste bemerkt
weiden konnte, daß die lange scharfe Falte in den
grauen Beinkleidern rechtlinig und unbewegt wie
vorhin von seinen Stiefeln hinauflief, — erst da

ward er mit einem tiefen Atemzug wieder wenig-
stens teilweise anwesend —:

„Karl Mumme?“ — wiederholte er nochmals,
beschwerlich ein Grübeln vortäuschend, mit klin-
genden Ohren und einem Gefühl tief drinnen in
den Kinnbacken, als würden seine Zähne krei-
schend gegeneinander geschraubt —:

„Ei, ei! So haben sie ihn also doch schließlich
gefangen!“ — und er fuhr fort, noch ohne seine
eigene Stimme vernehmen zu können, seine Ner-
ven iiberanspannend, seine Blicke starr auf das
rechte Auge des andern richtend, darauf loszu-
reden, um seine Beherrschtheit wieder zu er-
langen —:

„Darf ich Sie fragen, Herr von Geer, wie dies
alles denn vor sich gegangen ist?

Wie ist man nur auf den Gedanken gekommen,
daß ... er ... es sein soll?

Woher stammt er?

Wer ist er?“

Der Professor, der am Schreibtisch stand, die
Knöchel der beiden haarigen, kurzen Hände auf
die Platte gestützt, nickte mit dem Kopf, offenbar
erleichtert durch die Ruhe, mit der Glaß Morton
den zentralen Inhalt seiner Mitteilung hingenom-
men hatte —:

„Die Sache ist die,“ — begann er, mit einem
kleinen schmatzenden Laut an seiner Zigarette
saugend, hin und wieder in seinem Bericht inne-
haltend, um einen Mundvoll Rauch hinunter-
sclilucken zu können —: „um mit der Einleitung
anzufangen, daß ja — was Sie also nicht in den
Zeitungen gelesen haben — vor ungefähr vierzehn
Tagen drüben im Siidwalde um die Abendzeit ein
Attentat ganz ähnlicher Art verübt wurde, wie das
an Ihrer Frau. Aber diesmal mißlang es ja, Gott
sei Dank, gänzlich. Wie das Nähere zuging, weiß
ich nicht — aber schon bei dem aller-
ersten Schrei der betreffenden Dame eilten
eine Menge Menschen hinzu, einige junge
Leute aus dem Handelsstande, die zufällig
in der Nähe waren — aber die der Täter
nicht sehen konnte, teils weil es dunkel war und
teils infolge der Terrainverhältnisse. Nun, aber sie
stürzen also auf ihre Hilferufe herbei, sie liegt
schon an die Erde geschleudert, der Kerl mit dem
blitzenden Messer über ihr — und sie tun da, was
jedermann tun würde, sie werfen sich rasend über
ihn, ganz schonungslos — um so mehr, als er oben-
drein versucht, die Klinge auch ihnen gegenüber zu
gebrauchen, ein Riesenkerl an Kräften ist er noch
dazu, volle drei Ellen hoch, mit Schultern wie aus
einer andern Welt und ein paar Fäusten aus Eisen
— aber sie übermannen ihn doch schließlich, die
Polizei kommt endlich herbei, und da zeigt es sich,
ohne daß wir volle Klarheit darüber erhalten kön-
nen, wer oder wie, daß der eine von den jun-
gen Menschen mit seinem Stock das linke Auge
des Burschen recht ernsthaft beschädigt haben
muß — wenn man auch, infolge der Dunkelheit
und der Erregung und einer recht reichlichen Blu-
tung, der Wtunde von Anfang an kein weiteres Ge-
wicht beilegte! Erst auf der Polizeistation wurde
ein Arzt herbeigerufen, es sah schlimm aus, Sklo-
ratikon an der ganzen linken Seite gesprengt, die
Muskel an dieser Stelle vollkommen zerrissen, und
so weiter! kurz und gut, wir bekamen ihn noch in
derselben Nacht ins Hospital; und seitdem ist die
Besserung gut vorwärts geschritten, sogar recht
gut, wenn auch natürlich sein Zustand eine weit-
gehende Achtsamkeit erfordert (das Sehvermögen
ist leider auf dem betreffenden Auge vollkommen
verloren) und es wird noch eine geraume Zeit ver-
gehen, bis er eventuell als geheilt entlassen werden
kann! . . .

So weit Karl Mumme!

Was nun die andere Seite der Angelegenheit
betrifft:

Nun ja, ich will nicht genauer präzisieren, aus
welchen zum Teil recht komplizierten Gründen
Assessor Delitsch — in dessen Händen die Sache
liegt — schon ein paar Tage nach der Verhaftung
des Mannes zu einer inneren Ueberzeugung ge-
langte, daß wir hier endlich des . . . Mörders Ihrer
Frau habhaft geworden sind! Er äußerte damals
in einer privaten Unterredung mit mir diese An-
sicht und ist seitdem nach verschiedenen Rich-
tungen hin bemüht gewesen, sich Material für eine
spätere Beweisführung zu beschaffen — hat aber
selbstverständlich, dem Verhafteten direkt gegen-
über, bisher nichts Erhebliches vornehmen können,
in Anbetracht der Rekonvaleszenz des Mannes.

Nicht wahr, Sie wissen sicher im voraus, daß
heutzutage, mit Recht, ein Patient — ja, ganz ein-
fach ein Patient ist!

So lange sich Karl Mumme noch in meinem
Bereich befindet, existiert für mich nur eine ein-
zige Verpflichtung: ihn gesund zu machen — ergo
ihn auch radikal gegen jegliche Einwirkung zu
schützen, sei sie physischer oder psychischer Art,
die möglicher Weise meine Aussicht verringern
könnte, meine Aufgabe ihm gegenüber mit Erfolg
durchzuführen.

Ja, aber hier —- haben nun die Zeitungen ein-
gegriffen, und zwar auf eine solche Weise, daß
auch ich keinen Ausweg mehr erblicke!

Wie dies übrigens zugegangen ist, begreife ich
nicht —• aber irgendwie haben tatsächlich die
Herren Referenten einiger unserer größten
Blätter vor einer Woche Wind von Assessor De-
utschs Theorien bekommen — und haben natür-
lich nicht schweigen können! Die Sache hat in
einem sich steigernden Grad Aufsehen erregt —-
hat in gewissen hochstehenden Kreisen gleichsam
eine Art Panik hervorgerufen; und im Augenblick
ist — allerdings noch ohne daß (aus leichtfaß-
lichen Rücksichten) I h r Name genannt wurde —
wirklich ein außerordentlich starker Druck auf das
Justizministerium und auf mich ausgeübt — ein
so starker, daß wir schließlich haben nachgeben
und mit aller Macht den Gang der Untersuchun-
gen haben fördern müssen! Ich habe, mit andern
Worten, erlauben müssen, daß im Laufe der letzten
vier Tage zwei kurze — und so weit tunlich scho-
nende — Verhöre drinnen im Zimmer des Patien-
ten abgehalten worden sind! Und bei dem letzten
dieser Verhöre, vorgestern, wurde Delitsch seiner
Sache so gewiß, daß er andeutungsweise, recht
indirekt und verdeckt, Mumme gegenüber auf die
Geschichte von da drüben her, vor zwei Jahren,
anspielte —- im übrigen in meiner Anwesenheit;
und wir ersahen alle beide unzweideutig aus dem
Wesen des Burschen, daß kein Zweifel darüber
herrschen konnte, daß der Pfeil getroffen hatte:
er ist es wirklich!“

von Geer schwieg einen Augenblick.

Er warf den Zigarettenstummel weg, griff nach
einer neuen Zigarette, strich ein Streichholz an,
vergaß anzuzünden, wandte sich mit einem Ruck
nach Morton um —:

„Lieber Freund,“ — sagte er schnell, indem er
seinen Blick suchte, plötzlich mit einer unsicheren
oder bewegten Stimme —• „glauben Sie mir, ich
begreife vollkommen, wie außerordentlich ....
wie grenzenlos peinlich dies alles hier für Sie sein
muß!

Natürlich war es ja im voraus einleuchtend
genug — schon infolge der unglückseligen Art und
Wreise, wie Frau Morton ums Leben kam (du
großer Gott, was würde ich nicht dafür geben,
wenn es auch damals, mit ihr, mißlungen wäre)
— daß hier, noch weniger als unter anderen Ver-
hältnissen die Rede davon sein konnte, daß Sie, so

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