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Zeitschrift für christliche Kunst — 1.1888

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Schneider, Friedrich: Der Hausaltar des Königs Andreas III. von Ungarn (1290-1301)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3545#0061

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91

1888.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

92

Morosini, und er selbst war in Venedig ge-
boren. Nach seiner Thronbesteigung liefs er
1291 seine Mutter von Venedig nach Ungarn
kommen und wies ihr daselbst den Rang einer
älteren Königin zu. Da nun unsere Altartafel
die dem ungarischen Königshause nahestehen-
den Heiligen Stephan, Emerich, Ladislaus und
Elisabeth enthält, so ist die Annahme durchaus
zulässig, dafs dieselbe für die Zwecke der häus-
lichen Andacht von der Königin-Mutter gestiftet
und vielleicht von ihr selbst bei ihrer Uebersiede-
lung von Venedig' dahin überbracht worden sei.

Dafs aber die Anfertigung der Tafel ganz
unter Bedingnissen entstanden, wie sie lediglich
in Venedig vorhanden waren, ergibt sich zu-
nächst aus demKreis der bildlichen Darstellungen,
welche darin vereinigt sind. Die darin aufge-
führten Heiligen-Namen sind nämlich aufs Engste
mit der venezianischen Kirche und der Volks-
andacht verknüpft. Stammler hat die Belege
dafür mit Gründlichkeit beigebracht. So be-
weist er die Erwähnung der heil. Marina aus
deren spezifisch lokaler Verehrung, und den sonst
nicht vorkommenden Namen einer heil. Fumia
erklärt er als die venezianische Dialektform für
Euphemia. Daneben erscheinen die ritterlichen
Heiligen Theodor und Georg, wovon der erstere
zu den Patronen der Stadt gehört, und letzterer
in ganz besonderer Weise daselbst geehrt ward.

Die Reihe der Heiligen-Namen führt übrigens
noch zu weiteren Schlufsfolgerungen. Einerseits
begegnen wir solchen Namen, welche der jüngsten
Vergangenheit angehören und in der Zeit hoch-
verehrt waren. Aus den Daten ihrer Kanoni-
sation ergibt sich ein wichtiger Anhaltspunkt
für die Entstehungszeit unserer Tafel. Wir treffen
hier auf Franz von Assisi, kanonisirt 1228,
Antonius von Padua, kan. 1232, Dominikus,
kan. 1235, Elisabeth, kan. 1235 und Peter Martyr,
kan. 1253. Die Anfertigung kann somit erst
nach dem spätesten dieser Daten erfolgt sein.
Für die Charakteristik unseres Kunstwerks aber
sind anderseits die Namen von Heiligen des
griechischen Kalenders von nicht zu unter-
schätzender Bedeutung. Dahin gehörte vor allem
Demetrius, ferner Alexius, Helena, Konstantin
und Katharina. Sie beweisen für die engen Be-
ziehungen, welche gerade in Venedig mit den
griechischen Nachbarländern bestanden. Venedig
war in jenen Tagen recht eigentlich ein Em-
porium griechischer Kultur und Kunst. In
Leben und Verkehr kreuzten sich die Sprachen

des lateinischen Abendlandes mit den Idiomen
des griechischen Ostens. Wie die Heiligen der
griechischen Kirche mit jenen des römischen
Kalenders hier zusammenstehen, so wechseln in
unserer Tafel auch griechische Inschriften mit
lateinischen Bezeichnungen. Die bildlichen Dar-
stellungen ihrerseits bewegen sich nach Inhalt
und Form in den Ueberlieferungen der grie-
chischen Kunst. Und klingen sie theilweise wirk-
lich an die Mosaiken von San Marco in Venedig
an, so sind beide durch die gleichen Einflüsse
bestimmt. Erwiesenermafsen waren griechische
Künstler seit dem frühen Mittelalter in Venedig-
ansässig, und im 13. Jahrhundert bildeten grie-
chische Maler daselbst eine förmliche Schule.
Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn
die in Rede stehende Tafel hinsichtlich ihrer
formalen Ausbildung ganz und gar unter dem Ein-
flufs griechisch-byzantinischer Kunstweise steht.
Nach der kunsthandwerklichen Seite endlich
offenbart sich darin der ganze Reichthum der
hochentwickelten griechischen Kunsterfahrung.
Die grofsen, geschnittenen Halbedelsteine, welche
die Mitte der Tafeln zieren, erweisen sich nach
den Inschriften, wie nach ihrer ganzen Beschaffen-
heit als meisterliche Leistungen von der Hand
eines griechischen Steinschneiders. Als ganz
spezifische Eigenthümlichkeit der griechischen
Goldschmiedekunst ist der reiche Schmuck an
edlen Perlen zu nennen: an Erzeugnissen abend-
ländischer Art sind sie in jener Zeit nicht vor-
handen und kommen darin erst durch die von
Venedig und dem griechischen Osten empfan-
genen Anregungen in Aufnahme. In der reichen
Verwendung von edlen Steinen an unserer Tafel
spricht sich gewifs ein prachtliebender Sinn
aus; es war aber die Befriedigung einer solchen
Geschmacksrichtung nur an einem Kreuzungs-
punkt des Weltverkehrs möglich, wie es that-
sächlich Venedig war. Die auf Pergament ge-
malten und mit kleinen Perlen verzierten Miniatur-
bilder sind nämlich durchweg mit Tafeln von
Bergkristall überdeckt, und in der äufseren
Bilderreihe wechseln die Darstellungen mit Tafel-
steinen von Blutjaspis. Das Filigran weiterhin,
welches in reizvoller Weise an unserer Tafel
den Reichthum an edlen Steinen mit einander
verbindet, war von jeher in Byzanz mit Meister-
schaft geübt worden; in Venedig hatte es früh
schon sich eingebürgert und übertrug sich von
da nach anderen Orten Oberitaliens, wo dessen
Anfertigung bis zur Stunde in hoher Blüthe steht.
 
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