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Zeitschrift für christliche Kunst — 1.1888

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Beissel, Stephan; Stummel, Friedrich: Die Farbengebung bei Ausmalung der Kirchen, [2]
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Schönermark, Gustav: Ein Kruzifixus aus karolingischer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.3545#0186

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313

1888.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 9.

314

mal die Hauptregel betont werden: „Der Maler
hat immer die Flächen den architektonischen
Gliedern unterzuordnen."

Wenn schon in der romanischen Bau-
kunst, als Pfeiler und Säulen noch nicht die
Wände fast vollständig entlastet und in den
Hintergrund gedrängt hatten, der Charakter der
festen Stützen durch die Farbe der Säulen und
Pfeiler klargestellt wurde, um wie viel mehr
müssen in gothischen Kirchen die architekto- \
nischen Hauptglieder zur Geltung kommen.

Sind in der Gothik Gewölbekappen und ,
Mauern zu raumabschliefsenden Füllungen ge- \
worden, welche als Theile zweiten Ranges den
Pfeilern, Säulen, Streben, Gurten und Graten
sich anschliefsen, dann mufs auch der Maler

den konstruktiven Vorrang der wichtigern
Massen durch seine Farben anzeigen. Er mufs
Gleichartiges durch ähnliche Bemalung zusam-
menfassen, Gegensätzliches von einander schei-
den. Tragendes und Getragenes mufs sicli
auch durch die Polychromie in seinem Wirken
und Leiden offenbaren. Der Eindruck des
Einzelnen darf nie der architektonischen Ge-
sammtwirkung hinderlich werden, sondern Alles
hat sich zur Einheit zu sammeln, um den Blick
zum Chor hinzuführen, wo der Altar in hellem
Schmuck, im Glänze metallischer Zierde als
Herz und Kern des Baues dem Gottesdienst
eine würdige Stätte bietet.

Exaeten. Steph. Beissel, S. J.

Kevelaer. Friedr. Stummel, Maler.

Ein Kruzifixus aus karolingischer Zeit.

Mit Abbildung.

iele Kruzifixe sind es nicht, die sich
in Deutschland aus karolingischer
Zeit erhalten haben. Wir halten
es deshalb für angezeigt, noch un-
bekannte Stücke dieser Art bekannt zu machen,
besonders wenn dieselben an ihrem Orte der
würdigen Obhut entbehren und so dem Unter-
gange verfallen.

Zum Verständnifs dessen, was wir über den
von uns abgebildeten Kruzifixus der Kirche zu
Obernkirchen bei Bückeburg sagen möchten,
einige Vorbemerkungen. Das Erlösungswerk
Christi ist bekanntlich anfangs nicht durch die
Kreuzigung, nicht einmal durch das Kreuz dar-
gestellt worden, sondern namentlich in den
ersten drei Jahrhunderten nur symbolisch durch
die sogenannten cruces dissimulatae, wenn man
unter diese vornehmlich auch das Monogramm
Christi mitrechnet. Diese Zeichen ähnelten dem
Kreuze mehr oder weniger und konnten doch
dargestellt werden, ohne den Heiden auf-
zufallen. Nicht als ob die ersten Christen ihren
Glauben nicht alle Zeit muthig bekannt hätten
da, wo es darauf ankam, sondern aus Scheu,
dafs man ihren Heiland, der ja die ehren-
rührigste aller damaligen Strafen hatte erdulden
müssen, deshalb verunehren oder verspotten
möchte. Auch als das Christenthum dann die
Staatsreligion des römischen Weltreiches ge-
worden war und man solche Verunehrung nicht

mehr zu fürchten brauchte, wurde die Erlösung
noch nicht gleich unter dem Bilde der Kreu-
zigung dargestellt, weil die Kreuzesstrafe im

IV. Jahrhundert noch üblich und somit der Ab-
scheu vor ihr noch zu grofs war. Man begnügte
sich mit einfachen Kreuzen, die freilich durch
Edelsteine auf das reichste geschmückt und
daher cruces geimnatae genannt wurden. Im

V. Jahrhundert endlich war die Lehre Christi
Herr über das heidnische Wesen geworden und
hatte die Sitten so weit gemildert, dafs wir von
einer Hinrichtung am Kreuze nichts mehr hören.
Aus dieser Zeit stammen auch die ersten
Kreuzigungsbilder, nämlich ein Relief an dem
Thürflügel von S. Sabina zu Rom und ein anderes
auf einem Elfenbeintäfelchen des britischen
Museums. Nehmen wir an, was freilich nicht
unwahrscheinlich ist, dafs dieselben allein aus
ihren stilistischen Eigenschaften richtig haben
datirt werden können, so bleibt doch auffällig,
dafs es nur diese beiden Kreuzigungsbilder sind,
hinter denen dann bis zum VII. Jahrhundert sich
andere nicht nachweisen lassen. Die historische
Auffassung der Darstellung des Erlösungswerkes
mufs also wohl noch wenig beliebt gewesen
sein. Fraglich ist, ob diese beiden Kreuzigungen
des V.Jahrhunderts wirklich schon den didaktisch-
liturgischen Zweck gehabt haben wie die späteren
Kruzifixe und die Bilder, durch welche dieses
Thema damals gewöhnlich dargestellt wurde.
 
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