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Zeitschrift für christliche Kunst — 1.1888

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143

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

144

I

herrlichen Pfarrkirche (ehemaligen Klosterkirche)
aufgehangen und ist jetzt ein bemerkenswerther
Schmuck dieses Renaissance-Gebäudes.

Es dürfte dankbar zu begrüfse'n sein, das
treffliche Hochbild einem weiteren Kreise be-
kannt zu machen und dasselbe in die Kunst-
geschichte auch durch eine kleine Abbildung
einzuführen.

Das Kunstwerk stellt ein Vesperbild dar:
4 lebensgrofse Männer und 4 lebensgrofse Frauen
betrauern den todten Erlöser.

Im Vordergrunde ruht der Leichnam Christi,
der von der schmerzgebeugten Mutter in eine
sitzende Stellung gebracht wird, indem sie mit
der rechten Hand seine rechte Schulter, mit der
linken seinen linken Arm erfafst.

Der Körper Christi ist schlank, die Brust etwas
entstellt, da die Rippen allzu
sehr hervortreten, das Haupt
ist mit kurzem Barte und
langem Lockenhaar um-
geben und mit Dornen
gekrönt; das Auge ge-
brochen und erstarrt, der
Mund leise geöffnet. Das
Schamtuch zeigt schön ge-
legte Falten.

Zu den Füfsen Jesu kniet
Maria Magdalena, die Rechte
auf sein linkes Knie legend,
in der Linken das Salb-
gefäfs tragend.

Hinter Maria Magdalena
stehen 2 Frauen, schöne Gestalten mit lieb-
lichen Gesichtern: die jugendliche Salome, mit
turbanartiger Kopfbedeckung, legt in Demuth
die Arme übereinander; die ältere MariaKleophä
hebt mit der Rechten den Schleier empor, um die
Thränen zu trocknen.

An diese ältere Frau reihen sich Joseph von
Arimathia und Nikodemus, hinter der Mutter
stehend. Kräftiges Bart- und Haupthaar um-
rahmt ihre Köpfe, die von Mützen bedeckt sind.
Daneben steht Petrus mit einem wehmüthigen,
schönen Kopfe in der mittelalterlichen Auf-
fassung, wie sie Didron im Manuel d'iconogr.
ehret, p. 301 angibt: „Au XVe siecle en France
et surtout en Allemagne, on fait Saint-Pierre
chauve et avec une petite touffe de cheveux
sur le haut du front."

Das Ende bildet der Apostel Johannes, eine j
jugendliche, aber steife Gestalt mit unschönem, j

breitem Gesichte; er drückt mit der Linken ein
geöffnetes Buch an seine Brust, während er mit
der Rechten nach dem dornengekrönten Haupte
des Erlösers weist.

Der Apostelfürst und der Evangelist haben
keine Kopfbedeckung.

Die Gruppe ist ohne dramatische Lebendig-
keit dargestellt, aber es findet sich reiche Ab-
wechslung in den Frauen- und Männergestalten
und gefällige Symmetrie in den stehenden Per-
sonen, indem immer 2 einander entsprechen:
Joseph und Nikodemus wenden sich einander
zu, Petrus und die ältere Frau schenken dem
Vorgange ihre Theilnahme, die junge Frau und
die Liebesjünger trauern etwas abgewendet.
Die Gewandung zeigt die eckigen Brüche der
Zeit, ist aber grofs angelegt und in viel-
facher Abwechselung. Die
Einzelfiguren sind meister-
lich aus dem Holze ge-
schnitten und bis in das
Einzelne durchgeführt, nur
kommt der Künstler in der
Behandlung des Haares dem
Würzburger Dill Riemen-
schneider nicht gleich, wie
er auch nicht die graziöse
Bewegung erreicht, die jener
Zeitgenosse den Fingern zu
geben wufste; im Gegen-
theile, die dünnen spitzen
Finger sind manchmal zu
steif und gespreizt. Doch ist
das Kunstwerk ein höchst bedeutendes und
bildet eine der gefühlvollsten Darstellungen,
welche die Plastik am Beginne des 16. Jahr-
hunderts geschaffen.

Freuen wir uns, dafs das treffliche Schnitz-
werk sich aus den Stürmen gerettet hat; denn
die Oberpfälzer hatten, wie die Unterpfälzer, ihre
Religion im 16. Jahrhundert viermal wechseln
müssen; erst als die Oberpfalz unter die Regie-
rung des grofsen Kurfürsten Maximilian im
dreifsigjährigen Kriege gekommen war, konnten
die Mönche wieder zurückkehren und ihre ver-
edelnde Wirksamkeit entfalten. Wie das Hoch-
bild den bilderstürmenden Neuerern entging,
so waltete auch über ihm ein günstiges Ge-
schick, als der Neubau des Klosters (1717 ein-
geweiht) stattfand und als die Habgier und die so-
genannte Aufklärung das prächtige Gebäude durch
die Säkularisation im Jahre 1803 entweihte.
 
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