155
1888.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Nr
156
raschen Wachsthum unserer Städte möchten
Pfarrkirchen für katholische Stadt-
gemeinden wohl am häufigsten zur Aufgabe
stehen: ihnen hauptsächlich sei demnach die
folgende Erörterung gewidmet.
Ueberblickt man die grofse Zahl kirchlicher
Neubauten, so ist zwar nicht zu verkennen,
dafs auf die stilvolle Ausbildung derselben
ernste Sorge verwendet ward, so zwar, dafs
eine stattliche Reihe durchaus gediegener Lei-
stungen darunter zu verzeichnen ist. Bleiben wir
nun bei den Pfarrkirchen, und prüfen wir sie
auf die Anordnung und Raumvertheilung,
so werden wir alsbald einer auffallenden Un-
sicherheit in der Behandlung der grundlegenden
Fragen begegnen, anderseits gar zweckwidrigen
Anordnungen, die aus der äufserlichen Ueber-
tragung architektonischer Schablonen herrühren.
Nehmen wir hinzu die Ausschreiben solcher
Bauten, wie sie häufig ergehen, so begegnen
wir dem gleichen Mangel an klaren, auf
die Zweckbeziehung des Gebäudes gerichteten
Mafsnahmen. So gilt es für viele als ganz
selbstverständlich, dafs eine gröfsere Pfarrkirche
nicht anders als dreischiffig dürfe angelegt sein.
Starkvortretendes Querschiff erscheint ebenso als
nothwendige Bedingnifs. Ist überhaupt im Pro-
gramm der Raum auf die gegebene Zahl von
Kirchenbesuchern ausgesprochen, so glaubt man
sich schon gesichert. Dies und noch gar
manches beweist aber nur, wie wenig man sich
mit dem wirklichen Bedürfnifs vertraut gemacht
und die Mittel erwogen hat, welche in dem
gegebenen Fall thatsächlich dem Zweck dienen.
Geben wir uns zunächst Rechenschaft, was
heute eine Pfarrkirche in städtischen Verhält-
nissen erfordert.
Im allgemeinen mufs davon abgerathen wer-
den, die Verhältnisse allzu grofs zu greifen: eine
Pfarrkirche kann und soll kein Dom sein; wo
wirkliche Dome zugleich Pfarrkirchen sind,
zeigt sich nur allzu empfindlich der Nachtheil
von zu grofsen Raumverhältnissen. Für die
meisten Fälle möchte ein freier Innenraum
von etwa 1000 □ m für annähernd 1200
Menschen genügen. Bei solchen Zahlen- und
Raumverhältnissen reicht die Stimme des Pre-
digers aus; der priesterliche Gesang füllt den
Raum; die Handlung am Altar ist noch für
Fernstehende zu verfolgen: kurz, es steht eine
solche Kirche eben im Verhältnifs zu den
menschlichen Mitteln. Entfallen auf einen
solchen Raum etwa 650 Sitz- und Knie-Plätze,
so ist schon einer volkreichen Gemeinde zu
genügen.
Da die Pfarrkirche die gleichzeitige Bethei-
ligung eines grofsen Theils der Gemeinde, mit
Einschlufs der schulpflichtigen Kinder voraus-
setzt, so mufs der Raum der Kirche so ge-
staltet sein, dafs die Menge der Besucher gleich-
zeitig und gleichwerthig darin untergebracht
werden könne: die Theilnehmer am Pfarrgottes-
dienst müssen der heil. Handlung auf dem
Altar, wie der Predigt folgen können. Dies ist
nicht, oder nur sehr ungenügend der Fall, wenn
sie in Seitenräumen vertheilt sind. Wie
wenig die absolute Sichtbarkeit der Vorgänge
am Altar für die giltige Theilnahme am
Gottesdienste an sich entscheidend ist, so ist
doch die ungehinderte Beziehung zum Altar
aus Gründen der guten Ordnung und zur
Erweckung der Andacht gerade in einer
Pfarrkirche von Nöthen. Zur wirksamen Theil-
nahme an der Predigt ist es geradezu gefordert,
dafs der Prediger seine Zuhörer und ebenso
die Hörer den Prediger sehen.
Aus diesen Gründen ist das Schiff der
Kirche als einheitlicher, gleichmäfsig zu über-
sehender Raum anzuordnen, so dafs die ganze
Zahl der am Hauptgottesdienste theilnehmenden
Kirchenbesucher, Erwachsene wie Schulkinder,
in einem und demselben Räume vereinigt sind.
Es ist darum dem Bedürfnifs nicht genügt,
wenn der für Kirchenbesucher geforderte Raum
auch auf Seitenschiffe und andere Nebenräume
vertheilt wird. In den meisten Fällen sind
dies sogen, „todte Räume", die, wenngleich
benutzbar, keineswegs den Bedürfnissen der
Pfarrgemeinde entsprechen. Wie wenig gerade
mit diesem wichtigsten Erfordernifs gerechnet
wird, beweist ein Blick auf viele Neubauten
und nicht wenige Konkurrenzaussehreiben. Man
begnügt sich mit einer Raumforderung im all-
gemeinen und hat schliefslich nicht das, wessen
man bedarf; denn nicht jeder Raum innerhalb
der Kirchenmauern genügt für die entsprechende
Theilnahme am Gottesdienst.
Ich meinerseits erachte darum die oft an-
gewandte Art dreischiffiger Anlagen für Pfarr-
kirchen als die minder geeignete, ja in vielen
Fällen ist diese Raumtheilung durchaus verfehlt,
und darum nur mit Einschränkung zuzulassen.
In dieser Anschauung glaube icli das Ur-
theil und die Wünsche des gröfsten Theils
1888.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Nr
156
raschen Wachsthum unserer Städte möchten
Pfarrkirchen für katholische Stadt-
gemeinden wohl am häufigsten zur Aufgabe
stehen: ihnen hauptsächlich sei demnach die
folgende Erörterung gewidmet.
Ueberblickt man die grofse Zahl kirchlicher
Neubauten, so ist zwar nicht zu verkennen,
dafs auf die stilvolle Ausbildung derselben
ernste Sorge verwendet ward, so zwar, dafs
eine stattliche Reihe durchaus gediegener Lei-
stungen darunter zu verzeichnen ist. Bleiben wir
nun bei den Pfarrkirchen, und prüfen wir sie
auf die Anordnung und Raumvertheilung,
so werden wir alsbald einer auffallenden Un-
sicherheit in der Behandlung der grundlegenden
Fragen begegnen, anderseits gar zweckwidrigen
Anordnungen, die aus der äufserlichen Ueber-
tragung architektonischer Schablonen herrühren.
Nehmen wir hinzu die Ausschreiben solcher
Bauten, wie sie häufig ergehen, so begegnen
wir dem gleichen Mangel an klaren, auf
die Zweckbeziehung des Gebäudes gerichteten
Mafsnahmen. So gilt es für viele als ganz
selbstverständlich, dafs eine gröfsere Pfarrkirche
nicht anders als dreischiffig dürfe angelegt sein.
Starkvortretendes Querschiff erscheint ebenso als
nothwendige Bedingnifs. Ist überhaupt im Pro-
gramm der Raum auf die gegebene Zahl von
Kirchenbesuchern ausgesprochen, so glaubt man
sich schon gesichert. Dies und noch gar
manches beweist aber nur, wie wenig man sich
mit dem wirklichen Bedürfnifs vertraut gemacht
und die Mittel erwogen hat, welche in dem
gegebenen Fall thatsächlich dem Zweck dienen.
Geben wir uns zunächst Rechenschaft, was
heute eine Pfarrkirche in städtischen Verhält-
nissen erfordert.
Im allgemeinen mufs davon abgerathen wer-
den, die Verhältnisse allzu grofs zu greifen: eine
Pfarrkirche kann und soll kein Dom sein; wo
wirkliche Dome zugleich Pfarrkirchen sind,
zeigt sich nur allzu empfindlich der Nachtheil
von zu grofsen Raumverhältnissen. Für die
meisten Fälle möchte ein freier Innenraum
von etwa 1000 □ m für annähernd 1200
Menschen genügen. Bei solchen Zahlen- und
Raumverhältnissen reicht die Stimme des Pre-
digers aus; der priesterliche Gesang füllt den
Raum; die Handlung am Altar ist noch für
Fernstehende zu verfolgen: kurz, es steht eine
solche Kirche eben im Verhältnifs zu den
menschlichen Mitteln. Entfallen auf einen
solchen Raum etwa 650 Sitz- und Knie-Plätze,
so ist schon einer volkreichen Gemeinde zu
genügen.
Da die Pfarrkirche die gleichzeitige Bethei-
ligung eines grofsen Theils der Gemeinde, mit
Einschlufs der schulpflichtigen Kinder voraus-
setzt, so mufs der Raum der Kirche so ge-
staltet sein, dafs die Menge der Besucher gleich-
zeitig und gleichwerthig darin untergebracht
werden könne: die Theilnehmer am Pfarrgottes-
dienst müssen der heil. Handlung auf dem
Altar, wie der Predigt folgen können. Dies ist
nicht, oder nur sehr ungenügend der Fall, wenn
sie in Seitenräumen vertheilt sind. Wie
wenig die absolute Sichtbarkeit der Vorgänge
am Altar für die giltige Theilnahme am
Gottesdienste an sich entscheidend ist, so ist
doch die ungehinderte Beziehung zum Altar
aus Gründen der guten Ordnung und zur
Erweckung der Andacht gerade in einer
Pfarrkirche von Nöthen. Zur wirksamen Theil-
nahme an der Predigt ist es geradezu gefordert,
dafs der Prediger seine Zuhörer und ebenso
die Hörer den Prediger sehen.
Aus diesen Gründen ist das Schiff der
Kirche als einheitlicher, gleichmäfsig zu über-
sehender Raum anzuordnen, so dafs die ganze
Zahl der am Hauptgottesdienste theilnehmenden
Kirchenbesucher, Erwachsene wie Schulkinder,
in einem und demselben Räume vereinigt sind.
Es ist darum dem Bedürfnifs nicht genügt,
wenn der für Kirchenbesucher geforderte Raum
auch auf Seitenschiffe und andere Nebenräume
vertheilt wird. In den meisten Fällen sind
dies sogen, „todte Räume", die, wenngleich
benutzbar, keineswegs den Bedürfnissen der
Pfarrgemeinde entsprechen. Wie wenig gerade
mit diesem wichtigsten Erfordernifs gerechnet
wird, beweist ein Blick auf viele Neubauten
und nicht wenige Konkurrenzaussehreiben. Man
begnügt sich mit einer Raumforderung im all-
gemeinen und hat schliefslich nicht das, wessen
man bedarf; denn nicht jeder Raum innerhalb
der Kirchenmauern genügt für die entsprechende
Theilnahme am Gottesdienst.
Ich meinerseits erachte darum die oft an-
gewandte Art dreischiffiger Anlagen für Pfarr-
kirchen als die minder geeignete, ja in vielen
Fällen ist diese Raumtheilung durchaus verfehlt,
und darum nur mit Einschränkung zuzulassen.
In dieser Anschauung glaube icli das Ur-
theil und die Wünsche des gröfsten Theils