sie denn in einer eisenbeschlagenen Truhe bis auf
unsere Tage. Erst vor zwei Jahren wurden sie
nach Berlin überführt, wo sie nunmehr definitiv
dem Kunstgewerbe-Museum überwiesen und im
Lichthofe desselben jetzt ausgestellt sind.
Was nun das Alter dieser ziemlich zahl-
reichen, zum Theil sehr kostbaren Kleinodien,
die mehrfach schon beschrieben, theilweise ab-
gebildet sind, 3) angeht, so wird ein Theil der-
selben von den Kunstverständigen dem XI. und
XII. Jahrhundert, ein Stück aber, das älteste
und bemerkenswertheste dem IX. Jahrhundert,
der Zeit Widukinds, zugewiesen. Es ist das ein
mit Goldblech resp. vergoldetem Silberblech
überzogenes und mit kostbaren Steinen reich
geziertes Taschen - Reliquiar. Und gerade in
Bezug auf dieses soll noch kurz nachgewiesen
werden, dafs das Urtheil der Archäologen keines-
wegs der historischen Grundlage entbehrt.
Seit Rudolf Köpke vor etwa vierzig Jahren
die vita antiquior der hl. Mathilde, der Gemahlin
Heinrich I. entdeckte, besitzen wir in ihr einen
glaubwürdigen Beweis dafür, dafs Widukind die
Engef'sche Kirche gegründet und mit Reliquien
und den nöthigen Utensilien ausgestattet hat.
Diese vita wurde auf Geheifs Otto IL4) um das
Jahr 980 von einem Insassen des Klosters Nord-
hausen 6) verfafst und berichtet sie über die betr.
Stiftung Folgendes:6) llle vero (Widukindus)
deinde christianissimus ecclesiarum et Dei ex-
titit cultor, ita ut ipse singulas totis viribus
studendo construeret cellulas, quas plurimis
sanctorum reliquiis nee non ceteris perfeetas
relinquebat utilitatibus, quarum unamul-
tis adhuc nota remanet Aggerinensis dieta
et eadem, quae modo retulimus adhuc aliqua
ibidem supersunt. Wenn nun auch der
Verfasser der altern vita bei Mittheilung ein-
zelner weltlicher Begebenheiten sich nicht als
ganz zuverlässig erweist, so kann das eben bei
einem Klosterinsassen, dem solche Dinge mehr
fern lagen, nicht auffallen. Hier aber berichtet
derselbe über eine kirchliche resp. klösterliche
3) cfr. Falke, Trad. Corb. p. 200, der eine Be-
schreibung vom Herfordischen Arzle und Stadihisto-
riker Storch aus dem Jahre 1743 bringt; Lübke „Mittel-
alterliche Kunst in Westfalen" S. 425 ff.; Wiimans
„Kaiserurkunden" I 442; insbesondere bezüglich des
Taschen-Reliquiars: Charles de Linas „Emaillerie,
metallurgie" etc. S. 107—128.
4) Giesebrecht „Geschichte d. Kaiserzeit" I 744.
5) Wiimans I 441.
f») Pertz, Mon. Germ. hist. SS X 575 cap. 2.
Stiftung, also über ein Vorkommnis aus einem
ihm naheliegenden und darum gewifs nicht un-
bekannten Gebiete, über eine Stiftung zudem,
über die er um so mehr unterrichtet sein konnte,
als das Kloster Nordhausen durch die hl. Ma-
thilde, seine erlauchte Gründerin, zu Enger nahe
Beziehungen hatte; 7) er berichtet endlich in
einer Weise, die an seiner Glaubwürdigkeit nicht
zweifeln läfst. Er sagt von der unter den ver-
schiedenen Gründungen Widukinds so bedeu-
tungsvoll hervorgehobenen Enger'schen Zelle,
dafs sie (zu seiner Zeit) noch existiere, „noch
Vielen wohlbekannt" sei und noch Manches
von der durch Widukind empfangenen Aus-
stattung enthalte. — Wenn es nun dieser Nach-
richt gegenüber in einer Stiftungsurkunde8)
Otto I. vom 14. Juli 948 heifst: monasterium
Angeri . . . a domna nostra (Mathikl) constru-
ctum und ebenso in den Magdeb. Annalen9):
Quae (Mathild) coenobium . . . quartum in Ag-
geri S. Dionysio construxir, so darf dabei nicht
übersehen werden, dafs beide Nachrichten sich
keineswegs ausschliefsen, vielmehr ihre —■ auch
schon in den beiderseitigen Ausdrücken liegende
— natürliche Ausgleichung darin finden, dafs
die hl. Mathilde die cellula ,0) Widukinds zu
einem monasterium, coenobium erweiterte.")
Und dieses Verhältnifs Mathildens zu Enger ist
auch dem Verfasser der vita ant. sehr wohl
bekannt. Er erzählt nämlich12), dafs, als wegen
allzugrofser Freigebigkeit der Königin Mifs-
helligkeiten ausbrachen zwischen ihr und ihren
Söhnen, „sie zum väterlichen Erbe heimzog und
sich in die Engersche Zelle begab, wo sie nichts-
destoweniger beharrlich die gewohnte Mildthätig-
keit übte." Die „gewohnte Mildthätigkeit" der
Königin bestand aber zumeist eben darin, dafs
sie Klöster stiftete und dotierte "), welch letztere
7) üettmer S. 108; vita ant. cap. 15, 16.
8) Erhard, cod. dipl. I S. 45 Nr. 56.
9) Pertz SS XVI, 148 cfr. Abel, Jahrb. 414.
10) cfr. Rettberg, „Kirchengesch. Deutschlands".
Die ersten geistlichen Stiftungen bestanden in der
Regel in >iner Kirche nebst Wohnung für die Missio-
nare. Diese Anlage hiefs dann cella, cellula.
") Auch Otto I. wird Erbauer Magdeburgs ge-
nannt und doch sagen die Annalen (Pertz SS I 318
und SS II 258) zum Jahre 806: Karl der Grofse habe
Magdeburg erbauen lassen.
12) Vita ant. cap. 8.
ls) Nach der vita ant. hat die hi. Mathilde 2 Klöster
zu Quedlinburg, je eins zu Pölde, Nordhausen und Gern-
rode gegründet; bezüglich der 4 ersteren berichten das
auch die Annalen Magdeburgs. (Pertz SS XVI 148.)
unsere Tage. Erst vor zwei Jahren wurden sie
nach Berlin überführt, wo sie nunmehr definitiv
dem Kunstgewerbe-Museum überwiesen und im
Lichthofe desselben jetzt ausgestellt sind.
Was nun das Alter dieser ziemlich zahl-
reichen, zum Theil sehr kostbaren Kleinodien,
die mehrfach schon beschrieben, theilweise ab-
gebildet sind, 3) angeht, so wird ein Theil der-
selben von den Kunstverständigen dem XI. und
XII. Jahrhundert, ein Stück aber, das älteste
und bemerkenswertheste dem IX. Jahrhundert,
der Zeit Widukinds, zugewiesen. Es ist das ein
mit Goldblech resp. vergoldetem Silberblech
überzogenes und mit kostbaren Steinen reich
geziertes Taschen - Reliquiar. Und gerade in
Bezug auf dieses soll noch kurz nachgewiesen
werden, dafs das Urtheil der Archäologen keines-
wegs der historischen Grundlage entbehrt.
Seit Rudolf Köpke vor etwa vierzig Jahren
die vita antiquior der hl. Mathilde, der Gemahlin
Heinrich I. entdeckte, besitzen wir in ihr einen
glaubwürdigen Beweis dafür, dafs Widukind die
Engef'sche Kirche gegründet und mit Reliquien
und den nöthigen Utensilien ausgestattet hat.
Diese vita wurde auf Geheifs Otto IL4) um das
Jahr 980 von einem Insassen des Klosters Nord-
hausen 6) verfafst und berichtet sie über die betr.
Stiftung Folgendes:6) llle vero (Widukindus)
deinde christianissimus ecclesiarum et Dei ex-
titit cultor, ita ut ipse singulas totis viribus
studendo construeret cellulas, quas plurimis
sanctorum reliquiis nee non ceteris perfeetas
relinquebat utilitatibus, quarum unamul-
tis adhuc nota remanet Aggerinensis dieta
et eadem, quae modo retulimus adhuc aliqua
ibidem supersunt. Wenn nun auch der
Verfasser der altern vita bei Mittheilung ein-
zelner weltlicher Begebenheiten sich nicht als
ganz zuverlässig erweist, so kann das eben bei
einem Klosterinsassen, dem solche Dinge mehr
fern lagen, nicht auffallen. Hier aber berichtet
derselbe über eine kirchliche resp. klösterliche
3) cfr. Falke, Trad. Corb. p. 200, der eine Be-
schreibung vom Herfordischen Arzle und Stadihisto-
riker Storch aus dem Jahre 1743 bringt; Lübke „Mittel-
alterliche Kunst in Westfalen" S. 425 ff.; Wiimans
„Kaiserurkunden" I 442; insbesondere bezüglich des
Taschen-Reliquiars: Charles de Linas „Emaillerie,
metallurgie" etc. S. 107—128.
4) Giesebrecht „Geschichte d. Kaiserzeit" I 744.
5) Wiimans I 441.
f») Pertz, Mon. Germ. hist. SS X 575 cap. 2.
Stiftung, also über ein Vorkommnis aus einem
ihm naheliegenden und darum gewifs nicht un-
bekannten Gebiete, über eine Stiftung zudem,
über die er um so mehr unterrichtet sein konnte,
als das Kloster Nordhausen durch die hl. Ma-
thilde, seine erlauchte Gründerin, zu Enger nahe
Beziehungen hatte; 7) er berichtet endlich in
einer Weise, die an seiner Glaubwürdigkeit nicht
zweifeln läfst. Er sagt von der unter den ver-
schiedenen Gründungen Widukinds so bedeu-
tungsvoll hervorgehobenen Enger'schen Zelle,
dafs sie (zu seiner Zeit) noch existiere, „noch
Vielen wohlbekannt" sei und noch Manches
von der durch Widukind empfangenen Aus-
stattung enthalte. — Wenn es nun dieser Nach-
richt gegenüber in einer Stiftungsurkunde8)
Otto I. vom 14. Juli 948 heifst: monasterium
Angeri . . . a domna nostra (Mathikl) constru-
ctum und ebenso in den Magdeb. Annalen9):
Quae (Mathild) coenobium . . . quartum in Ag-
geri S. Dionysio construxir, so darf dabei nicht
übersehen werden, dafs beide Nachrichten sich
keineswegs ausschliefsen, vielmehr ihre —■ auch
schon in den beiderseitigen Ausdrücken liegende
— natürliche Ausgleichung darin finden, dafs
die hl. Mathilde die cellula ,0) Widukinds zu
einem monasterium, coenobium erweiterte.")
Und dieses Verhältnifs Mathildens zu Enger ist
auch dem Verfasser der vita ant. sehr wohl
bekannt. Er erzählt nämlich12), dafs, als wegen
allzugrofser Freigebigkeit der Königin Mifs-
helligkeiten ausbrachen zwischen ihr und ihren
Söhnen, „sie zum väterlichen Erbe heimzog und
sich in die Engersche Zelle begab, wo sie nichts-
destoweniger beharrlich die gewohnte Mildthätig-
keit übte." Die „gewohnte Mildthätigkeit" der
Königin bestand aber zumeist eben darin, dafs
sie Klöster stiftete und dotierte "), welch letztere
7) üettmer S. 108; vita ant. cap. 15, 16.
8) Erhard, cod. dipl. I S. 45 Nr. 56.
9) Pertz SS XVI, 148 cfr. Abel, Jahrb. 414.
10) cfr. Rettberg, „Kirchengesch. Deutschlands".
Die ersten geistlichen Stiftungen bestanden in der
Regel in >iner Kirche nebst Wohnung für die Missio-
nare. Diese Anlage hiefs dann cella, cellula.
") Auch Otto I. wird Erbauer Magdeburgs ge-
nannt und doch sagen die Annalen (Pertz SS I 318
und SS II 258) zum Jahre 806: Karl der Grofse habe
Magdeburg erbauen lassen.
12) Vita ant. cap. 8.
ls) Nach der vita ant. hat die hi. Mathilde 2 Klöster
zu Quedlinburg, je eins zu Pölde, Nordhausen und Gern-
rode gegründet; bezüglich der 4 ersteren berichten das
auch die Annalen Magdeburgs. (Pertz SS XVI 148.)