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Zeitschrift für christliche Kunst — 1.1888

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Keppler, Paul Wilhelm von: Wie studirt man Kunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.3545#0211

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361

1888.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

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schrift, wie Sie mit rühmenswerther Offenheit bekennen,
neben manchen wohlverständlichen, unmittelbar an-
ziehenden Partien nicht weniges enthalte, was Sie ver-
geblich ganz zu verstehen und zu erfassen sich mühten.
Sie waren so einsichtsvoll, den Fehler nicht auf Seite
der Zeitschrift, sondern auf Ihrer Seite zu suchen und
zu finden. Sie waren weit entfernt, an diese Zeitschrift
die Anforderung zu stellen, w-elche nur der Unverstand
stellen kann, dass sie herabsteige auf das niedrige
Terrain Ihres gegenwärtigen Kunstverständnisses und
dieses zur Operationsbasis und zum Ausgangspunkt
ihrer Studien mache, dass sie Zeit und Raum vergeude
mit Ertheihmg eines Elementarunterrichts, den jeder
mit guten Hilfsmitteln sich selber ertheilen kann, oder
dass sie ihre gelehrten Untersuchungen mit fortlaufen-
den, auf das Minimum von Kunstkenntnissen berech-
neten Noten begleite, die um der Trägheit einiger
weniger Leser willen die über die Elemente der Kunst
längst Hinausgeschrittenen ärgern und langweilen würden.

Sie erkennen vielmehr, dass Sie sich bemühen
müssten, durch energisches Studium Jhren Standpunkt
und Gesichtspunkt in der Welt der Kunst ein für alle-
mal höher zu stellen, und Sie fragen bei mir an, welche
literarische Hilfsmittel und welchen Studiengang etwa
ich Ihnen anrathen würde für diese erste kühne Ex-
pedition in's Reich der Kunst. Ehe ich Ihre Frage be-
antworte, lassen Sie mich Ihnen sagen, wie sehr mich
dieselbe gefreut hat. Solch bescheidenes, entschlossenes
Fragen ist selbst schon eine That; mit dieser An-
frage haben Sie bereits einen glückverheissenden
Anfang im Kunststudium gemacht. Ohne Prophet
zu sein, kann ich Ihnen voraussagen, dass Sie von
jetzt an unlöslich verbunden bleiben werden mit der
hl. Kunst, in ifreien Stunden mit immer junger und
immer neu verjüngender Liebe zu ihr kommen, manche
erquickende Brautreise mit ihr machen und in trüben
und schweren Zeiten ihr Erleichterung und Trost
danken werden. Denn in dem Punkte trägt die Kunst,
„Gottes Enkelin", das Mal ihrer göttlichen Verwandt-
schaft, dass man auch sie bloss zu kennen braucht, um
sie zu lieben, und bloss zu lieben, um von ihr geliebt
zu werden mit beglückender und bereichernder Liebe.

Für den Anfang, das erwarten Sie nicht anders,
habe ich Ihnen Arbeit, nicht Genuss zu bieten. Aber
fürchten Sie nicht, dass ich schulmeisterlich Ihre ersten
Forschungswege einengen und einzäunen, dass ich Sie
an Ein Buch binden und ketten werde. Sie sollen
Spielraum haben, selbst prüfen und wählen können,
was Ihnen konvenirt. Ich gedenke Ihnen in aller
Kürze die Bücher vorzuführen, welche für Ihr Bedürf-
niss in Betracht kommen können, — Wahl und Ent-
scheidung ist dann Ihre Sache.

Zunächst handelt es sich für Sie darum, das ABC,
die Elemente der Kunst, vornehmlich der christlichen,
zu erlernen. Das ist eine nicht sehr erquickliche, aber
unumgänglich nothwendige Arbeit, deren Schwerpunkt
ins Gedächtniss fällt. Nächstes Ziel ist Kenntniss der

Hauptentwickelungsphasen der Kunst, der vornehmsten
Stile und ihrer charakteristischen Formen und An-
eignung der auf dem Gebiete der Kunst geltenden
termini technici. Auf dieser ersten Stufe haben Sie
vor Allem die Bekanntschaft mit der Architektur,
der Königin der Künste, zu machen; erst nach ihr
und durch sie können Sie dann zur Plastik und Malerei
und zum Kunstgewerbe in nähere Beziehung treten.

Auf,kleinstem Raum, in didaktisch präciser, leicht-
fasslicher Form vermittelt die elementaren Stilkennt-
nisse der in achter Auflage erschienene Katechis-
mus der Baustile von Dr. Ed. Freiherr von
Sacken (Leipzig, Weber 1886, Preis 2 M.). Der in
Fragen und Antworten geschlossene Text, illustrirt
durch 103 Abbildungen, bietet einen für die erste
Orientirung genügenden und geeigneten Ueberblick
über die antiken und christlichen Baustile und zugleich
über die wichtigsten Hauptbauten ; ein alphabetisches
Register sammelt die Kunstausdrücke je mit bündiger
Erklärung. Auf etwas breilerer Grundlage und in
weniger trockenen Formen bewegen sich der Leitfaden
von A. H. Springer (Die Baukunst des christ).
Mittelalters. Mit 300 Figuren; Bonn, Henry und
Cohen 1854) und die Formenlehre von Laib und
Schwarz (Formen], des rom. und goth. Bau-
stils. Mit 12 Tafeln; Stuttg., Rümelin 1858. 2. verm.
Aufl.), welche nicht bloss aus Pietät, als Bahnbrecher
für die neuen Kunstbestrebungen um die Mitte unseres
Jahrhunderts, genannt werden müssen, sondern auch
weil sie heute noch mit Nutzen studirt werden, trotz-
dem sie mit noch spärlichem kunsthistorischem Material
arbeiten und in vielen Detailfragen überholt sind. Schon
einige Vorkenntnisse und energisches Denken setzt
voraus die neueste und beste, dreitheilige Stillehre von
Alois Hauser (Stillehre der architektoni-
schen Formen desAlterthums — des Mittel-
alters — der Renaissance, 2. Aufl.; Wien, Holder
1880—84). Sie steht ganz auf der Höhe der Zeit, ver-
fügt über einen Reichlhum von fast 400 vortrefflichen
Originalholzschnitten und verleiht in musterhaft klarer
Darstellung einen Einblick zuerst in die konstruktiven
Elemente eines jeden Stils, dann in die Variationen des-
selben in den verschiedenen Ländern, ferner in die Ge-
staltung der einzelnen Bautheile und des Ornamentes.

Wenn es sich nun darum handelt, allmählich den
Blick zu erweitern und auch auf die andern Kunst-
gebiete überzuleiten, so kann in erster Linie das gut
illustrirte Buch von A. Reichensperger, Finger-
zeige auf dem Gebiet der kirchl. Kunst
(Leipzig, Weigel 1854) genannt werden, welches seit
seinem Erscheinen unberechenbar viel Segen geschaffen
hat. Selbst vom emjnent praktischen Gesichtspunkt
aus verfasst, lehrt es am besten den Uebergang von
der Theorie zur Praxis und fuhrt es ein in die wich-
tigen Fragen der Neubauten, Restauration, inneren
Ausschmückung der Kirchen und der Herstellung des
Kirchengerälhes. Lübkes Vorschule zum Stu-
 
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