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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Berliner Ausstellungen
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Ring, Grete: Die Sammlung Boisserée
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https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0024

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Die Sammlung Boisseree

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Bei Cassirer stand die Pankok-Ausstellung, die
vor einiger Zeit bereits in der Zeitschrift für bildende
Kunst eingehend gewürdigt wurde. Daß Pankok ein
Zeichner von Rang ist, beweisen auch noch seine
malerisch wenig glücklichen neuen Porträtversuche.
Er behandelt die Farbe als Kunstgewerbler und ver-
steht nicht, ihren Materialcharakter umzusetzen, wie
es jede bildhafte Erscheinung verlangt. So wirkt seine
Malerei wie Vorlage für Stickerei, und nicht umsonst
hält er sich mit Vorliebe an bunte und reich ge-
musterte Stoffe, um seinen Bildern eine Farbigkeit
mitzuteilen, die nichts mit ihrem zeichnerischen Ge-
rüst zu tun hat.

Erwähnt sei endlich, daß im Kupferstichkabinett
zum Gedächtnis des jüngst verstorbenen Otto Greiner
eine Ausstellung seiner Lithographien und Kupferstiche
veranstaltet wurde. Es ist nicht nötig, an dieser Stelle
auf Vorzüge und Schwächen dieses oft gewürdigten
Talentes einzugehen, auf die Prägnanz der Zeichnung
einerseits und andererseits den Mangel einheitlichen
Sehens, der den Versuchen des Künstlers, zur großen
Bildkomposition zu gelangen, immer hindernd im
Wege gestanden hat. GLASER

DIE SAMMLUNG BOISSEREE

Von Grete Ring

Vor einigen Monaten sprach der Münchner Be-
richt der Kunstchronik von der Absicht einer erneuten
Umordnung der Alten Pinakothek. Dabei wurde die
Abtrennung der Sammlung Boisseree und ihre ge-
sonderte Aufstellung im unteren Geschoß des Galerie-
gebäudes erwogen. — Die Sammlung Boisseree, nach
überkommener Wertung Herz und Kern der altdeutschen
Abteilung der Pinakothek, Münchens vornehmster
»gotischer« Besitz — würde ihre Aussonderung das
gewohnte Bild des Obergeschosses nicht wesentlich
beeinträchtigen? Man überlegte und kam zu dem
überraschenden Ergebnis, daß die Veränderung sich
als eine vergleichsweise geringfügige darstellen könnte,
daß die Sammlung nie eigentlich mit dem Grundstock
der bayerischen Bestände zu einem einheitlichen Ganzen
hatte verschmelzen wollen. Man entsann sich, wie
leicht es stets gehalten hatte, die kleinformatigen, sorg-
sam durchgeführten Bilder mit ihrer Bevorzugung ge-
brochener Schillerfarben und ruhig kontemplativer
Sujets aus der Gesamtmasse herauszulesen. Um sich in
der kräftigen Umgebung derart zu behaupten, mußte die
Sammlung den Niederschlageines bestimmt orientierten
Geschmacks,eines bewußtenSammelwollens darstellen;
der allgemeine Gegensatz der Kunstübung Oberdeutsch-
lands und der niederdeutschen — Boissereeschen
Sammel- — Gebiete kann als Erklärung nicht allein
befriedigen. In der Tat bedeutete die Sammlung ein
Programm: ihr fiel es zu, Illustrationen zu dem Be-
griff herbeizuschaffen, den die Romantik um 1800
sich in kühn vorwegnehmender Theorie von altdeutscher
Art und Kunst gebildet hatte. Daß im Deutschland
der Gotik eine Malerei geblüht hatte, daß sie der
italienischen Kunst der Zeit ebenbürtig, wenn nicht
überlegen gewesen war, davon mußten die Schlegel,

die Tieck und Wackenroder nach ihrer allgemeinen
nationalen Geisteshaltung von vornherein überzeugt
sein. Wenn das Bild, das sie sich von dieser Kunst
machten, nicht präzis war, gingen doch ihre Erwar-
tungen nach einer bestimmten Richtung hin. So er-
sehnt Tieck: »Ruhige fromme Heerden, alte Hirten im
Glanz der Abendsonne und Engel, die in der Ferne
durch Kornfelder gehn ... Kein wildes Erstarren, keine
erschreckten durcheinandergeworfenen Figuren . . .«
(Sternbald 1798. I, p. 48); sein Lob gilt dem »un-
schuldig frommen und lieblichen«, der »frömmsten
und rührendsten Art«. Ebenso wünscht Friedrich
Schlegel (Europa 1803. I, p. 114): »keine verworrenen
Haufen von Menschen, sondern wenige und einfache
Figuren, aber mit Fleiß vollendet. . . strenge, ja
magere Formen in scharfen Umrissen . . . reine Ver-
hältnisse und Massen von Farben wie in deutlichen
Accorden . . . überall jene kindliche und gutmütige
Einfalt und Beschränktheit . . .« Die Sätze klingen
wie gewolltes Lob der kölnischen Schule, wie bewußte
Absage an oberdeutsche Art. Der Sammler, der mit
dem bildenden Künstler der Zeit die Befehle der Ro-
mantik entgegennahm, mußte bemüht sein, Denkmale
aufzuzeigen, die den Forderungen eben dieser Leit-
sätze entsprachen. So kamen die Brüder Boisseree
mit dem Freunde Bertram, den Meistern der Romantik
in Freundschaft verbunden, zum nahezu ausschließenden
Sammeln niederdeutscher Kunst, nicht allein, weil sich
ihnen als Kölnern am Niederrhein das natürliche
Sammelgebiet bot, als weil sie erkannt hatten, daß
hier die beste Erfüllung des romantischen Idealbegriffs
vom »Altdeutschen« zu finden sei. Oberdeutsche
Kunst blieb ihnen dabei von Anfang an nicht fremd.
Die Boisseree und Bertram waren nicht die einzigen
Sammler ihrer Stadt, die Lyversberg, Wallraf, Fochem
hatten in gleicher Weise gesucht, Denkmale der Ver-
gangenheit, die durch die Klostersäkularisation der Jahre
1803—1804 zugleich ans Tageslicht gefördert und mit
Untergang bedroht waren, zusammenzubringen und
der Heimat zu erhalten. Doch während ihre Tätig-
keit sich als vorwiegend praktisch konservierende dar-
stellt, stand bei den Boisseree das Programm im
Mittelpunkt: einsichtig erkannte Sulpiz, der ältere und
wortführende der Brüder, die mangelnde Material-
kenntnis seiner Anreger und sammelte mit der deut-
lichen Absicht, dem allgemeinen sentimentalisch-
rotnantischen Mittelaltersbegriff durch tatsächliche
Belege lebendigen Inhalt zu geben. Er schreibt 1811
an Fr. Schlegel (Sulpiz Boisseree. 2 Bände. Stutt-
gart 1862. I, p. 96: »Wenn ich erwäge, was Sie in
der Europa über die alten niederländischen und köl-
nischen Gemälde geäußert haben, und bedenke, wie
wenig alte Werke verhältnismäßig uns damals be-
kannt waren...« Und weiter an den jüngeren Bruder
Melchior: »Ich habe darauf geboten, was mir jetzt fast leid
thut, weil ich sehr gewissenhaft bin, nichts zu kaufen, was
nicht unmittelbar in unsere Sammlung eingreift (a. a.
O. I, p. 221). — Durch die glückliche Wechselwirkung
von lokalem Zufall und planvoller Sammelabsicht kam
die Sammlung Boisseree dazu, die romantische Samm-
lung kat'exochen zu werden: es war folgerichtig, wenn
 
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