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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Hagen, Oscar: Zur Frage der Italienreise des Matthias Grünewald
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 9. 24. November 1916

1>r- Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und Augusi nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
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ZUR FRAGE DER ITALIENREISE DES
MATTHIAS GRÜNEWALD
Von Oscar Hägen

Die alte Lust an rhetorischer Antithese bedient sich
gerne eines Vergleichs von Dürer und Grünewald auch
in dem Sinne, daß jener sein Deutschtum gleichsam
verleugnend, allein nach welscher Schönheit verlangt
habe, dieser hingegen in Deutschland bleibend, von
südlicher Kunst unberührt geblieben sei. Mögen sich
die Zeichen noch so sehr häufen, daß auch Grüne-
wald einmal über die Alpen gegangen ist; man will
doch augenscheinlich nicht daran glauben, als fürchte
man, seine Selbständigkeit möchte dabei verlieren.

Die redenden Quellen dafür sind allerdings nicht
schriftlicher Art. Nur die Malereien bringen ab und
zu einen Anklang, der nach einer Erklärung aus
anderer Kunst verlangt. Und die ist nicht ganz leicht
zu geben. Das Selbstporträt, das Meister Matthias von
sich im Sebastian des Isenheimer Altars gemalt hat,
steht im plastischen Bewegungs- und Stellungsmotiv so
sehr als Ausnahme in der sonst üblichen Ausdrucks-
weise des Malers da, daß man sich gezwungen ge-
sehen hat, systematisch nach dem Vorbilde zu forschen.
Die Vermutung, es könne sich dabei um eine An-
lehnung an den Erlöser Michelangelos in S. Maria
sopra Minerva zu Rom handeln, ist schon aus chrono-
logischen Gründen von Schmid zurückgewiesen worden;
dafür fand er dann eine Figur aus dem Mantegnaschen
Triumphzug Casars, die Grünewald in Aschaffenburg
selbst aus einer Kopie hätte kennen lernen können1).
Das hatte obendrein den Vorzug, daß man den Meister
nicht brauchte außer Landes gehen zu lassen; und man
darf es keinem Forscher übel nehmen, wenn er etwa
sagen würde: Warum wegen einer einzigen im Kontra-
post reich bewegten Figur gleich nach fremdem Gut
schürfen und der deutschen Kunst jede Entwicklung
aus dem Eigenen beschneiden wollen? Man meint
eben, es müsse wie bei Dürer sich der Bruch zeigen
lassen, wo das Fremde plötzlich eintritt und den Künst-
ler für eine Weile aus der Bahn wirft. Eine Erklärung
solcher oder ähnlicher Übereinstimmungen im Ein-
zelnen durch einen »Zufall« erscheint also zunächst
berechtigt.

Doch wird dies Gegenargument nun allerdings von
seiner Kraft einbüßen müssen, wenn es sich nicht mehr
um die Übereinstimmung einer einzelnen Figur, sondern
um die offenkundige Anlehnung an eine ganze Kom-
position handelt, die Grünewald nur aus einem Bilde
entnommen haben kann, das sich in Florenz befand
und heute noch befindet.

1) H. A. Schmid, Matthias Orünewald, Straßburg 1911,
S. 146.

Bei dem Auftauchen solcher »Entdeckungen« pflegt
den Forscher ein nur zu berechtigter Skeptizismus an-
zukommen. Ich denke aber, der entbehrt in unserm
Falle jeden Grundes. Auch bringe ich meine Be-
obachtung nicht übereilt; sie wurde ganz zufällig vor
ein paar Jahren gemacht, und ich würde sie auch
heute bei aller Folgenschwere, die sie mit sich bringt,
nicht der Veröffentlichung für wert halten, wenn mir
H. A. Schmid nicht in der liebenswürdigsten Weise
brieflich mitgeteilt hätte, daß er in den Hauptpunkten
meiner Ansicht sei.

Schon Heinz Braune hat bei der ersten Anzeige
seiner Entdeckung, daß das damals in der Münchner
Universität befindliche Bild der »Verspottung Christi«
ein Jugendwerk Grünewalds sei (Repert. XXXII, S. 501 ff.)
auf die Einzigartigkeit der ikonographischen Anord-
nung des Bildes verwiesen. Und diese gibt sich in
der Komposition mit einer so ausgesprochenen inneren
Notwendigkeit, ist scheinbar so ganz aus dem seelisch
neu nacherlebten biblischen Vorgang geboren, daß
man eher eine eigene Ästhetik und Ausdruckslehre
Grünewalds auf dem Verhältnis der Form zum Inhalt
der Erzählung dieses Bildes aufbauen möchte als
glauben, daß der Maler sich dabei enger als wir es
sonst bei ihm kennen, an ein fremdes Vorbild ange-
lehnt habe. Dennoch aber ist es so; zufällige Be-
kanntschaft mit einem starken Kunstwerk fremder Art
muß in ihm so nachgewirkt haben, daß er später,
vielleicht ohne es zu wollen, darauf zurück kam, als
es galt stofflich Verwandtes bildlich zu erzählen. Es
ist der seltenere Fall der Entlehnung: das Erinnerungs-
bild ist unmerklich zum wirklichen geistigen Eigen-
tum geworden.

Das formal Auffallendste an der Verspottung Grüne-
walds ist die unerhört sicher verkürzte Gestalt des
Schergen rechts im Vordergrunde, der vom Rücken
gesehen, den Kopf in verlorenem Profil auf sein Opfer
zurückwendet, während er es mit einem in der Linken
gehaltenen Tau in die Höhe zu reißen sucht, dessen
anderes Ende die Rechte wie eine Hetzpeitsche schwingt.
Schmid hat dazu ein sehr ähnliches Motiv in einer
frühen Zeichnung von Jörg Breu aufzeigen können
(Abb. a. a. O. Nr. 68), ohne allerdings eine Abhängig-
keit irgendwie beweisen zu wollen. Er bringt die
Analogie nur zur Illustration der Tatsache, daß solche
stark verkürzten Vordergrundsfiguren bei vielen ober-
deutschen Malern damals aus räumlichen Rücksichten
auftauchen. Dennoch darf für Grünewald nicht über-
sehen werden (und es ist auch Schmid nicht ent-
gangen), daß die Figur des Schergen »neben den
späteren Schöpfungen freilich beinahe befremdend
und akademisch wirkt, so korrekt sitzt hier alles«.
Und zu dieser sehr treffenden Beobachtung stimmt
 
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