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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Kasseler Brief
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 12. 15. Dezember 1916

Du- Kunstchronik und der Kunstmarkt erscnemen am frei tage jeder Woche (im Juli und Augusi nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
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KASSELER BRIEF

In dem letzten Bericht über künstlerische Begeben-
heiten in Kassel (Kunstchronik vom 1. Oktober 1915)
war über ein Preisgericht berichtet worden, das sich
mit den Entwürfen für ein städtisches Schwimmbad
zu beschäftigen hatte. Das Endergebnis des Preisaus-
schreibens war die Einsicht, daß mit dem ungewöhn-
lichen Bauplatz schwerlich eine gute Lösung zu ge-
winnen sein würde, und daß die Aufrichtung eines
Monumentalbaues an dieser Stelle nur dann eine erfolg-
reiche künstlerische Lösung verspräche, wenn die ganze
Umgebung in großzügiger Weise umgestaltet würde.

Auf Grund dieser Erkenntnis wurde nunmehr ein
neues Preisausschreiben erlassen; zuvor aber, nachdem
die Stadt durch Zukauf eines unschön in das Terrain
einschneidenden Eckhauses die Grundrißfrage verein-
facht hatte, vom Stadtbauamt eine über den Schwimm-
badbau hinausgreifende Aufgabe gestellt, nämlich Ent-
wurf für einen geschlossenen Platz, an dessen zweiter
Hauptseite ein dem Bad ähnlicher Monumentalbau,
dessen Zweck vor der Hand unbestimmt bleibt, pro-
jektiert ist, dessen schmale Eingangsseite nach der
in schrägem Zuge hin auslaufenden Straße(»Königstor«)
durch ein Tor geschlossen wird, während die andere
Schmalseite ältere Bauten in stumpfer Ecke schließen.
Das Stadtbauamt griff hier auf ein altes Projekt des
namhaften Baumeisters aus der Zeit des Landgrafen
Karl, Du Ry, zurück, dem die Anlage des ganzen
neueren Teils von Kassel, der sog. Oberneustadt, ver-
dankt wird. Schon dieser hatte an gleicher Stelle eine
solche Platzanlage mit Tor in Aussicht genommen;
diese ist in der Achse des Königstors liegend gedacht
und mündet schräg auf eine der zur großen Hauptader,
der Königstraße, rechtwinklig zuführenden Seitenstraßen.

Für dieses neue, viel einfachere und zugleich be-
deutendere Projekt waren sämtliche Baumeister der
Provinz Hessen - Nassau aufgefordert, ferner der Er-
bauer unseres Rathauses, Professor Karl Roth in Dresden,
der seither die neuen Rathäuser in Dresden und Bar-
men erbaut hat, eingeladen. Ende Oktober hat das
Preisgericht, dem als auswärtige Sachverständige Stadt-
baurat Hofmann-Berlin und Stadtbaurat Schaumann-
Frankfurt angehörten, seine Entscheidung getroffen.
Den ersten Preis erhielt Prof. Roth-Dresden, den zweiten
Architekt Hummel-Kassel, der Erbauer unserer Stadt-
halle und erster Preisträger für den Stadtbau an der
Fuldabrücke; der dritte Preis wurde zweimal: an den
Architekt Spitzner-Hanau und die Herren Baurat Karst
und Architekt Fanghänel, die Erbauer unseres Hof-
theaters und des Kaufhauses Tietz, verliehen; ferner
wurden die Entwürfe von Zollinger-Wiesbaden und
Baum, zur Zeit im Felde, zum Ankauf empfohlen.

Eine Durchsicht der ausgestellten Entwürfe ergab,
daß man sich in der Hauptsache mit der Entscheidung
der Jury einverstanden erklären mußte. Sieht man als
Haupterfordernis eines eminent praktischem Bedürfnis
dienenden Baues die Klarheit in der Anlage der Räume
an, so stach der von Roth vorgelegte Grundriß durch
die Vereinigung von Übersichtlichkeit und Schönheit
ganz offenkundig hervor. An eine große Eingangs-
halle legen sich rechts und links parallel zur Haupt-
fassade die großen Schwimmbäder; rückwärtig zu der
Eingangshalle sind die anderen Räume angeordnet.

Dagegen erscheint die Lösung der Fassade darum
weit weniger glücklich, weil der besondere Zweck
des Gebäudes nicht genügend zum Ausdruck gebracht
ist. Was haben Wohnhausfenster, an denen später
jedes Kennzeichen des bewohnten Raumes fehlt, an
einer solchen Fassade zu suchen? Nur im obersten,
durch einen durchgehenden Balkon von den anderen
Geschossen gesonderten Stockwerk deuten große
Fenster auf das hohe Seitenlicht, das von hier aus in
die Hallen einfällt.

Der zweite Prejsträger hatte in richtiger Erkennt-
nis deshalb die Schwimmhallen schräg nach rückwärts
gelegt und nach vorn Badezellen und andere Einzel-
räume gebracht, so daß der Wohnhauscharakter der
Fassade hier mehr gerechtfertigt erscheint; auch an-
dere Entwürfe hatten in anderer Weise diese beiden
Haupträume mehr nach hinten geschoben. Eine be-
sonders künstlerische Grundrißanlage bot ein leider
von der Jury nicht berücksichtigter Entwurf (Nr. 9;
wie ich höre, von Regierungsbaumeister Kaiser und
Bildhauer Sautter, beide in Kassel), mit ovaler Ein-
gangshalle, vier darum gelegte Wendeltreppen, schräg
dazu, nebeneinander die beiden Hallen. Die einzige
Fassade, diesinnfälligklar machte, daß hinterden Mauern
keine Wohnräume zu suchen sind, eine schöne Schau-
seite im frühilalienischen Geschmack, bot ein anderer,
gleichfalls nicht preisgekrönter Entwurf (Nr. 10).

Die Plalzanlage war mit Ausnahme von Zollinger-
Wiesbaden, der sie reizvoll in Achteckform geplant
hat, als Rechteck angenommen. Sehr hübsch der
ovale Abschluß von Nr. 9; wahrhaft monumental der
große Torbogen von Hummel (2. Preis); eine gute
Lösung auch das schlichte dorische Tor von Roth.

Man darf sich nicht verhehlen, daß, falls sofort
nach Beendigung des Krieges der Bau in Angriff ge-
nommen wird — voraussichtlich nach dem Entwurf
von Roth —, das Ganze Fragment bleibt und nur
unvollkommen die künstlerische Absicht zum Ausdruck
bringt, wenn nicht bald der gegenüberliegende Bau
und das sie verbindende Tor folgen. Und da er-
hebt sich die Frage, welchem Zweck der zweite Monu-
mentalbau dienen wird. Denn bei der geschlossenen
 
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