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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0131

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 24. 9. März 1917

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
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EIN JUBILÄUM DES STÄDELSCHEN INSTITUTES

Von Karl Simon

Auch in der tiefen Erregung unserer Tage, die so
ganz anders orientiert ist, muß doch an dieser Stelle
— für die auch eine Umkehrung des Wortes: »Inter
arma silent Musae« ihren Sinn hätte — eines Tages
gedacht werden, der für die Geschichte deutschen Kunst-
sinnes und deutscher Kunstpflege von entscheidender
Bedeutung geworden ist. Am 2. Dezember hatte der
Frankfurter Handelsmann Johann Friedrich Städel
die Augen zum ewigen Schlummer geschlossen, und
am 10. März 1817 wurde das von ihm gestiftete
und nach ihm genannte Kunstinstitut in das Vermögen
des Stifters förmlich eingesetzt; damit trat die neue
Anstalt wirklich ins Leben. Wir heutzutage
können uns nur durch geschichtliche Betrachtung und
Vergleichung einen Begriff von der epochalen Bedeu-
tung bilden, die dieser Stiftung tatsächlich zukommt.

Die Vorstellung von Kunstsammlungen, die ein Be-
sitz der Allgemeinheit und öffentlich zugänglich sind,
ist uns heute jedenfalls völlig in Fleisch und Blut
übergegangen: zur Zeit J. Fr. Stadels bedeutete sie et-
was Neues. Zwar »Natura non facit saltus«, und auch
nicht die geistige Entwicklung: wir müssen sogar auch
hier in das klassische Altertum zurückgehen, wenn
wir die ersten Wurzeln dieses Gedankens, der sich
in der Städelschen Stiftung ausspricht, bloßlegen wollen.
M. Vipsanius Agrippa, der erfolgreiche Feldherr der
Augusteischen Zeit (gest. 12 n. Chr.) hat bereits den
Gedanken, private Kunstsammlungen der Allgemein-
heit zugänglich zu machen, erörtert und begründet —
aber dann allerdings erlischt diese Idee für mehr als
anderthalb Jahrtausende und nur schüchtern erhebt sie
wieder ihr Haupt. Ein erster Anlauf dazu sind schon
die von der Pariser Akademie seit 1667 jährlich regel-
mäßig veranstalteten Kunstausstellungen; bis dann 1753
im Britischen Museum ein Institut geschaffen wurde,
das grundsätzlich dem öffentlichen Besuch des Pu-
blikums geöffnet sein sollte. Tatsächlich wurde dieser
Besuch freilich so erschwert, daß von einer breiteren
Wirkung keine Rede sein konnte.

Erst in Frankreich sprengte die Revolution die
Pforten endgültig, hinter denen bis dahin die Kunst-
schätze des absoluten Königtums, sowie der Kirchen und
Klöster, unzugänglich für die breite Masse, ein verbor-
genes Dasein geführt hatten — nachdem ein schwacher
Versuch, diese Verhältnisse zu ändern, anfangs der
fünfziger Jahre, nicht lange Bestand gehabt hatte.

Vom27.Juni 1793 datiert der Beschluß des Konvents,
das Nationalmuseum in der großen Galerie des Louvre
zu eröffnen. Schon vorher aber, am 26. Januar 1793,
hatte Städel testamentarische Bestimmung über die

Stiftung eines besonderen Kunstinstitutes »zum Besten
hiesiger Stadt und Bürgerschaft« getroffen. So ist der
Absicht nach der einfache Frankfurter Bürgersmann
den Beschlüssen der Vertretung des großen franzö-
sischen Volkes zuvorgekommen, wenn auch gewiß
die diesem Beschluß vorangegangenen Verhandlungen
nicht ohne Einfluß auf ihn gewesen sind.

Die politischen Veränderungen, denen Frankfurt in der
Napoleonischen Zeit ausgesetzt war, veranlaßten Städel
zu einer zweimaligen formalen Abänderung seiner
Bestimmungen, die am 12. März 1815 ihre endgültige
Fassung erhielten.

Inzwischen war die Idee eines öffentlich zugäng-
lichen Kunstbesitzes auch in Frankfurt selbst auf dem
Marsche gewesen. Carl von Dalberg, Fürstprimas,
dann Großherzog von Frankfurt, hatte aus den 1802
säkularisierten Kirchen und Klöstern die wertvollsten
Gemälden durch Ankauf vor Verschleuderung oder
gar Vernichtung bewahrt und sie der unter seiner Mit-
wirkung gegründeten, wissenschaftlich-künstlerischen
Zwecken dienenden Gesellschaft »Museum« zum Ge-
schenk gemacht. So »bildete denn diese, wenigstens
einer beschränkten Öffentlichkeit zugängliche kleine
Galerie, die heute in dem historischen Museum der
Stadt aufgegangen ist, den ersten sichtbaren Anfang
des späteren öffentlichen Sammlungswesens in Frank-
furt« (Weizsäcker).

Auch der Frankfurter Senator Johann Karl Brönner
hatte wohl eine ähnliche Idee wie Städel, wenn er
seine ganze Sammlung von Kupferstichen »zum
Nutzen des hiesigen Publikums aufzubewahren«
wünschte und sie ebenfalls der Museumsgesellschaft
überwies. Auch des Freiherrn Simon Moritz v. Beth-
mann muß kurz gedacht werden, der eine gewählte
Sammlung von Gipsabgüssen nach Antiken, sowie
einige moderne Plastiken in einem besonderen kleinen
Bau der Öffentlichkeit zugänglich machte.

Nichtsdestoweniger bleibt die Charakteriesierung
Stadels als des »Dekans aller hier lebenden echten
Kunstfreunde« durch Goethe zu Recht bestehen. Die
Priorität des Gedankens, eine private Sammlung von
Kunstwerken dauernd öffentlich zu machen, also eine
öffentliche Kunstsammlung für alle Zeiten zu
begründen, gebührt ihm in allen diesen Fällen, und
die Größe der ihm zu diesem Zweck zur Verfügung
stehenden Mittel war von vornherein überragend.

Bemerkenswert ist die von jedem Überschwang
sich frei haltende Art des Stifters, die sich in der
Fassung des Stiftungsbriefes ausspricht; schlicht und
einfach, ja nüchtern heißt es — und in der Betonung
des Nutzens dokumentiert sich deutlich der Sohn des
Aufklärungszeitalters —: »Meine Sammlung von Ge-
mählden, Handzeichnungen, Kupferstichen und Kunst-
 
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