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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Greiners erste Italienfahrt
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Verschiedenes / Inserate
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 8. 17. November 1916

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und Augusi nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlapshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
Abonnenten der Zeilschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

QREINERS ERSTE ITALIENFAHRT

In mehreren Nachrufen auf den zu früh vollendeten
Greiner habe ich die Angabe gefunden, daß er 1892 nach
Italien gekommen sei. Das ist nicht völlig zutreffend; es
war vielmehr der Herbst 1891, der ihn zum erstenmal mit
dem Land in Berührung brachte, das seine zweite Heimat
und der Boden seiner eigentlichsten künstlerischen Be-
tätigung werden sollte.

Ende September oder Anfang Oktober erschien er in
Florenz. Die Mittel zur Reise verdankte er, irre ich nicht,
der Hochherzigkeit eines verehrten Münchener Künstlers,
der im stillen Viel Gutes an jüngeren Kollegen getan hat.
Greiners Ansprüche an das tägliche Leben waren die be-
scheidensten. Da er die italienische Sprache damals kaum
in den ersten Anfangsgründen beherrschte, war ich ihm,
der aus München an mich empfohlen war, in allerhand
praktischen Dingen behilflich: beim Mieten eines beschei-
denen Zimmers (unweit von Sto. Spirito), bei der Ein-
führung in ein paar der kleinen Trattorien, wo man damals
noch für sehr wenig Geld trefflich speiste. Er fand sich
überraschend schnell in die neuen Verhältnisse. Mit der
Familie, bei der er wohnte, saß er abends plaudernd zu-
sammen, freundete sich mit den einfachen Leuten in seinem
Stammlokal an, deren lebhafte Gestikulation und beweg-
liche Physiognomien ihn interessierten.

Einer der ersten Wege, die ich mit ihm machte, war,
einen großen Stehspiegel leihweise ausfindig zu machen.
Um am Modellgeld zu sparen, auch weil er kein Atelier
in Florenz mieten wollte, stand er sich gern selbst Modell.
Es war ein Zeichen seiner bewundernswerten Energie, wie
er oft in schwierigen Stellungen stundenlang arbeitete.

Als wir eben etwas miteinander bekannt geworden
waren, eines Abends beim Wein, holte er seine Brieftasche
hervor und entnahm dieser einen Brief. Die kühnen Züge
der Handschrift waren wohlbekannt: Menzels Hand. Es
war der prachtvolle Brief, den Menzel dem noch völlig
unbekannten Künstler, der in einem Augenblick der Un-
sicherheit sich mit einer Sendung seiner ersten Arbeiten
an ihn gewandt hatte, als Antwort sandte (in Nr. 2 der
»Kunstchronik« nach der Ausgabe von Hans Wolff ab-
gedruckt). Wie einen Talisman trug er ihn stets bei sich;
hatte er doch auch alle Ursache, auf diese knurrige Anteil-
nahme des greisen Meisters, die sich darin kund tat, stolz
zu sein. Ob er freilich den ihm von Menzel erteilten Rat
— »auch hübsch was zu lesen, nicht lauter Dichtung, auch
nicht lauter Künstler Geschichte, aber Geschichte« — be-
folgte, weiß ich mich nicht zu erinnern; was ich aber
weiß, ist, daß ihm damals Dante nahetrat (wo könnte das
auch eher geschehen, wie auf Florentiner Boden!). In ihm
dunkel ringende Gebilde nahmen nun greifbare Form an.
Er erzählte eines Abends, wie ihn seit langem die Vor-
stellungen von stark bewegten Körpermotiven erfüllt hätten;
nun stünde ihm mit einem Male klar vor Augen, was bis
dahin verworren mar. Er hat mir damals den Vorschlag
gemacht, einen Dante mit Zeichnungen seiner Hand zu
schmücken; er traute sich zu, jeden Monat ein Blatt ent-
werfen zu können. Das einzige vollendete Werk aus diesem
Gedankenkreis heraus ist, soviel ich weiß, die bekannte
Radierung »Dante und Virgil in der Hölle« geblieben.

Mir aber war dieses kleine Erlebnis, wie Greiner nicht
aus dem gegebenen Stoff zu bildkünstlerischen Vorstellun-
gen angeregt wurde, sondern wie umgekehrt ihn beschäf-
tigende Vorstellungen feste Form gewannen durch das
äußere Erlebnis der Bekanntschaft mit dem Dichter, neu
und im höchsten Maße lehrreich. Denn noch wurde es
mir schwer, mich mit der damals in den Kreisen der jungen
Künstler platzgreifenden Theorie anzufreunden, die das
»Gedankliche« völlig ablehnte. Die Art, Dinge zu erfassen
und Eindrücke prägnant wiederzugeben, wie sie Greiner zu
eigen war, konnte dabei eines starken Eindrucks nicht ver-
fehlen. In Notizen, die mir aus jenen Tagen übrig geblieben
sind, finde ich über ihn: »Wunderbar, wie ein solcher ganz
einfacher Mann für alles, was er sagen will, das passendste
Wort hat. Was er spricht, hat Mark; kein Wort Geschwätz.
Er denkt auch nicht; durch den Zufall von Lichteffekten
kombiniert sich etwas für ihn, das im Fortschreiten ein
Bild wird. Er hat schon prächtige Studien hinter der
Certosa gemacht. Behauptet, daß alle die unter seinen
Kollegen, die immer von ihren Gedanken gesprochen
hätten, nichts leisteten«1).

Von künstlerischen Eindrücken, die ihm Florenz zu
bieten hatte, war die Bekanntschaft mit Botticelli der stärkste.
Noch erinnere ich mich, wie er von der »Primavera« be-
geistert war. Wie jeder ganze Künstler, war auch er beim
Betrachten alter Kunst ganz auf die Suche nach »Ahnen«
eingestellt. Was seiner Art nicht lag, lehnte er ab. — In
die Zeit seines kurzen Florentiner Aufenthalts fiel ein Er-
eignis, das alle in Erregung versetzte: die Fortnahme
des hl. Georg von Donatello aus der Nische von Or San
Michele. Die völlig überflüssige Einsperrung der Figur in
den kalten Raum des Bargello, die Schädigung, die das
große Kunstwerk dadurch für immer erfuhr, empörte ihn,
wie uns, den kleinen Kreis von Künstlern und Kunst-
historikern, der sich ein paarmal in der Woche abends
traf. Vor der leeren Nische, die den Heiligen mehr als
viereinhalb Jahrhundert umschlossen hatte, haben wir in
einer Novembernacht in erregter Diskussion lange verweilt.

Greiners Aufenthalt in Florenz dauerte nur kurz. Etwa
zwei Monate. Schon Ende November, glaube ich, ging er
weiter nach Rom. Das Bewußtsein, Klinger dort zu finden,
lockte ihn; auch mochte er ahnend empfinden, daß dies
der Boden war, der seiner Anlage reichste Frucht
verhieß. Gronau.

VEREINE

Kunstwissenschaftliche Gesellschaft in München.

22. Juli 1916. An Stelle einer Sitzung fand eine Führung
durch die Wilhelmischen Teile der Kgl. Residenz
in München statt, bei welcher Herr P. Frankl die Ergeb-
nisse seiner Untersuchungen darlegte, so wie er sie im
Nachfolgenden zusammengefaßt hat:

In den Hauptzügen übernehme ich die Forschungs-
ergebnisse, die G. v. Bezold im Inventar niedergelegt hatte.

1) Dans l'art, dire n'est rien, faire est tout. L'idee,
qui se cache sous un tableau de Raphael, est peu de chose;
c'est le tableau seul qui compte (Renan).
 
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