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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Olaf Gulbransson
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 11. 8. Dezember 1916

Die Kunstchronik und der Kunstniarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr.IIa.
Abonnenten der Zeilschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

ERICH HECKEL

Vor ein paar Jahren, in den Ausstellungen der
»Brücke«, der Neuen Sezession, tauchte sein Name
zuerst auf. Man sah eigenwillige, aber ausdrucksstarke
Gemälde, Radierungen, Holzschnitte. Man spürte eine
Kraft, auch wenn man nicht jeder ihrer Äußerungen
zuzustimmen vermochte. Man stand im Banne einer
Persönlichkeit, erlebte die Auseinandersetzung eines
visuell orientierten Menschen mit den Dingen dieser
Umwelt. Eine starke Innerlichkeit rang um sichtbaren
Ausdruck ihres Empfindens, und die Formen, die sie
schuf, waren oftmals gewaltsam, mußten es sein, um
eindringlich zu sprechen, um ihre Intensität dem Be-
schauer mitzuteilen. Wenn auf einen unter den jüngeren
Deutschen das Schlagwort vom Expressionismus paßte,
so war es Heckel. Seltsam verzeichnete Akte, über-
große Köpfe mit weit geöffneten Augen auf ärmlich
verkümmerten Körpern waren das Kennzeichen seiner
Bilder. Die Natur war vergewaltigt, Schönheit und
Rhythmus wurden geopfert, um ein inneres Erlebnis
mit elementarer Wucht zur Oberfläche zu treiben. Man
fragte wohl zuweilen, ob solche Gewaltsamkeit unum-
gänglich sei, ob dieser scharfe Kontur, diese rauhe und
oft grelle Farbe notwendige Mittel der neuen künstle-
rischen Sprache seien. Man nahm sie hin, da man
die malerische Potenz erkannte, die jede Form ihrer
Realisierung rechtfertigte. Aber man verstand auch die
Zurückhaltung anderer, die solche Kunst nur als einen
Sonderfall gelten lassen wollten und sie mit dem
Namen einer Bohemekunst belegten.

Auf die erste Zeit der gemeinschaftlichen Tätigkeit
in der Vereinigung der »Brücke«, in der die stärksten
Talente der »Wilden« sich zusammengefunden hatten,
folgten Jahre, in denen nur gelegentlich im Rahmen
verschiedener Ausstellungen Bilder von Heckel auf-
tauchten, Werke, die eine zunehmende Beruhigung
und Reife, ein Ringen um die Klärung formaler Bild-
aufgaben bezeugten. Nebenher gingen noch eigen-
sinnig zeichnerische Figurenkompositionen. Aber es
gab Landschaften von einem neuen Wohllaut der Farbe,
einem rhythmischen Zusammenklang reiner Formen,
die ein sicheres Fortschreiten auf neuen Wegen ver-
rieten. Nach solchen Versuchen ward das Jahr 1916
für Heckel die Zeit einer ersten Ernte. Es ist eine
merkwürdige Tatsache, und es gibt zu denken, daß
diesem Maler des seelischen Erlebnisses der Krieg nicht
zu einem erwünschten Stoffgebiet wurde, obwohl ihm
seine Tätigkeit im Krankenpflegerdienste in Flandern
Gelegenheit bot, genug des Ergreifenden zu schauen.
Es scheint, daß ihm diese Realität des Krieges zu ge-
waltig sich aufdrängte, um unmittelbare Umsetzung im
Kunstwerk zu ertragen. Heckel hat auf zwei Zeltbahnen

eine Madonna gemalt, die stärkeres Zeugnis ablegt von
einem innerlichen Erleben als die hastig zusammen-
gerafften Impressionen, die andere aus dem Felde heim-
brachten. Es ist eine Zartheit lyrischen Empfindens
in dieser Madonna von Ostende, die riesengroß auf
Meereswogen steht, ein einfach volkstümticher Gedanke
in dem steigenden Kranze singender Vögel und kleiner
Engelknaben, wie es seit Thomas besten Zeiten in
Deutschland ohne Beispiel blieb. Man darf Vertrauen
haben zu dem Künstler, der in einer glücklichen Stunde
als eine Gelegenheitsarbeit diese Madonna geschaffen
hat, die gleich fern steht von archaisierendem Prae-
raf faelitentum wie gewaltsam absichtsvoller Neuformung.

Die gleiche Vereinfachung des künstlerischen Aus-
drucksmittels, der Verzicht auf allzu scharfe Zuspitzung
der Linie, Steigerung der Farbe ist bezeichnend für
die neuen Bilder Heckeis, die in der Ausstellung bei
Paul Cassirer vereinigt sind. Es scheint, daß die
Schrecken, die ihn umgeben, den Künstler andächtiger
vor der Natur gestimmt haben. Wo früher die Formen
einer Landschaft scharf, die Farben schwer oder grell
wurden, empfindet er jetzt die zarten Stimmungen
ruhender Flächen, schwebender Töne. Er malt flache
Felder und stille Kanäle, Blumenstilleben, die nicht
mehr koloristische Kontraste betonen, sondern die
Farben weich betten, Badende am Meeresstrand in ein-
fachen Bewegungen anstatt der gewaltsamen Ver-
renkungen seiner früheren Akte. Es gibt noch Köpfe,
die an Van Gogh gemahnen, aber es unterstreicht nicht
mehr eine gleichsam fieberhafte Technik die krampf-
hafte Steigerung des Ausdrucks, sondern auch die ge-
spannteste Charakteristik ist als künstlerisch ruhende
und geklärte Form verstanden. Gewiß wäre ein Bild
wie der Saal des Irrenhauses nicht ohne den Vorgang
des Van Gogh denkbar. Aber das ist kein Vorwurf,
sondern eine Bestätigung, weil keine Kunst ohne An-
schluß an Vorangegangenes entstand. Und als male-
rische Lösung steht dieses Bild ganz in der Konsequenz
des Heckeischen Schaffens. Es sind seine Raum-
konfigurationen, seine Gestalten, die hier zum ersten
Male aus einem noch schemenhaften Dasein ganz zu
künstlerischer Realität erweckt sind in dem irren Blick
des Vornstehenden, dem versunkenen Sitzen, dem
halbbewußt tastenden Gehen.

Es sind seit dem Beginn des Krieges nicht viele
Ausstellungen jüngerer Künstler gewesen, die so
starken Eindruck hinterließen wie diese. Manche, die
draußen stehen, mußten dem Schaffen entsagen. Heckel
war glücklicher als sie, da er Gelegenheit zu ruhiger
Tätigkeit fand. So gewann er einen Vorsprung vor
anderen, denen es in späterer Zeit schwer werden mag,
den Weg zu ihrer Arbeit wieder zu finden. Fern von
dem oft ungesunden Kunstbetrieb der letzten Friedens-
 
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