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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Hagen, Oscar: Zur Frage der Italienreise des Matthias Grünewald
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0049

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77

Ausstellungen

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M. Grünewald, Verspottung Christi
(München, Alte Pinakothek)

immer noch die Möglichkeit offen, daß ein anderer I
Deutscher die Komposition als Reiseerinnerung über
die Alpen gebracht haben könnte. Aber dieser Aus-
weg scheint mir doch in Anbetracht mancher an
anderer Stelle durchbrechender Erinnerungen an
italienische Kunst gesuchter als der, daß er eben ein-
fach das Bild an Ort und Stelle gesehen haben wird.
Einer Romfahrt, etwa 1500 im großen Jubiläums-
jahre, steht wirklich nichts im Wege. Im Gegenteil,
sie liegt für den zweifellos schon früh mystischen
Ekstasen zuneigenden Jüngling sehr nahe. Welch eine
Fülle von Deutschen sammelte sich um die Jahrhundert-
wende doch in Rom! Und da wird die Reise gewiß
nicht geschlossenen Auges angetreten worden sein.

Das Jahr 1500 aber paßt vorzüglich zu dem Datum
des Bildes (1503—1504). Allerdings berechtigt uns
nichts dazu, etwa aus diesem die Dauer des italieni-
schen Aufenthalts zu berechnen. Wir müssen vielmehr
annehmen, daß der Maler schon geraume Zeit wieder j
in der Heimat weilte, ehe er dazu kam, in dem Epitaph- ]
bilde seine italienische Erinnerung, die inzwischen '
die innigste Verschmelzung mit augsburgischer Kolo-
ristik eingegangen war, wieder los zu werden.

Und damit kommen wir zu einem weiteren Punkt
des Interesses: Rechnet man einmal mit der festen
Tatsache einer Bekanntschaft mit italienischer Kunst
an der Quelle, und bedenkt man, wie sehr jeder, der
damals vom Norden kam, durch sie aus der Bahn ge-
worfen wurde, so erscheint die ungeheure Selbständig-
keit Grünewalds in einem neuen und stärkeren Licht
als zuvor. Wir wissen allerdings nicht, wie er etwa

Q. Pesello, Predella (Detail)
(Florenz, Casa Buonarotti)

vor dem Verspottungsbilde sich mit der welschen
Weise abgefunden hat. Der weitere Verlauf zeigt ja,
daß die Spuren fremden Einflusses immer mehr von
ihm abfallen; wir haben es im Gegensatz zu Dürer
mit dem seltenen Falle zu tun, daß das neue Erlebnis
nicht mitten in eine uns bekannte Bahn hineinfällt; es hat
schon stattgefunden, ehe wir der ersten Spur begegnen.

Der letzte Punkt, in dem uns der Fall interessant
erscheinen muß, ist dann mehr außenliegender Art:
Er betrifft ganz allgemein die Frage nach dem Ein-
fluß der Ikonographie der Legendendarstellung auf
die der strengen biblischen Vorwürfe, der zweifellos
weit bedeutender ist, als man ahnt. Die größere Frei-
heit in der Illustration freierer Stoffe bemächtigt sich
der strengen Überlieferung und zwingt verwandten
Stoffen ihre Haltung auf. Wir haben hier bei Grüne-
walds erstem Werk gleich den klassischen Fall. Die
Darstellung einer Menschenquälerei; einer der Einspruch
erhebt; einer der schweigend duldet. Grünewald
nimmt's für eine Verspottung des Herrn. Aber dem
erhöhten Inhalt entsprechend steigert er auch die Form
und den Ausdruck auf ein Maß von Kraft, das weit
über die Absichten des im Süden gesehenen Vorbildes
hinausgewachsen ist.

AUSSTELLUNGEN

Hannover. Im Kupferstichsaal und Oberlichtsaal des
Kestner-Museums findet zur Zeit eine umfangreiche Aus-
stellung von Handzeichnungen, Radierungen und Litho-
graphien des Graphikers Hans Meid statt, über dessen
Schaffen als Zeichner und Radierer in den letzten Heften
 
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