Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

DOI Artikel:
Ausstellung aus Mannheimer Privatbesitz
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0111

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 21. 16. Februar 1917

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage j^der Woche (im Juli und Augusi nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

AUSSTELLUNG
AUS MANNHEIMER PRIVATBESITZ

Daß in der einstigen »Kunststadt Karl Theodors«
die Sammler von Gemälden ihre Schätze in den Dienst
der Kriegshilfe stellen, ist gewiß nichts Erstaunliches.
Opfer an Geld, Genuß, Behaglichkeit u. s. f. werden
in Deutschland allenthalben gern gebracht, wenn es
gilt, Kriegsnot zu lindern. So haben sich denn auch
die Ortsgruppe des Roten Kreuzes und die städtische
Zentralfürsorge zusammengetan, um durch die Kunst
weitere Mittel zum Betrieb ihrer Einrichtungen zu er-
langen. Ein Aufruf, Leihgaben zu einer Kunstaus-
stellung anzumelden, hatte einen überaus guten Erfolg.
Die mit der Bearbeitung, Ordnung und Unterbringung
des angemeldeten Bildermaterials betrauten Dr. Beringer
(für den Kunstverein) und Dr. Hartlaub (für die städt.
Kunsthalle) sahen sich bald einer so großen Menge
von Kunstwerken gegenüber, daß die strenge Aus-
wahl, die lediglich das Mannheimer Privatsammler-
wesen zur Anschauung bringen sollte, eine nicht geringe
und leichte Arbeit war.

Überraschend war das Ergebnis nach einigen Seiten
hin. Einmal ergab sich die höchst merkwürdige Tat-
sache, daß von der Kunst des ehemaligen »pfälzischen
Athen« (oder »Florenz«), wie Mannheim im 18. Jahr-
hundert zur Zeit seiner höchsten Kunstblüte gern lob-
rednerisch genannt wurde, sich so gut wie nichts von
Bedeutung in unsere Zeit gerettet hatte. Die Werke
der kurpfälzischen »Hof- und Kabinetts«-Maler sind,
soweit sie nicht in den Baulichkeiten der Zeit als
Decken- und Wandgemälde, Surportes u. a. sich noch
erhalten haben, fast spurlos verschwunden. Dagegen
sind Graphika, Porzellane, kunstgewerbliche Gegen-
stände wohl noch in ansehnlicher Zahl vorhanden
oder wieder zusammengekommen.

Weiterhin ist die sammlerische Tätigkeit an Ge-
mälden nur für die Zeit der letzten hundert Jahre —
und innerhalb dieses Zeitraumes in scharf getrennten
Schichten — nachweisbar.

Aber, — und das ist sehr überraschend gewesen, —
die sammlerische Tätigkeit der nach den Revolutions-
und Napoleon ischen Kriegen noch ortsansässigen oder
später zugewanderten Familien erstreckt sich nicht
nur auf die zeitgenössische oder örtlich bemerkens-
werte Kunst der Malerei, sondern umfaßt die Kunst
aller Zeiten und Völker. Wir besitzen in der Aus-
stellung ein höchst merkwürdigeschinesisches Andachts-
bild aus dem 9. Jahrhundert nach Christi, ein ganzes
Kabinett primitiver Tafelmalerei (hauptsächlich alt-
deutsche Werke), dann mehrere Räume mit italienischer
und niederländischer Renaissancemalerei, Stücke aus
der Rokokozeit, ein Kabinett mit reizenden Werken

der Biedermeierzeit, dann die den sammlerischen Auf-
schwung verratende Zeit der großen wirtschaftlichen
Hebung Mannheims in den siebziger und achtziger
Jahren, ferner die stattlichen Säle der durch Böcklin, Leibi,
Liebermann, Lugo, Thoma, Trübner, Uhde vertretenen
deutschen Malerei, sowie einen Raum mit den neuesten
malerischen und sammlerischen Bestrebungen. (Hier-
bei darf nicht unerwähnt bleiben, daß die neuesten
sammlerischen Tendenzen, namentlich nach den mo-
dernen Franzosen hin, nur unvollkommen vertreten
sind, da fünf bis sechs Sammler ihre Spezialsammlungen
an Impressionisten der Ausstellung versagt haben.)

Das Sammlerwesen selbst hat sich nach den Er-
schütterungen, die Mannheim durch die früher schon
erfolgte Verlegung der Residenz nach München, durch
die teilweise Zerstörung der Stadt, durch die »De-
molition der Festung« und durch die Angliederung
der rechtsrheinischen Pfalz an Baden nach den Re-
volutionskriegen erfahren hatte, langsam zwar, aber
stetig entwickelt.

Daß in der Kunst der italienischen Renaissance
die menschliche Figur im Heiligenbild und Porträt,
daß in der niederländischen Renaissance das Bildnis
und die Landschaft vorherrschen, ist selbstverständlich.
Die niederländischen Landschaften mit Staffage weisen
eine Reihe höchst eigentümlicher Werke auf, denen
stilkritisch nachzugehen außerordentlich verlockend ist;
z. B. ein J. Breughel d. Ä ? (Bergpredigt), ein P. Breu-
ghel d. Ä. (Tanzende Bauern), die Patrizier von Gerson
und Moucheron u. a. m.

Die Rokokozeit ist durch die köstliche Folge der
vier Jahreszeiten von Rosalba Carriera (nebst ihrem
Selbstbildnis), durch einen typischen Canaletto (Piazza
del Popolo), durch Watteau und etliche englische
Porträtisten (Reynolds, Romney u. a. m.) gut vertreten.

Der große Artariasche Kunstverlag, die junge
pfälzische Künstlergeneration, die mit den drei Kobell
(Ferdinand, Franz und Wilhelm), den Brüdern Fohr
(Karl und Daniel), den Rottmann (Karl und Leopold)
und Fries (Ernst und Bernhard) den klassischen und
romantischen Nährboden für Kunstinteressen bildeten,
lassen eine durch Familienbeziehungen und Örtlich-
keit geheiligte und geweihte Tradition gedeihen. Von
den Kobell (Vater Ferdinand und Sohn Wilhelm) sind
in Werken deutliche Spuren nachweisbar. Die Rott-
mann und Fries verlieren sich nach München hin.
Dafür aber bringt die in den dreißiger Jahren stark
einsetzende Rheinschiffahrt lebhafte Beziehungen zu
Düsseldorf. Schirmer, Lessing, Hübner werden in
Mannheim gesammelt; Amalie Bensinger, dieSchadow-
schülerin, und Aug. Bissinger, der Lessingschüler,
verpflanzen niederrheinische Kunstweise nach Mann-
heim und ergänzen die glänzende Bildnisperiode des
 
Annotationen