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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Emanuel Löwy zum sechzigsten Geburtstag
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 44. 28. September 1917

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer

EMANUEL LÖWY
ZUM SECHZIGSTEN GEBURTSTAG

Emanuel Löwy ist in diesen Tagen sechzig Jahre alt
geworden. Den Österreicher, der Professor in Rom
werden konnte, den Unermüdlichen, der forschend,
lehrend und helfend Jahrzehnte in der südlichen Wahl-
heimat verbrachte, findet dieser Tag im alten Vaterland,
das ihn einst achtlos ziehen ließ und dem er Treue hielt.

Was der gelehrte Fachmann seinen Genossen und
der nach ihm heranreifenden Generation an Ergeb-
nissen vielseitiger, geduldiger und selbstloser Arbeit
bot, mag anderweitig eingehender gewürdigt werden.
Der Kunsthistoriker, der nur je gelegentlich archäolo-
gische Studien trieb, wird bekennen, was er dem
Sammler der Inschriften griechischer Bildhauer ver-
dankt. Löwy selbst hat übrigens, einseitiger Betätigung
seinem innersten Wesen nach fremd, der nachantiken
Kunst stets tätiges Interesse zugewandt — ich er-
innere an »Das Vorbild einer Dürerzeichnung« in
der Zeitschrift für bildende Kunst 1911 — und in
seinen kleinen Aufsätzen, die an verschiedenen Stellen
veröffentlicht der Sammlung warten, derer sie so
würdig wären, wird man immer wieder jene tiefdurch-
dachten Bemerkungen finden, die nach der Art des
philosophisch veranlagten Autors Grundprobleme aller
Kunst mit knappsten Worten aufhellen. Die Geschichte
antiker Kunst, ein eigenstes Arbeitsgebiet, dankt ihm
Aufklärung wichtiger sachlicher Fragen fast aller
Epochen. Davon sei hier nicht Einzelnes erwähnt.
Wohl aber mag es ziemen, sich heute der Bedeutung
klar zu werden, die dem Lebenswerk des Gelehrten im
Ganzen der Kunstforschung unserer Zeit zukommt.

Es ist fast wunderlich, daß die Archäologie, deren
großer Reformator Winckelmann die Geschichte der
Kunst als Stilgeschichte zuerst erfaßte, auf dem ihr
gewiesenen Weg nur zögernd und widerstrebend fort-
schritt, daß sie die Untersuchung der eigentlich kunst-
entwicklungsgeschichtlichen Fragen — in philolo-
gischen, ikonographischen und kulturgeschichtlichen
Forschungsaufgaben befangen, — bis in die Mitte
des 19. Jahrhunderts vernachlässigte. Als jene glän-
zende Entwicklung der Stilkritik, die wir in Furtwäng-
lers genialer Persönlichkeit kulminieren sahen, in
Brunns und Friederichs' Tagen ihren Aufschwung
nahm, war das Interesse für die Urgeschichte der
Stile noch kaum geweckt. Gottfried Semper kam.
In einer Epoche materialistischer Geschichtsauffassung
auf allen Gebieten, griff er, der Künstler und Alter-
tumsforscher, auf die Materie selbst in des Wortes
gröbstem Sinn. Stoff bedingt Technik, Technik schafft
Stil, und so ist Kenntnis der Stoffe die erste Wissens-
quelle des Stilhistorikers. Wie gewaltig der Ein-

druck war, den seine Lehre machte, es genügt auf
Alexander Conzes Entwicklung hinzuweisen, um das
zu ermessen. Und da kein Prophet ist, den seine
Jünger nicht übermeisterten, begann eine wahre Jagd
nach stilerzeugenden Techniken.

Damals schien es, als sei die sublimste Äußerung
menschlicher Gesittung und persönlicher Freiheit ein
Erzeugnis äußeren Zwanges. Zwei Forscher waren
es, die der drohenden einseitigen Fortentwicklung
dieser Richtung entgegentraten und dem Subjektiven
in der Urentwicklung der Stile seinen Platz anwiesen,
beide Österreicher, beide von der Archäologie aus-
gehend, dem Ethischen der eine zugeneigt, der andere
voll ursprünglichen Verständnisses für das Gesetzmäßige
des Vorstellungslebens, und so beide bestimmt, einander
in der wissenschaftlichen Würdigung des Psychischen
zu ergänzen.

Alois Riegl hat uns gelehrt, daß der Stil jeder
Kulturgruppe ihre allgemeinste seelische Verfassung,
ihr »Kunstwollen« offenbare, gelöst von den Be-
dingungen technischer Fertigkeit, ein Geheimnis dem
Mitschaffenden selbst. Wie die Richtung des Tech-
nischen durch die der allgemeinen Lebensinteressen
bestimmt ist, das wird als großartig erfaßtes Problem
würdigen, auch wer dem Verfasser der »Stilfragen«
nicht bis ans Ende aller Theorien seines gewaltigen
Werkes über die »Spätrömische Kunstindustrie« zu
folgen vermag.

Ist es das Irrationale, was Riegl stets vor allem
anzog, floß sein Werk mit der mächtigen Strömung
hin, die Nietzsches und Hartmanns Werk vereinte,
so ist Löwy im Bedeutendsten seiner Leistungen von
der exakten Naturforschung bestimmt worden. Seine
psychologische Auffassung fußt auf physiologischen
Erkenntnissen, er ist von Forschern wie Brücke und
Exner beeinflußt — eine Verbindung, die in der Ästhetik
häufig, in der Archäologie sehr selten erscheint.

Aus einer Studie über Lysipp ist Löwys »Natur-
wiedergabe in der älteren griechischen Kunst« er-
wachsen. Ein schmales Bändchen, dessen Überschrift
nur ein eng begrenztes Gebiet zu behandeln verspricht.
Aber erstaunlich ist es, wieviel eigenste und allge-
meinste Erkenntnis, wieviel Wesentliches und Über-
allgültiges, oftmaligem Studium und liebevoller Ver-
tiefung erst sich offenbarend, in dies kleine Werk
eingeschlossen ist. Unabhängig von Julius Lange, —
dessen »Darstellung des Menschen« noch nicht in
Übersetzung vorlag, — und eben darum die wissen-
schaftliche Entdeckung des großen dänischen Forschers
in glücklichster Weise ergänzend hat Löwy hier die
Gesetze der Entstehung des Kunstwerkes aus Sinnes-
eindruck und vereinfachender Erinnerung, die histo-
rischen Zusammenhänge der Zeichnung und Plastik,
 
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