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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Wechselseitige Erhellung der Künste
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 16. 12. Januar 1917

Die Kunstchronik und cler Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und Augusi nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
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leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
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WECHSELSEITIGE ERHELLUNO DER KÜNSTE

In der Berliner Kantgesellschaft hielt der Dresdener
Literarhistoriker Professor Oskar Walzel am 4. Januar
einen Vortrag, in dem er die Frage nach der Mög-
lichkeit einer wechselseitigen Erhellung der Künste
stellte und einige Andeutungen für ihre Beantwortung
gab. Es handelt sich, um dies vorauszuschicken, ge-
nauer gesprochen, um die wechselseitige Erhellung der
Wissenschaften von den verschiedenen Künsten, nicht
der Künste selbst. Schon seit langer Zeit hat man ver-
sucht, die Künste untereinander zu vergleichen, wie
etwa die Architektur als versteinerte Musik bezeichnet
wurde. Es ist auch in neuerer Zeit ernstlich versucht
worden, Begriffe, die der wissenschaftlichen Deutung
einer Kunst dienen, auf die einer anderen zu über-
tragen, wie Schmarsow und seine Schüler den Begriff
der Rhythmik für die Baukunst fruchtbar machten, wie
Schmarsow selbst einebestimmte Bauform durch dasWort
Strophe charakterisierte. Ist hier die Kunstwissenschaft
der empfangende Teil, so bekennt Walzel — und auf
dieser Feststellung ruhte der Nachdruck seiner Ausfüh-
rungen, — daß es ihm als Literaturhistoriker nützlich
und förderlich scheine, nun umgekehrt in die Schule der
Kunstgeschichte zu gehen, da sie Begriffe entwickelt
habe, deren systematische Bedeutung weit über das bis-
her in der Erkenntnis der Dichtkunst Erreichte hinaus-
gehe. Er nannte den Namen Wölfflins und zeigte, wie
zu versuchen sei, die von ihm formulierten »kunst-
geschichtlichen Grundbegriffe« auf die Literaturge-
schichte zu übertragen, von dem Linearen und Male-
rischen, der geschlossenen oder offenen Form, der
Klarheit und Unklarheit einer Dichtung, von Vielheit
und Einheit, ja möglicherweise auch von Fläche und
Tiefe zu reden, um zu einer umfassenden Deutung
ihres Stiles zu gelangen.

So weit Walzel, dessen Ausführungen im einzelnen
sich naturgemäß auf das Gebiet der Dichtung bezogen
und daher an dieser Stelle weniger interessieren als
ihr Ausgangspunkt. Der Gedanke, den er vertritt, ist
nicht neu, er selbst suchte ihn historisch zu begründen.
Ihm verdankt letzten Endes die Berliner Gesellschaft
für ästhetische Forschung ihr Dasein und der aus
dieser hervorgegangene Kongreß für Ästhetik und
allgemeine Kunstwissenschaft, der die Vertreter der
Wissenschaften von den verschiedenen Künsten zu ein-
ander führen sollte, um eine wechselseitige Befruchtung
der Methoden anzuregen. Was aber die Vertreter der
Kunstgeschichte an dem Abend der Kantgesellschaft
mit einer besonderen Genugtuung erfüllen konnte, war
dieses, daß ihre angeblich noch immer so jugendliche
Wissenschaft nicht mehr als eine lernende und dienende
auftrat, sondern als Vorbild und Beispiel anerkannt

wurde. Und es schien doppelt wertvoll, daß dieses
Zugeständnis von einem Außenstehenden kam, da den
Kunsthistorikern über einem Methodenstreit, der selbst
durch die entscheidenden Errungenschaften der letzten
Zeit ins Leben gerufen wurde, nicht zur Genüge be-
wußt geworden ist, was für die neue Grundlegung
ihrer eigenen Wissenschaft erreicht ist. Gilt doch die
Kunstgeschichte vielen noch nur als eine Tochter der All-
gemeingeschichte, als eine jüngere Schwester der Lite-
raturgeschichte, als eine Dienerin der Kulturgeschichte,
ist doch die entschiedene Stellungnahme zu dem ihr
allein eigentümlichen Material, eben der Kunst durch-
aus noch nicht so allgemein anerkannt, wie man es
denken sollte.

Die Kunstgeschichte als Wissenschaft, zu der die
Archäologie als ein integrierender Teil gehört, ist aus
der Philologie hervorgegangen, und sie übernahm deren
Methoden der Quellenkritik und Attribution. Wenn
wir von Morellischer Methode reden, so meinen wir
eine systematische Zergliederung und Vergleichung,
deren Endzweck der Schluß auf die Autorschaft eines
Kunstwerkes bedeutet. Dieser Rückgang auf den Künstler
schließt zugleich eine psychologische Fragestellung in
sich, und es war folgerichtig, daß auch diese Seite der
kunstwissenschaftlichen Forschung weiter ausgebaut
wurde. Es entstand eine Kunstpsychologie, die den
Nachdruck auf die psychologische Tatsache des Kunst-
erzeugens und Kunstgenießens legt, also im letzten
Grunde eine Sonderdisziplin der allgemeinen Psycho-
logie darstellt. Alle diese Fragestellungen führen un-
mittelbar auf den Künstler als historisches Individuum,
und es liegt nahe, ihn menschlich und geistig in seine
Zeit und Umgebung einzustellen. Jede Künstlerge-
schichte hat, sofern sie sich nicht spezialistisch bescheidet,
die Tendenz, sich der allgemeinen Kulturgeschichte
einzuordnen. Justis Velasquez ist das klassische Werk
einer philologisch und psychologisch aufbauenden
Künstlergeschichte, die sich nach allen Seiten zu einer
umfassenden Darstetlung eines kulturellen Zusammen-
hanges weitet. Es liegt auf der Hand, daß sich eine
methodisch vollkommen analoge Darstellung von Dantes
oder Goethes Leben denken läßt, da die letzte und
allgemeinste Fragestellung nicht auf das spezifisch
Kunstgeschichtliche, sondern auf das Kulturgeschicht-
liche orientiert ist.

Einer solchen Künstlergeschichte hat sich in neuerer
Zeit eine eigentliche und methodisch vollkommen ver-
schiedene Kunstgeschichte gegenübergestellt. Ihr ist
der Rückgang auf den Künster verhältnismäßig un-
wesentlich. Sie hält es auch kaum für erforderlich,
außerkünstlerische historische Fakten in den Kreis ihrer
Betrachtungen einzubeziehen. Sie nimmt das Kunstwerk
als eine objektive und von den Bedingtheiten seiner
 
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