Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

DOI Artikel:
Waetzoldt, Wilhelm: Die Stellung der Kunstgeschichte an den deutschen Hochschulen
DOI Artikel:
Aus der Dresdner Gemäldegalerie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0074

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
127

Aus der Dresdner Gemäldegalerie

128

Aus den statistischen Übersichten ergibt sich:
Ordinariate für Kunstgeschichte fehlen noch an fol-
genden sechs Universitäten: Erlangen, Gießen, Greifs-
wald, Jena, Rostock und Würzburg. Etatsmäßige
Professuren fehlen an den Technischen Hochschulen:
Braunschweig und Breslau. Ferner sei bemerkt, daß
ohne kunstgeschichtlichen Unterricht die sechs kunst-
gewerblichen Schulen sind: Kunstgewerbe- und Hand-
werkerschule in Breslau, Städtische Gewerbeschule
in Elbing, Kreisbau- und Handwerkerschule in Kaisers-
lautern, Gewerbeschule in Thorn, Wredowsche Zeichen-
schule in Brandenburg a. H. und Kunstgewerbliche
Zeichenschule in Oldenburg i. Gr.

Wenn man sieht, daß im 19. Jahrhundert die er-
folgreichsten Jahre für die akademische Stellung der
Kunstgeschichte die auf den Krieg folgenden Jahre
1872—1873 waren, in denen vier Ordinariate be-
gründet wurden, so liegt es nahe, zu hoffen, daß auch
nach Beendigung des gegenwärtigen Krieges ein gleich
günstiges Jahr kommen möge, das vor allem uns die
Umwandlung der Extraordinariate in Erlangen, Gießen,
Greifswald, Jena und Würzburg in Ordinariate und
eine etatsmäßige Fachvertretung in Rostock bringt.

AUS DER DRESDNER GEMÄLDEGALERIE

Als im Juni 1916 der Wirkl. Geh. Rat Dr. Lingner
starb, hinterließ er der Kgl. Gemäldegalerie, für die er
zu Lebzeiten oft mit der Tat eingetreten war, ein sehr
ansehnliches und wertvolles Vermächtnis. Lingner war
kein Kunstsammler im eigentlichen Sinn, seine Er-
werbungen gingen in erster Linie aus dem Schmuck-
bedürfnis für prunkvolle Behausungen hervor, für den
Albrechtsberg in Loschwitz und für die in der Art
ihrer Wiederherstellung einzigartige Burg Tarasp im
Oberengadin. Eine besonders warme Vorliebe auf dem
Gebiete der neueren Malerei aber besaß er, die Vor-
liebe für Franz von Stuck, von dem er im Laufe
der Jahre elf Bilder zusammengebracht hatte. Die
Galerie verdankt seinem Vermächtnis zwei der besten
Werke des Münchner Malers: eines seiner Hauptstücke,
das einst auf der Großen Internationalen Ausstellung
in München in den neunziger Jahren beträchtliches
Aufsehen erregt hat, die »Vertreibung aus dem Para-
diese«, und den an Böcklins Auffassung erinnernden
»Centauren mit Nymphen«. Lingner liebte es, sich in
seiner Behausung auf dem Atbrechtsberg mit den
Bildnissen großer Männer zu umgeben; Treppenhaus
und Bibliothek zierten Marmorbüsten von der Hand
Klingers, Kolbes u. a. Ein lebensgroßes Bismarckbildnis
von Lenbach hat er der Gemäldegalerie hinterlassen.

Noch vor Beginn des Krieges hatte Lingner große
Pläne für die Ausgestaltung seines Besitzes Albrechts-
berg. Der Anbau eines großen Speisesaales nach
Plänen Dülfers war beschlossen, als der Krieg dieses
Projekt des vielbeschäftigten Mannes beiseite schob.
Als dekoratives Schmuckstück für diesen Raum war
das große 5%X4% m messende Freskogemälde eines
Schülers des Paolo Veronese vorgesehen, das Lingner
nun in seinem Testament der Gemäldegalerie ver-
macht hat. Das sehr geschickt von der Wand abge-

löste und auf Leinwand übertragene Stück hat bereits
im Treppenhaus der Gemäldegalerie seine Aufstellung
gefunden. Es stammt aus einem Palast der Familie
Regazzoni in Sacile bei Pordenone und stellt inmitten
einer mächtigen palladiesken Hallenarchitektur, ge-
schmackvoll ganz in kühlen grauen Tönen mit etwas
Rot, Grün, Gelb und Violett gehalten, eine Familien-
empfangsszene dar. Sein Urheber ist einer der Veronese-
schüler um 1570, vielleicht Francesco Monte-
niezzano. Jedenfalls ist von der gleichen Hand jene
»Beweinung Christi« mit den Stiftern im Kaiser-
Friedrich-Museum zu Berlin, die alle stilistischen
Eigenheiten des Freskos, vor allem in den glänzend
gemalten Brustbildnissen zeigt. — Noch zwei andere
ältere Gemälde, die Halbfigur einer Lucrezia von
Francesco Francia und eine fast lebensgroße
Madonna mit dem kleinen Johannes von Bacchiacca,
gehören zu diesem Vermächtnis. Der Francia, ein
schönes und charakteristisches Stück des Bologneser
Meisters, dient als willkommene Ergänzung der von
altersher in der Kgl. Sammlung vorhandenen Werke
von seiner Hand Das gut erhaltene Bild wurde 1914
aus Londoner Privatbesitz erworben. Auch die Madonna
ist ein dekorativ prächtiges und in seiner Art und
Größe ungewöhnliches Zeugnis der Kunst Bacchiaccas,
von der die außeritalienischen Sammlungen nur Bilder
kleineren Formats besitzen. —

Die Kriegszeiten haben eine weitere Vermehrung
der Sammlung nicht erheblich gehindert. Konnte im
vergangenen Jahr u. a. der Ankauf einer künstlerisch
so bedeutsamen Folge wie Slevogts Bilder aus Ägypten
verwirklicht werden, so hat schon der Beginn des
Jahres 1916 die Erwerbung eines neuen Bildnisses
von Liebermann, das den Generaloberst von Bülow
darstellt, und einer ungewöhnlich feinen Rheinland-
schaft aus den siebziger Jahren von Thoma gebracht.
Das Brustbild einer Römerin von Feuerbach kam als
Vermächtnis der Frau Schröter hinzu. Unter den
neuesten Erwerbungen aber ragt das Bildnis der »Dame
im braunen Kleid« von Wilhelm Trübner hervor.

Das Porträt ist in demselben Jahr 1876 in Mün-
chen gemalt wie die schon früher erworbene »Dame
mit dem blauen Hut«. Nicht nur die meisterliche
fleckenhafte Technik macht den Reiz und die Schön-
heit dieses überragenden Werkes aus, wie uns mancher
glauben machen möchte, der immer noch in Trübner
nur den Nachahmer Leibis zu sehen vermag. Das
Bild besitzt eine einfache Schönheit und Harmonie
des tiefen Tons, die wohl an Malerwerke der größten
vergangenen Meister erinnern darf, dabei einen Reich-
tum der Untertöne, alle in dem geschmackvollen
kühlen Braun des Kleides gipfelnd. Und wer mit
der Vorstellung von Trübner nichts als den Begriff
des bedeutenden Technikers verbindet, möchte schon
durch dieses Bildnis eines anderen belehrt werden.
Denn in der selbstbewußten, beinahe stolzen Haltung,
die auch in der eckigen Verteilung der Flächen zur
Geltung kommt, in dem nicht unedlen Gesicht mit
dem lauernden Blick — die Augen erscheinen feucht
durch den Reflex auf dem Farbengrad des unteren
Lids —, dem sinnlichen Mund erscheint dieses Porträt
 
Annotationen