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Bemerkungen zum Aschaffenburger Altar des Matthias Grünewald
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und in einem besonderem Ausschuß mit erledigen.
Dann werden die Fragen, die auf den kunsthistorischen
Kongressen wiederholt angeregt wurden und schließlich
meist unausgeführt geblieben sind, durch einen solchen
nationalen Verband unschwer zu lösen sein. Wir
würden dadurch auch zu einer seit langem geforderten
deutschen kunstwissenschaftlichen Zeitschrift kommen,
die sich auf ältere, nachantike Kunst beschränken und
einen tüchtigen Kunsthistoriker als Redakteur erhalten
müßte. Eine solche Fachzeitschrift, die monatlich er-
scheinen sollte, würde zugleich ein Band für den Zu-
sammenhalt und die Zusammenarbeit innerhalb des
Verbandes sein. Je größer die Zahl der Studierenden
der Kunstgeschichte wird, je weiter ihre späteren Wege
auseinandergehen, und je größer die Gefahren werden,
daß sie vom Wege der ehrlichen Forschung abge-
lenkt werden, um so dringender erscheint ein Zu-
sammenschluß, wie ihn nur ein solcher Verband aller
deutschen Kunsthistoriker aussichtsvoll bieten kann.
BEMERKUNGEN ZUM ASCHAFFENBURGER
ALTAR DES MATTHIAS GRÜNEWALD
4
Von Oskar Hägen
In Nr. 9 dieser Zeitschrift habe ich den Beweis
zu führen gesucht, daß Grünewald in seiner Frühzeit
in Italien gewesen ist. Daß er mir gelungen ist, hat
mir inzwischen die mündliche und briefliche Zustim-
mung einer Reihe von Spezialforschern, unter denen
ich vor allem H. A. Schmid nennen darf, bekräftigt.
Daß damit die Frage nur erst angeschnitten, bei weitem
aber noch nicht erledigt ist, dürfte gewiß sein. In-
dem ich mir vorbehalte, an anderer Stelle dem Pro-
blem ausführlicher näher zu treten, möchte ich den-
noch heute schon einige Punkte, die mir besonders
wichtig scheinen, herausgreifen.
Das Datum der Reise steht nicht fest, doch dürfte
es mit Hilfe von Kombinationen zu finden sein. Im
selben Aschaffenburg lebte damals ein Geistlicher, den
wir später als den Auftraggeber Grünewalds kennen
lernen werden: Reitzmann mit Namen. Daß er ein
Kunstfreund war, wird einmal durch die Tatsache be-
wiesen, daß er Gemälde für seine Stiftskirche bestellte,
ferner dadurch, daß wir ihn als den Besitzer von
Kopien nach italienischen Bildern kennen. Bei welcher
Gelegenheit er in deren Besitz kam, ist mit Bestimmt-
heit nicht zu sagen, doch ist es wahrscheinlich, daß
er sie bei der Rückkehr von der großen Wallfahrt
im Jubeljahr 1500 aus dem Süden mit nach Hause
brachte. War er doch soeben Kanonikus geworden
und hatte als solcher allen Grund, in Rom zu er-
scheinen. Daß er es war, der in Kenntnis des Talentes
seines jungen Landsmannes Grünewald — an dessen
Förderung ihm auch später noch gelegen war — diesen
mit auf die Reise nahm, ist eine naheliegende Ver-
mutung. Die Erinnerung an die gemeinsam in Rom
verbrachte Zeit klingt später noch in dem Bilde nach,
das Grünewald für den Kanonikus malte.
Obwohl nun die Reise außer allem Zweifel steht,
und ihr Ziel des allgemeinen im Jubeljahr erteilten
Ablasses wegen nur Rom gewesen sein kann, sieht
der Erfolg dieser Studienfahrt im Vergleich etwa zu
der Dürers nicht entfernt so aus, wie man es zunächst
erwarten würde. Die in Rom zugänglichen Reste des
Altertums, das Antikische an der sich hier vergleichs-
weise spärlich regenden Frührenaissance, hat seine
mittelalterliche Gesinnung nicht gebrochen, wohl aber
die gewaltig zwingende Raumperspektive, das plastische
Erleben der Welt, das ihm in Mantua aus dem allent-
halben gegenwärtigen Wirken des in voller Kraft
schaffenden Mantegna entgegentrat, an den die Er-
innerung später gerade wieder da auflebt, wo es für
Grünewald Außerordentliches zu sagen gab, wie in
dem Sebastian des Isenheimer Altars, seinem Selbst-
porträt. Nun ist es aber bezeichnend für Grünewalds
ganzes Verhältnis zur italienischen Kunst, daß er die
Erscheinungsweise des Neuen wohl im großen ganzen
sich einprägt, aber nicht, wie etwa Dürer, den Mitteln,
aus denen dieses wirksam ward, auf den Grund geht.
Das Errechenbare, Mathematische der Perspektive ist
ihm nie wie jenem wertvoll geworden; nur die Tat-
sache, daß man überhaupt so sehen und darstellen
konnte, war ihm interessant.
Florenz wurde berührt; der flüchtige Eindruck eines
kleinen frühquattrocentistischen Bildes in Sa. Croce
(Predella mit Szenen aus dem Leben des hl. Nikolaus
von Bari, jetzt in Casa Buonarotti) macht ihm einen so
tiefen Eindruck, daß er einen ganzen Ausschnitt daraus
für seine Verspottung Christi verwendet. Der erste
gewaltige Eindruck der klobigen Wucht Castagnos
ringt sich noch nicht gleich zu jener Stärke durch,
mit der er im Isenheimer Altar klar zutage tritt. Es
muß mehr als das bloß formale Interesse gewesen sein,
was ein geistiges Band vom einen zum anderen knüpfte;
sie sind schon im Temperament verwandt, das flackernd
Phantastische und eine wirklich monumentale Gesin-
nung verbindet sich in beiden gleichmäßig mit über-
ragender Persönlichkeit.
Es darf nun wohl auch als gewiß gelten, daß
Grünewalds eigentümliches Helldunkel (welches ihm
den Namen eines deutschen Correggio eintrug), ebenso
wie das für Deutschland ganz exzeptionelle Lächeln
seiner Madonnen, Symptone, wenn auch bloß äußerlich-
sinnfälligster Art für eine Vertrautheit mit Werken
Lionardos sind, der gerade um die Osterzeit 1501
ganz Florenz mit seinem Karton der hl. Anna in
Atem hielt. Anderes, wie die musizierenden Engel
in Kolmar, zeugt von venezianischen Besonderheiten
in der Art des Cima oder Basaiti oder Bellini, deren
Auffassung des Themas der Santa Conversazione ganz
spät noch in Grünewalds Erasmus-Mauritiusbild eine
so seltsame Umformung erfahren hat.
Überall sehen wir also den allgemeinen Zusammen-
hang zwingend vor uns und können dennoch nur
Einzelnes wirklich beweisen, weil eben nirgends die
Formeln, sondern der in ihnen verwirklichte formbe-
stimmende Grundgedanke übernommen ist.
1514 hören wir von einem Projekt für ein Altar-
bild in »Uskem« (Oberissigheim), das die glorreiche
Jungfrau zwischen dem hl. Vinzentius und dem hl.
Bemerkungen zum Aschaffenburger Altar des Matthias Grünewald
342
und in einem besonderem Ausschuß mit erledigen.
Dann werden die Fragen, die auf den kunsthistorischen
Kongressen wiederholt angeregt wurden und schließlich
meist unausgeführt geblieben sind, durch einen solchen
nationalen Verband unschwer zu lösen sein. Wir
würden dadurch auch zu einer seit langem geforderten
deutschen kunstwissenschaftlichen Zeitschrift kommen,
die sich auf ältere, nachantike Kunst beschränken und
einen tüchtigen Kunsthistoriker als Redakteur erhalten
müßte. Eine solche Fachzeitschrift, die monatlich er-
scheinen sollte, würde zugleich ein Band für den Zu-
sammenhalt und die Zusammenarbeit innerhalb des
Verbandes sein. Je größer die Zahl der Studierenden
der Kunstgeschichte wird, je weiter ihre späteren Wege
auseinandergehen, und je größer die Gefahren werden,
daß sie vom Wege der ehrlichen Forschung abge-
lenkt werden, um so dringender erscheint ein Zu-
sammenschluß, wie ihn nur ein solcher Verband aller
deutschen Kunsthistoriker aussichtsvoll bieten kann.
BEMERKUNGEN ZUM ASCHAFFENBURGER
ALTAR DES MATTHIAS GRÜNEWALD
4
Von Oskar Hägen
In Nr. 9 dieser Zeitschrift habe ich den Beweis
zu führen gesucht, daß Grünewald in seiner Frühzeit
in Italien gewesen ist. Daß er mir gelungen ist, hat
mir inzwischen die mündliche und briefliche Zustim-
mung einer Reihe von Spezialforschern, unter denen
ich vor allem H. A. Schmid nennen darf, bekräftigt.
Daß damit die Frage nur erst angeschnitten, bei weitem
aber noch nicht erledigt ist, dürfte gewiß sein. In-
dem ich mir vorbehalte, an anderer Stelle dem Pro-
blem ausführlicher näher zu treten, möchte ich den-
noch heute schon einige Punkte, die mir besonders
wichtig scheinen, herausgreifen.
Das Datum der Reise steht nicht fest, doch dürfte
es mit Hilfe von Kombinationen zu finden sein. Im
selben Aschaffenburg lebte damals ein Geistlicher, den
wir später als den Auftraggeber Grünewalds kennen
lernen werden: Reitzmann mit Namen. Daß er ein
Kunstfreund war, wird einmal durch die Tatsache be-
wiesen, daß er Gemälde für seine Stiftskirche bestellte,
ferner dadurch, daß wir ihn als den Besitzer von
Kopien nach italienischen Bildern kennen. Bei welcher
Gelegenheit er in deren Besitz kam, ist mit Bestimmt-
heit nicht zu sagen, doch ist es wahrscheinlich, daß
er sie bei der Rückkehr von der großen Wallfahrt
im Jubeljahr 1500 aus dem Süden mit nach Hause
brachte. War er doch soeben Kanonikus geworden
und hatte als solcher allen Grund, in Rom zu er-
scheinen. Daß er es war, der in Kenntnis des Talentes
seines jungen Landsmannes Grünewald — an dessen
Förderung ihm auch später noch gelegen war — diesen
mit auf die Reise nahm, ist eine naheliegende Ver-
mutung. Die Erinnerung an die gemeinsam in Rom
verbrachte Zeit klingt später noch in dem Bilde nach,
das Grünewald für den Kanonikus malte.
Obwohl nun die Reise außer allem Zweifel steht,
und ihr Ziel des allgemeinen im Jubeljahr erteilten
Ablasses wegen nur Rom gewesen sein kann, sieht
der Erfolg dieser Studienfahrt im Vergleich etwa zu
der Dürers nicht entfernt so aus, wie man es zunächst
erwarten würde. Die in Rom zugänglichen Reste des
Altertums, das Antikische an der sich hier vergleichs-
weise spärlich regenden Frührenaissance, hat seine
mittelalterliche Gesinnung nicht gebrochen, wohl aber
die gewaltig zwingende Raumperspektive, das plastische
Erleben der Welt, das ihm in Mantua aus dem allent-
halben gegenwärtigen Wirken des in voller Kraft
schaffenden Mantegna entgegentrat, an den die Er-
innerung später gerade wieder da auflebt, wo es für
Grünewald Außerordentliches zu sagen gab, wie in
dem Sebastian des Isenheimer Altars, seinem Selbst-
porträt. Nun ist es aber bezeichnend für Grünewalds
ganzes Verhältnis zur italienischen Kunst, daß er die
Erscheinungsweise des Neuen wohl im großen ganzen
sich einprägt, aber nicht, wie etwa Dürer, den Mitteln,
aus denen dieses wirksam ward, auf den Grund geht.
Das Errechenbare, Mathematische der Perspektive ist
ihm nie wie jenem wertvoll geworden; nur die Tat-
sache, daß man überhaupt so sehen und darstellen
konnte, war ihm interessant.
Florenz wurde berührt; der flüchtige Eindruck eines
kleinen frühquattrocentistischen Bildes in Sa. Croce
(Predella mit Szenen aus dem Leben des hl. Nikolaus
von Bari, jetzt in Casa Buonarotti) macht ihm einen so
tiefen Eindruck, daß er einen ganzen Ausschnitt daraus
für seine Verspottung Christi verwendet. Der erste
gewaltige Eindruck der klobigen Wucht Castagnos
ringt sich noch nicht gleich zu jener Stärke durch,
mit der er im Isenheimer Altar klar zutage tritt. Es
muß mehr als das bloß formale Interesse gewesen sein,
was ein geistiges Band vom einen zum anderen knüpfte;
sie sind schon im Temperament verwandt, das flackernd
Phantastische und eine wirklich monumentale Gesin-
nung verbindet sich in beiden gleichmäßig mit über-
ragender Persönlichkeit.
Es darf nun wohl auch als gewiß gelten, daß
Grünewalds eigentümliches Helldunkel (welches ihm
den Namen eines deutschen Correggio eintrug), ebenso
wie das für Deutschland ganz exzeptionelle Lächeln
seiner Madonnen, Symptone, wenn auch bloß äußerlich-
sinnfälligster Art für eine Vertrautheit mit Werken
Lionardos sind, der gerade um die Osterzeit 1501
ganz Florenz mit seinem Karton der hl. Anna in
Atem hielt. Anderes, wie die musizierenden Engel
in Kolmar, zeugt von venezianischen Besonderheiten
in der Art des Cima oder Basaiti oder Bellini, deren
Auffassung des Themas der Santa Conversazione ganz
spät noch in Grünewalds Erasmus-Mauritiusbild eine
so seltsame Umformung erfahren hat.
Überall sehen wir also den allgemeinen Zusammen-
hang zwingend vor uns und können dennoch nur
Einzelnes wirklich beweisen, weil eben nirgends die
Formeln, sondern der in ihnen verwirklichte formbe-
stimmende Grundgedanke übernommen ist.
1514 hören wir von einem Projekt für ein Altar-
bild in »Uskem« (Oberissigheim), das die glorreiche
Jungfrau zwischen dem hl. Vinzentius und dem hl.