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Bemerkungen zum Aschaffenburger Altar des Matthias Qrünewald
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Hieronymus zeigen sollte. Ob dieses Bild überhaupt
zur Ausführung kam, wissen wir nicht. Jede Spur
davon ist verloren, und die einzige Quelle, die wir
dafür besitzen — ein Testament von Grunewalds
Aschaffenburger Gönner Reitzmann — erlaubt keines-
falls, eine kleine Anzahl Zeichnungen, die man bis-
lang mit diesem geplanten Altar hat in Verbindung
bringen wollen, als weitere Quelle zu benutzen. Sie
gehören vielmehr zu einem anderen großen Werke,
von dem zunächst die Rede sein soll.
Reitzmann und ein anderer Aschaffenburger hatten
den Meister bald nach seiner Heimkehr beauftragt,
einen Altar für eine soeben geweihte Kapelle der Stifts-
kirche von Aschaffenburg auszuführen, der zur Ver-
herrlichung eines besonderen Vorganges bestimmt war.
Es sollte die sogenannte »Maria-Schnee« und die Grün-
dung ihrer Kirche Sa. Maria Maggiore zeigen Kanoni-
kus Reitzmann hatte Propaganda getrieben und über
das Fest ein Buch geschrieben, das ein Jahr vor der
Kapellenweihe erschien. Der Altar mit den Darstel-
lungen kam dann nach und nach zustande. 1519
wird — der Innschrift des in der Kapelle heute noch
erhaltenen Rahmens -nach — alles fertig gewesen sein.
Außer diesem Rahmen ist allerdings in Aschaffenburg
nichts mehr vom Ganzen zu finden. Die Bilder sind
in alle Winde zerstreut und haben sich erst in der
letzten Zeit wieder zusammenfinden lassen. Das Mittel-
bild, übermalt und in ziemlich kläglichem Zustande,
schlecht in der Pfarrkirche zu Stuppach (bei Mergent-
heim) aufgehängt, zeigt die Jungfrau mit dem Kinde
in freier Landschaft vor einer Kirche. Der rechte
Flügel (heute im Museum zu Freiburg i. B.) bringt
auf der Innenseite die Gründungsgeschichte von Sa.
Maria Maggiore und auf der Außenseite die Hälfte
einer (nicht von Grünewald gemalten) Anbetung der
Könige. Der linke Flügel ist verschollen.
Auffälligerweise trug die Kapelle sehr bald nach
dem letztgenannten Gegenstand ihren Namen, und im
Rahmen befindet sich nicht, wie man erwarten würde,
die Jungfrau nach Art des Stuppacher Bildes, sondern
wiederum die Magieranbetung.
Ob es damit nicht eine besondere Bewandtnis hat?
Die Anbetung auf der Außenseite des Ganzen war
zweifellos von Schülerhand gemalt, wie das damals
allgemein Brauch war. Aber Grünewald hatte in
Isenheim den Brauch nicht mitgemacht; er hatte ja
gerade in der Außenseite mit der Beweinung und den
zwei Heiligen sein Stärkstes gegeben. Gesetzt den
Fall, die Isenheimer Bilder wären dem Antoniter-Kloster
1) Dem Kanonikus, der darüber ein Buch geschrieben
hat, scheint es um möglichste Lokalechtheit zu tun gewesen
zu sein; ihr zuliebe geht Qrünewald sogar von der ihm lieb
gewordenen heimischen Architektur ab und gibt ein Porträt
der Ortlichkeit, wie es aus keiner uns bekannten Ansicht
jener Tage zu erlangen war. Der Kanonikus konnte sich
da auf seinen Matthias verlassen, der jene Kirche und ihre
Umgebung sehr genau kennen mußte: war doch das Haupt
seines Namensheiligen nach der Legende gerade in Sa. Maria
maggiore aufbewahrt und wurde hier am 24. Februar den
gläubigen Verehrern gezeigt. Wenn der junge Altgläubige
in Rom war, so hat er gewiß oft betend hier geweilt.
in ähnlicher Weise abhanden gekommen wie den
Aschaffenburgern die Tafeln ihres Altars: ich glaube,
daß man dann als Ersatz ganz gewiß wieder die Kreuzi-
gung — eher als die Marienszenen — an einem be-
schränkteren Altarwerk angebracht hätte.
In Aschaffenburg aber hat er die Außenseite von
Schülern malen lassen! Und dennoch; als diese ab-
handen kommt, bringt man deren Bildvorwurf und
nicht den von Grünewald im Hauptbild gemalten am
Altar an! Ob nicht gerade der Umstand, daß Grüne-
wald von der Gewohnheit alles selbst zu machen ab-
geht, im Verein mit dem, was später geschehen ist,
den Gedanken nahegelegt: Grünewald hatte ein Projekt
für diesen Teil vor, an dessen Ausführung ihn äußere
Umstände — wahrscheinlich die Berufung nach Mainz —
hinderten?
Und die Entwürfe, die für eine solche Anbetung
vorhanden sind, lassen über die Tatsache keinen Zweifel
mehr zu.
In Frage stehen zwei Blätter mit drei figürlichen
Darstellungen, die längst als zusammengehörig von
der Forschung anerkannt, aber mit dem obengenannten
Uskemer Altar in Verbindung gebracht worden sind2).
Das erste Blatt (im Berliner Kabinett) ist doppelseitig
bezeichnet (Schmid, Taf. 42/43). Die Vorderseite zeigt
den knienden Mohrenkönig in prachtvollem von zwei
Cherubim gehaltenen Mantel3), die Rückseite, die nach
links geneigte Gottesmutter mit dem Kind auf dem
Schoß und einem zweiten Knaben hinter sich. Als
dritter Entwurf kommt ein vor dem Stamm einer Eiche
stehender, ad-orierender Heiliger hinzu, der das Haupt
nach links wendet und einen Stab im Arm trägt
(Schmid, Taf. 50); diesem Attribut nach kann es nur
2) Fr. Bock, Die Werke des M. Gr. (Straßburg 1904)
hat den richtigen Zusammenhang und den Bildvorwurf be-
reits erkannt, meint aber, es handle sich um ein später
verworfenes Projekt und hält das Freiburger Fragment
(Außenseite) für ein eigenhändiges Werk Qrünewalds.
3) Daß es der Mohrenkönig ist, scheint mir außer
Zweifel zu stehen. Trotzdem das Gesicht — es handelt
sich ja in der Hauptsache um eine Gewandsstudie — nur
in wenigen Strichen hingeworfen ist, sind die Rassenmerk-
male völlig deutlich: kurzes Kraushaar auf dem Rundschädel;
bartloses Gesicht mit wulstigen Lippen und platter Nase.
Die tief ins Gesicht gezogene, schiefsitzende Zackenkrone
erinnert an die Art, wie der Mauritius auf dem Münchener
Erasmusbilde (nach dem Vorbild des Hallischen Reliquiars)
seinen Kranz trägt; auch die Geste der erhobenen »sprechen-
den« Handerinnertinihrer Lebhaftigkeit anjenen. Ungemeine
Pracht, wie sie hier in dem kolossalen Mantel zum Aus-
druck kommen soll, ist stets das Zeichen dieses Königs.
Zuletzt mache ich auf die Engel aufmerksam. Ihre unge-
wöhnliche, nicht von den Schultern, sondern vom Ober-
arm ausgehende Flügelbildung kommt nur ein einzigmal
bei Grünewald wieder in gleicher Weise vor: bei dem
mohrenhaften musizierenden Engel ganz links vorn im »Tem-
pel« zu Isenheim. Mohr und Heide werden häufig inden-
tifiziert. Wenn diese »exotischen« Engel also dem Mohren
beigegeben waren, so konnte damit sehr wohl ähnliches
gemeint sein, wie mit jenem Isenheimer Engel, der schon
von anderer Seite als einer von denen gedeutet wurde,
die »Nicht die ganze Erkenntnis des Mysteriums, der Fleisch-
werdung, des Leidens und der Auferstehung« besaßen.
Bemerkungen zum Aschaffenburger Altar des Matthias Qrünewald
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Hieronymus zeigen sollte. Ob dieses Bild überhaupt
zur Ausführung kam, wissen wir nicht. Jede Spur
davon ist verloren, und die einzige Quelle, die wir
dafür besitzen — ein Testament von Grunewalds
Aschaffenburger Gönner Reitzmann — erlaubt keines-
falls, eine kleine Anzahl Zeichnungen, die man bis-
lang mit diesem geplanten Altar hat in Verbindung
bringen wollen, als weitere Quelle zu benutzen. Sie
gehören vielmehr zu einem anderen großen Werke,
von dem zunächst die Rede sein soll.
Reitzmann und ein anderer Aschaffenburger hatten
den Meister bald nach seiner Heimkehr beauftragt,
einen Altar für eine soeben geweihte Kapelle der Stifts-
kirche von Aschaffenburg auszuführen, der zur Ver-
herrlichung eines besonderen Vorganges bestimmt war.
Es sollte die sogenannte »Maria-Schnee« und die Grün-
dung ihrer Kirche Sa. Maria Maggiore zeigen Kanoni-
kus Reitzmann hatte Propaganda getrieben und über
das Fest ein Buch geschrieben, das ein Jahr vor der
Kapellenweihe erschien. Der Altar mit den Darstel-
lungen kam dann nach und nach zustande. 1519
wird — der Innschrift des in der Kapelle heute noch
erhaltenen Rahmens -nach — alles fertig gewesen sein.
Außer diesem Rahmen ist allerdings in Aschaffenburg
nichts mehr vom Ganzen zu finden. Die Bilder sind
in alle Winde zerstreut und haben sich erst in der
letzten Zeit wieder zusammenfinden lassen. Das Mittel-
bild, übermalt und in ziemlich kläglichem Zustande,
schlecht in der Pfarrkirche zu Stuppach (bei Mergent-
heim) aufgehängt, zeigt die Jungfrau mit dem Kinde
in freier Landschaft vor einer Kirche. Der rechte
Flügel (heute im Museum zu Freiburg i. B.) bringt
auf der Innenseite die Gründungsgeschichte von Sa.
Maria Maggiore und auf der Außenseite die Hälfte
einer (nicht von Grünewald gemalten) Anbetung der
Könige. Der linke Flügel ist verschollen.
Auffälligerweise trug die Kapelle sehr bald nach
dem letztgenannten Gegenstand ihren Namen, und im
Rahmen befindet sich nicht, wie man erwarten würde,
die Jungfrau nach Art des Stuppacher Bildes, sondern
wiederum die Magieranbetung.
Ob es damit nicht eine besondere Bewandtnis hat?
Die Anbetung auf der Außenseite des Ganzen war
zweifellos von Schülerhand gemalt, wie das damals
allgemein Brauch war. Aber Grünewald hatte in
Isenheim den Brauch nicht mitgemacht; er hatte ja
gerade in der Außenseite mit der Beweinung und den
zwei Heiligen sein Stärkstes gegeben. Gesetzt den
Fall, die Isenheimer Bilder wären dem Antoniter-Kloster
1) Dem Kanonikus, der darüber ein Buch geschrieben
hat, scheint es um möglichste Lokalechtheit zu tun gewesen
zu sein; ihr zuliebe geht Qrünewald sogar von der ihm lieb
gewordenen heimischen Architektur ab und gibt ein Porträt
der Ortlichkeit, wie es aus keiner uns bekannten Ansicht
jener Tage zu erlangen war. Der Kanonikus konnte sich
da auf seinen Matthias verlassen, der jene Kirche und ihre
Umgebung sehr genau kennen mußte: war doch das Haupt
seines Namensheiligen nach der Legende gerade in Sa. Maria
maggiore aufbewahrt und wurde hier am 24. Februar den
gläubigen Verehrern gezeigt. Wenn der junge Altgläubige
in Rom war, so hat er gewiß oft betend hier geweilt.
in ähnlicher Weise abhanden gekommen wie den
Aschaffenburgern die Tafeln ihres Altars: ich glaube,
daß man dann als Ersatz ganz gewiß wieder die Kreuzi-
gung — eher als die Marienszenen — an einem be-
schränkteren Altarwerk angebracht hätte.
In Aschaffenburg aber hat er die Außenseite von
Schülern malen lassen! Und dennoch; als diese ab-
handen kommt, bringt man deren Bildvorwurf und
nicht den von Grünewald im Hauptbild gemalten am
Altar an! Ob nicht gerade der Umstand, daß Grüne-
wald von der Gewohnheit alles selbst zu machen ab-
geht, im Verein mit dem, was später geschehen ist,
den Gedanken nahegelegt: Grünewald hatte ein Projekt
für diesen Teil vor, an dessen Ausführung ihn äußere
Umstände — wahrscheinlich die Berufung nach Mainz —
hinderten?
Und die Entwürfe, die für eine solche Anbetung
vorhanden sind, lassen über die Tatsache keinen Zweifel
mehr zu.
In Frage stehen zwei Blätter mit drei figürlichen
Darstellungen, die längst als zusammengehörig von
der Forschung anerkannt, aber mit dem obengenannten
Uskemer Altar in Verbindung gebracht worden sind2).
Das erste Blatt (im Berliner Kabinett) ist doppelseitig
bezeichnet (Schmid, Taf. 42/43). Die Vorderseite zeigt
den knienden Mohrenkönig in prachtvollem von zwei
Cherubim gehaltenen Mantel3), die Rückseite, die nach
links geneigte Gottesmutter mit dem Kind auf dem
Schoß und einem zweiten Knaben hinter sich. Als
dritter Entwurf kommt ein vor dem Stamm einer Eiche
stehender, ad-orierender Heiliger hinzu, der das Haupt
nach links wendet und einen Stab im Arm trägt
(Schmid, Taf. 50); diesem Attribut nach kann es nur
2) Fr. Bock, Die Werke des M. Gr. (Straßburg 1904)
hat den richtigen Zusammenhang und den Bildvorwurf be-
reits erkannt, meint aber, es handle sich um ein später
verworfenes Projekt und hält das Freiburger Fragment
(Außenseite) für ein eigenhändiges Werk Qrünewalds.
3) Daß es der Mohrenkönig ist, scheint mir außer
Zweifel zu stehen. Trotzdem das Gesicht — es handelt
sich ja in der Hauptsache um eine Gewandsstudie — nur
in wenigen Strichen hingeworfen ist, sind die Rassenmerk-
male völlig deutlich: kurzes Kraushaar auf dem Rundschädel;
bartloses Gesicht mit wulstigen Lippen und platter Nase.
Die tief ins Gesicht gezogene, schiefsitzende Zackenkrone
erinnert an die Art, wie der Mauritius auf dem Münchener
Erasmusbilde (nach dem Vorbild des Hallischen Reliquiars)
seinen Kranz trägt; auch die Geste der erhobenen »sprechen-
den« Handerinnertinihrer Lebhaftigkeit anjenen. Ungemeine
Pracht, wie sie hier in dem kolossalen Mantel zum Aus-
druck kommen soll, ist stets das Zeichen dieses Königs.
Zuletzt mache ich auf die Engel aufmerksam. Ihre unge-
wöhnliche, nicht von den Schultern, sondern vom Ober-
arm ausgehende Flügelbildung kommt nur ein einzigmal
bei Grünewald wieder in gleicher Weise vor: bei dem
mohrenhaften musizierenden Engel ganz links vorn im »Tem-
pel« zu Isenheim. Mohr und Heide werden häufig inden-
tifiziert. Wenn diese »exotischen« Engel also dem Mohren
beigegeben waren, so konnte damit sehr wohl ähnliches
gemeint sein, wie mit jenem Isenheimer Engel, der schon
von anderer Seite als einer von denen gedeutet wurde,
die »Nicht die ganze Erkenntnis des Mysteriums, der Fleisch-
werdung, des Leidens und der Auferstehung« besaßen.