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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Johansen, P.: Bemerkungen zur Frontalität, deren Ursprung und Ende
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 18. 26. Januar 1917

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BEMERKUNGEN ZUR FRONTALITÄT, DEREN
URSPRUNG UND ENDE

Das Gesetz der Frontalität hat Julius Lange ge-
funden, seinen Ursprung aber nicht erklärt. Er hat
sich damit begnügt, auf ethische und ästhetische Motive
(Vorliebe für Symmetrie und stereometrische Regel-
mäßigkeit) hinzuweisen, ohne jedoch für seine hin-
reichende Allgemeingültigkeit den Beweis zu bringen.
Die nämliche Ästhetik findet sich unzweifelhaft nur
in Ägypten, und eher als Resultat der Frontalität als
umgekehrt. Im Mittelalter taucht die Frontalität wieder
auf, aber Ethik und Ästhetik waren damals ganz
andere als im Altertum. Und warum sollte die Ethik
eigentlich verbieten, z. B. Mann und Frau in einer
Gruppe sich anblicken zu lassen, während trauliche
Berührung mit den Händen sehr wohl zuläßlich war?

Brunn, Curtius, Collignon u. a. haben an die
Steintechnik als Erklärung der primitiven »Steifheit«
gerührt, ohne jedoch näher darauf einzugehen, während
Löwy (Die Naturnachahmung i. d. ält. griech. K.) viel-
mehr die primitive Vorstellungsart, die nur die ein-
fache Front- und Profilansicht kennt, gelten lassen will.
Jul. Lange hat nur nebenher bemerkt, daß die frontale
Figur »etwas vom vierseitigen Pfeiler an sich hat«,
oder daß die Einzelformen als »Flachrelief auf dem
Formkern« ausgeführt sind, das aber nur als Äuße-
rungen einer »architektonischen« Tendenz angesehen.

Was Löwy über die primitive Vorstellungsart ge-
sagt hat, trifft gewiß zu. Aber für die unerbittliche
Strenge der Steinfiguren-Frontalität reicht es nur in Ver-
bindung mit der Technik aus, denn die »kindliche«
Vorstellungsart kennt Bewegung, und primitive Kunst
erlaubt im Relief, insofern es die Fertigkeit im Zeichnen
zuläßt, sehr wohl allerlei Drehungen und Bewegungen,
die bei der frontalen Statue ausgeschlossen sind.

Ob bei der figürlichen Kunst die Tonplastik oder
die Steinskulptur die ältere ist, bleibt unsicher; augen-
scheinlich hat aber die letztere, als die vornehmere und
heiligere, die Gesetze der Standbildkunst überhaupt
vorgeschrieben und aufrecht gehalten.

Der primitive Bildhauer arbeitet von außen nach
innen. Er fängt damit an, seinen Block kubisch zu-
zuhauen, und zeichnet darauf Front- und Profilansicht.
Das ist einleuchtend, und ferner liefert die von Gardner
zitierte unfertige archaische Figur aus Naxos den
formellen Beweis dafür (Journ. of hell, studies XI. 1890).
Nach der ersten Zusägung oder dem Zuhauen des
Blockes hat der Künstler vier Umrisse, um daran weiter
zu arbeiten; er bearbeitet sie wie vier zusammenstoßende
Reliefs — daher das »pfeilerartige«, sie »schmecken
nach dem Block«. Er sucht den Übergang an den
Ecken nach Vermögen zu vermitteln. Bei Holzfiguren

fällt ihm dieses leichter, weil der Holzstamm gewöhn-
lich rund geblieben ist; bei des Holzes geringerer
Breite müssen die Arme recht oft getrennt ausge-
arbeitet und angesetzt werden, weshalb ihre Stellung
und Bewegung etwas freier werden kann, vom Körper
unabhängiger, als bei Steinfiguren. Wird die Gußform
für Bronzefiguren über einem Holzmodell gefertigt,
so bekommt die Bronze denselben Charakter; daß
dieses in Ägypten das Gewöhnlichere war, macht die
sehr feine, im Ton kaum mögliche Durchführung
aller Einzelheiten wahrscheinlich. Bei den Griechen
scheint dagegen das Tonmodell Regel gewesen zu sein.

Der Bildhauer setzt seine Arbeit fort, bis die Figur
hinreichend deutlich, entsprechend den Forderungen der
Zeit, dasteht. Primitive Zeiten scheiden nicht so scharf
zwischen dem plastischen Formgefühi und dem nur
bildmäßigen (malerischen); man will nur wissen, was
die Figur im ganzen und im einzelnen darstellt.
Es genügt deshalb, die Einzelheiten in Flachrelief oder
mit Farbe auf dem Formkern anzugeben. Daher
nimmt der Ägypter keinen Anstoß daran, Verbin-
dungswände zwischen Armen und Rumpf, zwischen
den Beinen oder dem Rückpfeiler (Überrest der Hinter-
grundplatte) beizubehalten, weil die Deutlichkeit da-
durch nicht beeinträchtigt wird. In der archaisch-
griechischen Kunst fällt das bei Behandlung des Kopfes
besonders auf. Die Nase ist eine dreieckige Spitze für
sich; der übrige Kopf ist ein eirunder Kern, worauf
Augen, Brauen, Mund, Haar, Ohren vor dem Be-
hauen aufgezeichnet werden. Sehr oft liegen Brauen
und Wange vorne ganz in derselben Fläche, oder
Mund und Kinn in demselben Plan wie die Stirn.
Bei dem Kopfkern begnügte man sich anfänglich
damit, die Gesichtszüge einfach einzuritzen und zu
bemalen (ganz ähnliches läßt sich im frühen Mittel-
alter verfolgen). Das Auge ist groß, rund, »glotzend«
hervorstehend, und die vordersten Punkte des Aug-
apfels liegen in derselben Fläche wie Brauen und
Wange. Die Augenlage folgt der Rundung des Kopf-
kerns; es gibt fast keine Vertiefung zwischen Auge
und Nase, d. h. man haut nicht weiter hinein, als daß
man die Aufzeichnung festhalten kann; es muß nur
deutlich werden, »dieses sind die Augen, womit
die Figur sieht«, oder daß »der Blick wirkt« (Conze
in Sitzungsber. a. d. k. preuß. Akad. d. Wiss. VII, 1892,
p. 52). Je härter der Stein, desto weniger vertieft man;
wenn moderne Bildhauer in Granit arbeiten, kann
man mitunter etwas ähnliches bemerken. In dem
weichen Ton (Bronze) kommt man leichter zu kräf-
tiger Einhöhlung (Bronzeköpfe aus Olympia und
Kythera: Brunn-Bruckmann, Denkm. 220—21).

Daß das erwähnte Verfahren notwendigerweise die
Frontalität für Standbilder nach sich ziehen mußte,
 
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