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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1902)
DOI Artikel:
Neal, Heinrich: Moderne Musik und Musikunterricht
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0126

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jVloäeime jViusik unci Musikunlerrickl:.

Es wird keinem der Sache Näherstehenden entgangen sein, daß
zwischen deu musikalischen Erzeugnissen der neueren Zeit und ihrer
Wiedergabe durch die Dilettanten und die Lernenden ein Mißverhültnis
eingetreten ist.

Gewöhnlich wird der Grund davon seitens der Liebhaber in der
ungemeinen Schwierigkeit der Werke gesucht, dic dem nicht mit Virtuosen-
mitteln ausgestattetcn Spieler die Wiedergaüe einsach verbietet oder ihm
mindestens die Freude daran verdirbt. Gewiß ein Grund von großer
Bedeutung. Es ist nicht zu leugnen, daß bei der allgemeinen Steige-
rung der Technik in neuen Werken dcr lcrnende Spieler nicht mehr mit-
kommen konnte, besonders erwies sich die moderne Orchesterkompasition
mit ihrer Uebertragung dcs verwickelten Stimmgewebes aus das Klavier
als ein unverwendbares Lehrmittcl. Der vierhandige Auszug sowie
die Bearbeitung für zwei Klaviere zu vier und acht Händen bieten da-
gegen schon eine bessere Handhabe zur Bewältigung ciner technisch
schwierigen Komposition, wenn auch hier in den einzelnen Bearbeitungen
manches verfehlt erscheint: sie können daher für die Lernendcn empfohlen
wcrden, ganz abgesehen von den tcchnischcn Bortcilen, die sie den
Spielern sonst bieten.

Aber die Schwierigkeiten liegen bci den modcrnen Werken nicht
allein in den Ansprüchen an eine erhöhtc Fingerfertigkcit. Sie liegen
noch mehr in den ungewöhnlichen Nhpthmen und besonders in der
modernen Harmonisierung, denen der Schüler meist hilflos gegenüber-
steht. Dieses Unvermvgen, das musikalische Bild zu überblicken, ist
sicher in vielcn Fällen der crste Grund, der das freie Entfalten einer
oft hübsch entwickelten Technik verhindert. Hier würe nun der Hebel
zugiinsteii einer Popularisierung neuer Musik einzusetzen: Der Schülcr
müßre viel besser theoretisch vorbereitet an diese Werke hcrantreten.
Es wird also Sache eines gediegenen, für die praktischcn Verhältnisse
eingerichteten Harmonieunterrichtes sein, hier aufklärcnd und fördernd
zu wirken. Daß dem so gebildeten jungen Musiker dadurch auch crst
die Möglichkeit gegeben ist, das so wichtige Vom-Blatt-Lesen mit dcm
gewünschten Erfolg zu bctreiben, sei nur ncbcnbei erwähnt.

Es gibt aber in unserm Kunstlebcn, besonders der neuen Literatur
gegenüber, noch viel bosere und hartnückigerc Feinde, als all diese
Schwierigkeiten.

Da ist vor allem etwas sehr menschliches: die liebc Beguemlich-

keit, zu nennen. Vom Verleger an, der seine neucn Erscheinungen

weder anzeigk, versendet, noch kritisieren läßt, zum Miisikalienhändler,
dessen Vorrat an Neuheiten in der Negcl Uichtssagend ist im Vergleich
zu den Stößen und Ballen alten Materials, die scincn Laden füllen,
vom Lehrer, der seit zehn Jahren seinen Vorrat an Etüden, Sonaten

und sechs Vorspielstückchen nicht erweitert hat, zum Schüler — dem

schließlich noch Unschuldigsten —, der sich auch nicht gerne auf ein ihm
dunklcs Gebiet verirrt — überall dieselbe Beguemlichkeit und Gleich-
giltigkeit! Frcilich trägt hiezu die jährliche Neberschwcmmung des
Marktes sehr viel bei, wenn sie auch den Mangel an Jnteresse bei den
Bcteiligtcn durchaus nicht entschuldigen kann. Wäre es nicht eine Pflicht

Aunstwart

— ioe —
 
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