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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Simon, James: Busoni
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0178

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bedeutet ihm nun ein »Mirage surnaturel et mystique de la vie« (Sulzberger). Eine
grobe musikalisch-phantastische Komödie entsteht: »Die Brautwahl«, die Geschichte
von drei Freiern, zu der Busoni selbst nach Hoffmanns gleichnamiger Novelle den
Text verfabte. In dieser Oper, die mir bei der Premiere (1912 in Hamburg unter
Brecher) starken Eindruck machte, ist alles phantastisch: Personen und Situationen.
Ein holder Dämon der Goldschmied Leonhard, grotesk der Baron Bensch, der
jüdische Elegant. Und faszinierende clair-obscur Wirkungen durch das Ineinander-
weben von Dur und Moli (S. 408 der Partitur), wie wir sie häufig bei Busoni, in
der Contrappuntistica sogar mit durchgehaltenem Doppelpedal treffen. Das Berliner
Publikum kennt die Brautwahl bisher nur aus dem Konzertsaal, für den die ent-
sprechende fünfsäffige Suite gedacht ist. Auf wirbelnden Spuk folgt ein lyrisches
Stück, ein lässig-versch wänntes Duett zwischen dem Maler Edmund und seiner Braut
Albertine. Das mystische Stück nimmt auf die geheimnisvollen Strecken der Oper
Bezug, das hebräische kennzeichnet den unheimlichen, alten dogmatischen Juden
Manasse, der mit seinem kläglichen Winseln und polternden Wutausbrüchen leib-
haftig vor uns steht. Den heiteren Abschluß der Suite bildet originellerweise die
Ouvertüre nebst Feuergaukelspiel. Unbedingt auf die Bühne jedoch gehört die
Szene am Froschlaich mit den tragikomischen Ertränkungsversuchen des Geheimen
Kanzleisekretärs Thusmann (eine Tenor buffo-Rolle für Lieban); hier mub alles
in herbstliches Grün getaucht sein. Wie verstand es Busoni, dem Berliner Tiergarten
von 1820 eine Mondschein-Romantik abzugewinnen! Die Frösche quaken dazu,
doch spielen solche illustrierenden Züge bei ihm nicht entfernt die Rolle wie etwa
bei Richard Straub. Von diesem unterscheidet ihn auch der Verzicht auf „populäre“
Melodien, die man nachsingen könnte. Eine einprägsame Kantilene, wie wir sie
im Concertino für Klarinette finden, gehört zu den Seltenheiten. Auf^r der voll-
ständigen Turandot-Musik, die schon Reinhard in den Kammerspielen 1911 benäht
hatte, werden wir diesen Winter an der Staatsoper nun auch den bezaubernden
»Arlecchino« hören, ein theatralisches Capriccio, das ums 18. Jahrhundert in Bergamo
spielt und den Harlekin in 4 Sähen als Schalk, Kriegsmann, Ehemann und Sieger
vorführt — ebenfalls eine neue comedia deikarte. Welch überlegene Frohlaune
waltet hier! Wie sicher ist der lockere, zum Teil melodramatische Konversationsstil
getroffen! Grotesk, wenn die lustigen Trompeten der Donizetti-Weise in Matteos
Schluhmonolog entstellt wiederkehren; parodlstisch der Trauermarsch als Koda des
zweiten Sah es beim Duett des sprechenden Arlecchino und des singenden Dante-
Verehrers. Eine symphonische Quintessenz der Komödie gibt das Rondo »Harlekins
Reigen«, das hier schon erklang, freilich in unzulänglicher Wiedergabe, und das
Motto trägt: „Im buntgeflickten Gewände, ein geschmeidiger Leib, ein kecker und
kluger Geist“.
In der Idee des übernatürlichen Stoffes und des absoluten Spieles sieht Busoni
eine Möglichkeit der künftigen Oper.

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