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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — 1.1857

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11. Heft
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Technische Erklärung der Beilagen
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https://doi.org/10.11588/diglit.18467#0202

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felsohne keines mehr seine frühere Einfachheit
und Würde eingebüßt, als jenes tragbare Ge-
zelt, das bei feierlicher Frohnleichnamspro-
zession als Himmel, Valdachin, seine Anwen-
dung stndet. Zur Geschichte dieses Balda-
chins sey hier nur tn Kürze bemerkt, daß
dasselbe in seincr jetzigen Weise seine Ent-
stehung fand mit Einführung der Frohnleich-
namsprozession, die etwa gegen Ende des lä.
Jahrhunderts von Belgieu aus in Deutsch-
land in allgemeinere Aufnahme kam. Diese
tragbaren Himmel entlehnten primitiv ihre
Form von einem Gezelte: es war namlich an
vier größern Stangen, die nach oben eine
reichere Ausschmückung zeigten, ein quadra-
tisch geformtes Leintuch befestigt, das nach
oben und unten mit einem reichen Seiden-
stoffe belegt war. Au dieses stärkere Leintuch
waren vermittelst Ringe oder Krämpe vier
Vorhänge von edleren Scidenstoffen befestigt,
die tn der Regel in etner Länge von einer
halben Elle als Draperien nach vicr Seiten
geradlinigt abschließend, cin etnfaches Balda-
chin formirten.

Diese Vorhänge, zuweilen auS rothem
Sammtbestehend oder aus goldgemnstertenSei-
denstoffen, waren gewöhnlich mtt einer breikcn
stteßenden Goldfranse ausgerandet. Die in-
nere Decke des Baldachins war, älteren Au-
toren zufolge, gcwöhnltch mit einer weißen
oder blauen Tafftseide belegt, und erhielt
dieser Eeleg durch stellenweise tn Gold ge-
stickte Sterne ein passendeS Ornament.* Die
vier Stangen, die das cben beschriebene Ge-
zelt tragen, waren meistens kunstreich Profilirt
und in Gold und Farben illuminirt. Diese
Ständer und Träger von Buchenholz waren
oben mit einer doppelten reich vergoldeten
Kreuzblume ornamentirt; jedoch finden sich
anch Baldachine, an welchen die Ständer oben
in einen reich geschnitzten Knanfausmündcten,
in welchcm Straußen- oder Retherfedern be-
festigt waren, die diesem Gezelte als prunkende
Zierde gereichten. Die Hauptsache jedoch bet
derAusstattungdicsessogenannten„Htmmels"
im Mittelalter wak darin zu suchen, daß er
leicht transportabel war, d. h. inan gab ihm
eine solche Einrichtung, daß er erstens für die
Träger keine große Last bildcte, und zweirens
daß er bei der Enge der Wege durch Znsam-

^ Jm gernianischenMuseum zuNürnberg sahen
wir kürzlich ein ähnliches Baldachin, das früher
die Llens-r eines Altars überragtc , und war dic
inncre Bedachnng dieses Baldachins mit einem
feinen Leinenstvsfe vcrsehen, wvranf in Tempera-
farben mnsieirende Engel gemalt waren.

menschrettcu der Träger sich etnfach zusammen-
saltete.

Dte Renaissance, dte überhaupt alle kirch-
lichen Ntensilien ohne Noth kolossal und
hochtrabcnd ausbildete, benahm auch dem
früher so schöncn und zweckmäßigcn Frohn-
leichnamsbaldachin seine primiltve Einfachheit
und Zweckmäßigkeit, indcm sie au die Stelle
der früheru Ueberdachung von grober Lein-
wand, nach beiden Seiten, wie oben bemerkt,
mit edlen Seidenstoffen überspannt, einen
schwerfälligen hölzernen Kasten setzte, der
nach obcn hin zuweilen kuppelförmig aus-
mündete, zuweilen aber auch die Gestalt einer
Zwiebel oder einer Pfefferbüchse annahm. Die
Jndustrie des 19. Jahrhunderts bemächtigte
sich auch in letzterer Zeit dieses Baldachius,
und sperrte zwtschen diese vier Stangen einen
unbewcglichen Kasten von Blech oder Zink
cin, den der Ungeschmack eines gewöhnlichen
Anstreichers und Lackirers auf eine höchst un-
kirchliche Weise bunt und flitterhaft auszu-
statten nicht unterläßt. Kein Wunder, daß
solcheKolosse vonBalbachinen von unschöner,
unkirchlicher Form meist Lcuten zum Tragen
anvertraut werden müfsen, dte besoldet, all
ihre Körperkraft aufbieten müssen, um diese
schweren Möbel keuchend durch die Stadt zu
schaffen. Wären jedoch diese Baldachine leicht
transportabel und ebenso geschmackvoll wie
im Mittelalter eingerichtet, so würdcn sicher-
lich die Honoratioren in Stadt und Land es
gewtß sich zur Ehre anrechnen, dieses leicht
tragbare Baldachin über dem Sanotissimnm
bei feierltcher Prozession empor zu halten.
Glücklicherweise haben sich Baldachine in der
eben angedeuteten ältern Form in Frankreich
und Jtalien allgemein erhalten und haben wir
uns immer gefreut, daselbst wahrzunehmen,
wie die Vornehmsten in der Stadt dem 8ane-
rissimnm bei feierlichen Umzügen abwechselnd
das Ehrengeleite gaben, und an vier leichten,
reichverzierten Ständern ein Gezelt von leich-
ten, beweglichcn Seidenstoffen trugen, die
durch ihre Leichtigkeit es gcstatten, daß auch
ältere Standespersonen sich am Tragen des
Baldachins betheiligen könncn.

Jn neuester Zeit hat man auch am Nieder-
rhein, wo noch, aus der Renaissance- und
Zopfzeit herrührend, schwerfällige Möbel von
Baldachinen in lackirtemBlech oderZinkhäufig
angetrvffen werden, begonnen, lcichte trans-
pvrtable Gezelte anfertigen zu lassen, dte an
die schönen alcherkömmlichen Frohnleichnams-
gezelte dcs Mittelalters ertnuern, wte wir sie
auf mittelalterlichen Gemälden und ältern
 
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