Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Chronik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0110

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
CAMILLO BOITO f

Im Alter von 78 Jahren ist am 28. Juni in Mailand
der Architekt und Kunstschriftsteller Camillo Boito ge-
storben. Als Sohn eines aus Belluno stammenden Minia-
turporträtisten Sil vestro Boito und einer polnischen Gräfin
Radolinska am 30. September 1836 m Rom geboren, hat
er zunächst in Padua litterarische Studien getrieben,
dann auf der Venezianer Akademie sich der Kunst ge-
widmet und schon als Zwanzigjähriger dort eine An-
stellung als Lehrer der Architektur erhalten. Von einem
Studienaufenthalt in Rom und Florenz riefen ihn 1859
die Kriegsereignisse nach Venedig zurück, aber die Ver-
folgungen der österreichischen Regierung zwangen ihn,
in Mailand, das auch seinem Bruder, dem Dichterkom-
ponisten Arrigo Boito, zur zweiten Heimat wurde, ein
Asyl zu suchen. Hier hat er bis 1908 als Professor der
Architektur an der Brera-Akademie gewirkt, zahlreiche
begabte Schüler, wie Luca Beltrami, Gaetano Moretti
und Giuseppe Sommaruga, herangebildet und eine er-
folgreiche Thätigkeit als Architekt und Restaurator ent-
faltet. In seinem gotisierenden Konkurrenzentwurfe zur
Umgestaltung des Mailänder Domplatzes (1860) unter-
lag er zwar gegen den Klassizisten Mengoni, aber sein
Kampf gegen die absterbende klassizistische Richtung
seiner Zeit brachte ihn schnell an die Spitze der fort-
schrittlichen Elemente, die sich seiner Führung anver-
trauten. In Gallarate hat er in lombardisch gotischem
Stile die Cappella Ponti nebst der diese umgebenden
Friedhofsanlage ausgeführt, in Padua den originellen
Palazzo delle Debite, die Fassade und das Treppenhaus
des Museo Civico erbaut und sich als Restaurator des
Donatello-Altars im Santo betätigt, in Venedig das phan-
tastisch-reiche marmorne Treppenhaus des Palazzo Fran-
chetti und in Mailand das von dem Komponisten Verdi
gestiftete Musikerheim errichtet. Auch als Kunstschrift-
steller hat Boito seine fortschrittlichen Ansichten mit
Erfolg vertreten. Bleibenden Wert dürften seine „Archi-
tettura del Medio Evo in Italia" (Mailand 1880), sein
„Duomo di Milano" (Mailand 1889) und die von ihm
geleitete Zeitschrift „Arte Italiana decorativa ed in-
dustriale" behalten. Der Tod des greisen, hochangesehe-
nen Künstlers,
der bis zuletzt
als Ehrenpräsi-
dent die Aka-
demie der Brera
leitete, hat in
Italien tief be-
rührt. W. B.

»
Zum Nach-
folger Tschudis
auf dem in der
Zwischenzeit von

Professor Braune vertretungsweise besetzten Posten des
Generaldirektors der bayerischen Staatsgalerien ist der
bisherige Direktor der k. k. österreichischen Staats-
galerie in Wien, Dr. Friedrich DörnhöfFer, ernannt
worden. Diese Berufung scheint darzuthun, dass die
Regierung die künftige Leitung ihrer Sammlungen im
Sinne Tschudis für entsprechend hält. Wohl ist Dörn-
höfFer als Museumsbeamter den Kunstwerken vergange-
ner Zeiten zunächst geneigt, und es haben sich die
wenigen sachlichen, klugen wissenschaftlichen Arbeiten
des schweigsamen Gelehrten nur an einen kleinen Kreis
von Fachgenossen gerichtet, deren interner Beifall un-
eingeschränkt war. Aber seine ausgezeichnete Leitung
des österreichischen Pavillons auf der grossen inter-
nationalen Kunstausstellung in Rom 1911, die Dörn-
höffers empfindungsvolles Verhältnis zu den Absichten
der modernen Kunst vorzüglich offenbarte, und seine
Ankäufe für die österreichische Staatsgalerie in Wien
(siehe Jahrgang X, S. $ 3 3 ff.) bekunden das Vorhanden-
sein jener glücklichen Einigung von Eigenschaften der
Bildung und des Geschmacks, welche von diesem höhe-
ren Posten aus auch der Allgemeinheit im edelsten
Sinne zu nützen vermögen. Diese Begabung und die
vornehme Gesinnung des neuen Generaldirektors, der
sein Amt am 1. Oktober angetreten hat, befreien
Tschudis Freunde von der Sorge um das verantwortungs-
volle Erbe des Geschiedenen und lassen sie mit freudiger
Erwartung den Absichten und Plänen Dörnhöffers in
München entgegensehen. U.-B.

*
Die Anlage eines längst geplanten Strassenbahn-
tunnels unter den Linden zwischen Universität und
Opernhaus soll jetzt wie man hört in Angriff genommen
werden. Die Pläne sehen auf der Südseite zwei Auf-
fahrtsrampen vor. Die eine dieser Rampen soll zwischen
Bibliothek und Opernhausdas Strassenniveau erreichen.
Vor dieser Lösung der Aufgabe sei in letzter Stunde
noch dringend gewarnt. Der ganze Raum zwischen
Opernhaus und Bibliothek würde dadurch verdorben
werden. Es muss sicher möglich sein, auch die zweite
Auffahrtsrampe geradeaus zu führen und so den histo-
rischen Platz zu
schonen. Das er-
höht vielleicht
die Kosten; aber
die Erhaltung
dessen, was zer-
stört würde,
wenn das jetzige
Projekt ausge-
führt wird, ist
diesen Preis

wert.

K. Seh.

ADOLF MENZEL, VIGNETTE

95
 
Annotationen