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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 5
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Friedländer, Max J.: Slevogts Zauberflöte
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0210

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und alle verfehlten Versuche mit Theatermecha-
nerie sind vergessen. Freilich ist der Zeichner
im Vorteile, da er frei von der erdenschweren
Wirklichkeit, vom Rampenlicht und all der Be-
grenztheit und Notdürftigkeit des Bühnenwesens,
die steilsten Pfade zu gehen vermag und Flügel
besitzt, fast so hoch zu steigen wie der Musiker.
Slevogt ist reich genug, von dieser Freiheit zu
profitieren, er wahrt das Gefühl für das rechte
Maß, das im Ethischen Takt und im Ästhetischen
Geschmack genannt wird.

Niemand außer ihm hätte diesen Ton getroffen,
der als das Echo der Mozartschen Melodie erklingt.
Weder Menzels gewissenhafte und sachliche Ge-
nauigkeit, weder Klingers intellektueller Pathos,
noch Liebermanns Naturpietät hätten den Weg zu
Mozarts Zauberwelt so geschmeidig und leichtfüßig
gefunden. Spuk, Gefahr und Abenteuer lösen sich
in Wohllaut und wandeln sich in körperliche An-
mut. Aus der triebhaften Menschlichkeit erblüht
ein Humor, der sich nicht als gedanklicher Witz
über das Thema erhebt.

Mit glücklichem Einfall ist jedem Blatt ein
Teil von Mozarts Originalpartitur eingefügt, die
starren Notenlinien mit den handschriftlich lockeren
Musikzeichen und den Textworten. Das gerade und
viereckige Liniengitter bildet den Kern der Bild-
seite, Sockel, Stufe, architektonisches Gerüst oder
Leiter und Treppe für die Figurenkomposition; es

gleicht einer Zauberretorte, in der die Notenköpfe
auf- und abperlen, aus der Gebilde in Fülle auf-
quellen, bald lieblich, bald grotesk und durchpulst
bis zum letzten Striche von dem Rhythmus der
Mozartschen Weisen.

Slevogt hat die stufenreiche Skala der Radier-
kunst von einem Ende zum andern benutzt und
aus dem kleinen Orchester der Schwarz-Weiß-
kunst alle Wirkungen herausgeholt. Die ätherisch
zarten Linien der kalten Nadel, die sammetweichen
Flecken des Grats, die sonoren Akzente des ge-
ätzten Striches lösen einander ab und heben sich
gegenseitig. An wenigen Stellen spielt etwas Aqua-
tinta hinein.

Andeutend und mit halben Ton improvisierend,
erzählt die Radiernadel, was bei lautem und aus-
führlichem Vortrag an Reiz einbüßen würde; die
aphoristisch spielende Bildlichkeit hebt die Vor-
gänge, die komischen und tragischen, in eine
luftige und helldunkele Sphäre, wo die Erinnerung
an die grobe und deutliche Körperlichkeit der Bühne
uns nicht mehr belästigt.

Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß diese be-
schwingte Schöpfung während der Kriegsnot ent-
standen und auf besetztem Gebiete vollendet worden
ist. Die gefestigte Ruhe des Meisters blieb gesund
und unberührt, und sein Werk erfüllt uns mit der
Zuversicht, daß das Glockenspiel zu tönen nicht
aufgehört hat.

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