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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 7
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Bode, Wilhelm von: Die "Not der geistigen Arbeiter" im Gebiet der Kunstforschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0309

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schrieben wird, sich noch bis zu sechzig Reflektan-
ten melden, so kann man es den Fachgenossen
nicht verdenken, wenn sie nach allen vergeblichen
Konkurrenzen, schließlich einen andern Beruf zu
gewinnen suchen. Früher suchten und fanden sie
ihn vielfach in der Publizistik, namentlich im Kunst-
feuilleton, seit dem unerhörten Erfolg des Kunst-
handels häufiger noch in diesem. Seit dem Kriege
sind allein in Deutschland etwa ein Dutzend Kunst-
historiker aus der Museeumslaufbahn in den
Kunsthandel übergegangen. Das ist natürlich von
ungünstiger Wirkung auf unsere Wissenschaft, da
die Überläufer regelmäßig nicht mehr mitarbeiten,
dagegen durch ihre alten Beziehungen und ihren
leichten und meist wenig verdienten Erfolg auf
die Kollegen teilweise ungünstig einwirken. Denn
leider hat der früher auch in Deutschland in
seinen Hauptvertretern so achtungswerte Kunst-
handel seit dem Kriege vielfach eine Form an-
genommen, die — euphemistisch ausgedrückt —
Treu und Glauben nicht mehr selbstverständlich
erscheinen läßt; die gute, altmodische Form lernen
jene Renegaten jetzt kaum noch kennen. Einen
Teil der Schuld an dieser Perversität des Kunst-
handels bei uns trägt leider auch die Regierung,
indem sie, wenn auch unbewußt, gerade die
schlimmsten Burschen nicht nur duldet, sondern
sie noch fördert.

Bei jenem Zudrang zu jeder freien Stelle in
den Museumsleitungen stellt sich nun gleichzeitig
das Unerfreuliche heraus, daß unter Dutzenden von
Bewerbern sich meist nur schwer die geeignete
Persönlichkeit finden läßt. So sucht — um nur
ein Beispiel zu nennen — die Stadt Köln schon
seit sechs Jahren vergeblich einen Direktor für
das Wallraf Richartz-Museum. Diese Überzüchtung
und zugleich Unterleistung kann nicht ohne Schuld
von Staat und Universität sein. Es wäre Pflicht,
wie in andern Fächern, rechtzeitig vor Überfüllung
zu warnen; und vor allem sollte der kunsthisto-
rische Doktor wesentlich erschwert werden, um
so mehr als er zugleich das in unserm Fach fehlende
Staatsexamen ersetzt.

Nachteilig für die Karriere der Kunsthistoriker
ist auch der Umstand, daß ihnen Stellungen, für
die sie berufen wären, noch meist vorenthalten
werden. In der Denkmalspflege werden ihnen die
Architekten als Konservatoren regelmäßig noch
vorgezogen und als Referenten und Mitarbeiter in

den Ministerien glauben nach wie vor die Juristen
die allein Berechtigten zu sein. Benachteiligt sind
gerade die besonders tüchtigen Fachgenossen auch
dadurch, daß jetzt namentlich die Städte bei der
Besetzung der Direktorstellen regelmäßig vor allem
besondere Vertrautheit mit der modernsten Kunst
und Redegewandtheit verlangen; denn die Stadt-
räte wollen in Kunstfragen nicht rückständig sein,
und die Bürgermeister fühlen sich verpflichtet, für
den Fortschritt in der Kunst durch Ankäufe von
Kunstwerken modernster Richtung mitzuwirken.
So ist es gekommen, daß in unsren Stadtparla-
menten ein übler Dilettantismus herrscht, bei dem
moderne Wanderprediger und snobistische Kriegs-
gewinnler den Ton angeben. So kommt es, daß
bei der Wahl für städtische Sammlungen die
gediegensten Kräfte zugunsten mystisch-phantas-
tischer Schönredner abgelehnt werden, und daß
überall städtische Sammlungen von modernsten
Kunstwerken entstehen, die das große Publikum,
namentlich auch das Proletariat, geradezu abstoßen,
und die schon jetzt in ihrer Einförmigkeit selbst
die jungen Schwärmer für diese Kunst zu lang-
weilen beginnen. Auch in alten Städten mit einer
Fülle von Überresten echter alter Kunst ist dieser
Modernismus Trumpf, sieht man herab auf das,
was in den Landesmuseen in Kassel und Münster,
was in den Museen in Lübeck, Kiel, Danzig und
a. a. O. durch Vereinigung und geschmackvolle
Aufstellung der alten heimischen Kunstwerke ge-
leistet ist. Von der modernsten Kunst können Aus-
stellungen eine genügende Vorstellung geben, und
in wenigen Jahren wird man, mit besserer Kennt-
nis, davon kaufen können, was man will — wenn
dann noch Interesse daran ist.

Diese Zurücksetzung wirklich begabter und
gründlich vorgebildeter Fachgenossen gegenüber
wortgewandten Mit- und Schrittmachern des Ex-
pressionismus ist für unsern Stand ebenso drückend
und gefährlich wie die Abwanderung in den Kunst-
handel. Beide verführen die jungen Kunsthistoriker,
ihre ernsten Studien beiseite zu lassen und sich
auch in Wort und Schrift für den Futurismus
ins Zeug zu legen, statt dies den professionellen
Feuilletonisten zu überlassen, die nicht angekrän-
kelt von der Kenntnis der alten Kunst dieser weit
rücksichtsloser den Garaus zu machen bemüht sind.
Welche Ideen über die Kunst und ihre Aufgaben,
namentlich auch über die Kunstverwaltung unsre

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