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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 18.1920

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Heft 7
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Bode, Wilhelm von: Die "Not der geistigen Arbeiter" im Gebiet der Kunstforschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4750#0310

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modernsten deutschen Künstler und ihren An-
hang von Literaten, Kunsthistorikern und Kunst-
schwärmern beseelen, verrät uns in Wort und
Bild das kürzlich erschienene „IA-Buch, die
Stimme des Arbeitsrats für Kunst". Des Arbeits-
rats seligen Andenkens? wird man mir vielleicht
einwenden; wahrlich nicht nach der Ansicht
der Mitglieder, die sich noch immer als „Orden"
eng verbunden fühlen. Sie erheben daher ihre
Stimmen auch garnicht schüchtern, freilich in
starker Dissonanz; die Sprachverwirrung im baby-
lonischen „Bauhaus" kann nicht ärger gewesen
sein. Einig sind sich die Herrn Räte — die Da-
men nicht zu vergessen — nur in der Negation,
im Niederreißen; um so uneiniger sind sie in ihren
Plänen für den Aufbau, die — wie leider fast alle
die zahllosen Pläne zum Wiederaufbau von Deutsch-
land überhaupt —, in ganz kategorischen, aber
vagen und phantastischen, vielfach unsinnigen For-
derungen aufgestellt werden. „Fort mit allen Kunst-
schulen, fort mit den Museen! Schalten wir den
Staat völlig aus, nur auf vollster Freiheit — selbst-
verständlich unter der Leitung unsres Arbeitsrats —
kann die Kunst zur Blüte gelangen", so tönen die
meisten „Stimmen" zusammen, wenn auch einzelne
schüchterne sich zunächst mit völliger Reform der
Akademien und der Auslieferung des Kunstetats
und der Stipendien an die Räte begnügen wollen.
Und trotz des Protestes gegen Museen, selbst gegen
das Sammeln modernster Kunst für öffentliche
Galerien, trotz der energischen Ablehnung des
„Rahmenbildes", sehen wir, wie seit Jahresfrist
unter lautestem Beifall jener „Stimmen" und ihres
Anhangs ein Museum nach dem andern seine
Sammlung expressionistischer Bilder anlegt, wie
lauter futuristische Rahmenbilder entstehen und
wie solche gerade für die Museen durch ihre ex-
pressionistische Direktoren und Kunstkommissionen
angekauft werden.

Unter allen diesen IA-Stimmen tönt eine Stimme
als ein schrilles NEIN. Wie kommt der alte ernste
Zukunftskünstler Ernst Obrist zu den heutigen Futu-
risten? Zu den Mitgliedern des Arbeitsrats gehört
er nicht, und was er sagt ist in verbindlicher Form
direkte Absage gegen das Programm aller Mit-
glieder. „Jede Hoffnung auf die Mitwirkung, För-
derung oder das Verständnis — so sagt Obrist
u. a. - seitens des Staats, der Gemeinde oder der
politischen radikalen Parteien in den nächsten zehn

Jahren erscheint mir illusorisch und verhängnisvoll.
Die Hemmungen der alten Bürokratie werden einmal
wie nichts erscheinen gegen die Hemmungen der Rätc-
organisationen. Das ganze Geschrei, daß jetzt
endlich die Befreiung des Geistes von allem Druck,
aller Knechtschaft von oben eingetreten, ist durch
und durch unecht." Möge diese Stimme mit der
Zeit auch im ARfK. durchdringen!

Der Expressionismus oder die Ausdruckskunst,
wie man sie jetzt lieber bezeichnet — sehr mit
Unrecht, da sie an Ausdruckskraft selbst hinter
dem Impressionismus weit zurücksteht, - beschränkt
sich nicht nur auf die bildende Kunst: auch die
Musik, die Poesie (der „Dadaismus"), selbst die
Bühne bekennt sich in ihrer gesuchten Nüchtern-
heit, in ihren grellen Effekten, ihrer Gesetzlosigkeit
und dem Lallen angeblicher Naturtöne zu dem
gleichen Prinzip der gesuchtesten Einfachheit und
affektierten Natürlichkeit, zur gesteigerten Innerlich-
keit. Künstler und Kunsthistoriker arbeiten daher
zusammen mit Literaten, Dichtern, Musikern, deka-
denten Kunstenthusiasten, Schauspielern, Theater-
direktoren, Filmdichtern, Filmdiven, um unter der
gemeinsamen Flagge des Expressionismus oder
Dadaismus sich „auszuleben". Daß sie dabei
fast ausnahmslos ins politisch Radikale gelangen,
mag nicht schwer genommen werden, aber die
wissenschaftlichen Bestrebungen können in dieser
gemischten Propagandagesellschaft wahrlich nicht
gefördert werden. Und daß ihr Fleiß dadurch
angeregt, ihre Moral dadurch gestärkt würde,
wird auch niemand zu behaupten wagen. Man
wird zweifellos einwenden, die „Moralität sei
Privatsache": für den Staat, also auch für die
Regierung ist sie das aber gewiß nicht. Seit
Übernahme des gesamten Theater- und Musik-
wesens durch den Staat, hat die Laszivität in
den Stücken und ihrer Vorführung, hat vor
allem die Entartung des Schauwesens in den Kinos
mit ihren obszönen oder selbst perversen Filmen
und Tingeltangeln, hat die Entdeckung der neusten
Kunst, des Tanzes, in seiner wüsten Ausartung
zu schamloser Bloßstellung bis zum Nackttanz eine
traurige Verrohung unseres Volks mit sich ge-
bracht, hat eine große Klasse von „Artisten" ent-
stehen lassen und hat diese zu den „Lieblingen des
Volkes" gemacht, zu deren Gesellschaft sich die
moderne Jugend drängt und mit ihr sich auslebt.
Glaubt man, daß aus diesem Sumpf Deutschlands

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