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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 2
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Grosz, George: Lebenserinnerungen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0086

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GEORGE GROSZ, STRASSENSZENE
FARBIGE ZEICHNUNG FÜR ILLUSTRATION

ner „gesunden" Vernunft. Ab und zu hatte er
Anwandlungen von Schelmerei. So ärgerte er mich
eines Mittags in neckischer Weise damit, indem
er mir dauernd die Enden meiner ganz neuen
Butterflykrawatte aufzog und mich dabei mit
frevlen Anspielungen auf meinen Dandysmus
foppte und verspottete. Schließlich wurde es
mir denn auch zu toll, zumal am Nebentisch
sitzende Akademiker schon anfingen, sich auf
meine Kosten mit zu belustigen. Ich gebot mit
liebenswürdig überstehend sein sollendem verzerr-
tem Lächeln Einhalt. Das Schicksal fügte es,
daß ich gerade einen großen Teller mit italieni-
schem Salat vor mir stehen hatte. Kittilsen, an-
gespornt durch das Vergnügen am Nebentisch und
meiner peinlichen, duldsamen Haltung, begann sein
neckisches Spiel von neuem. Ich verwarnte ihn
noch einmal, aber er achtete nicht im geringsten
auf meine drohende Warnung, faßte nochmals mit
zwei Fingern an meinen einen Krawattenflügel, um
ihn diesmal ganz aufzuziehen. Da packte mich
eine alttestamentarische Wut, ich nahm meinen
Teller und leerte seinen Inhalt auf seinem Kopfe

aus, und mit wutbebenden Händen gab ich noch
eine kräftige Kopffrottage dazu. Jetzt hatte ich die
Lacher auf meiner Seite, und mein Freund K.
schritt schnell und vollkommen außer Fassung über
diese unerwartete Kopfwäsche der Toilette zu.
Wenn wir uns auch späterhin ab und zu ver-
kohlten, so hat er doch niemals wieder versucht,
die Krawatte bei jemand aufzuziehen. Doch ich
habe hier schon weit vorausgegriflen. Nachdem
die Prüfung überstanden, blieb ich nicht länger
bei Kühlings. Ich siedelte in ein kleines möbliertes
Zimmer in der Dornblüthstraße über. Hier wohnte
ich recht und schlecht für sehr billiges Geld in
einem winzigen Zimmerchen nach vorne heraus.
Ich glaube, alles in allem, mit Kaffee früh, zahlte
ich an fünfzehn Mark monatlich. Da war ein
Bett, längs der Wand gestellt, ein üblicher Kleider-
schrank mit Muschel und Kugelornamentik, ein
einfaches Seriensofa mit festgesteckten gehäkelten
Deckchen, ein viel zu kleiner Tisch und ein Stuhl.
Hier saß ich die erste Zeit meines Dresdener Auf-
enthalts leicht melancholisch-einsam und zeichnete
bei der Petroleumlampe oder las, nachdem ich mein
einfaches Abendbrot, bestehend aus etwas Wurst
mit Kartoffelsalat und ein paar Stückchen Dresdner
Käse (sogenannte Leichenfinger), verzehrt hatte.
Die Familie, von der ich das Zimmer gemietet
hatte, war eine ehrbare Proletarierfamilie, der Mann
ging als Drucker auf Arbeit und war den ganzen
Tag fort. Die erste Zeit nahm ich den akademi-
schen Unterricht sehr ernst, war ich doch voller
guter Vorsätze und absolut willens, sie auch aus-
zuführen. Ich stand regelmäßig früh auf, denn
da die Dornblüthstraße in Striesen lag, so hatte
ich mich zu tummeln, um pünktlich an der Staf-
felei zu stehen. Ich war also in die sogenannte
Unterklasse aufgenommen worden. Diese Klasse,
die heute nicht mehr existiert, war eine Art Vor-
klassse, wohl noch aus Winkelmannschen Zeiten
der Klassizistik übriggeblieben, wenn man sie nicht
lediglich als Pensionskrippe einiger Malprofessoren
ansah. Die Mittelklasse war das Reich der Pro-
fessoren Richard Müller und Osmar Schindler. Der
eine regierte mit militärischer Strenge, Malstock
und einem Dutzend tödlich spitzer Kreidestifte —
der andere mehr zivilistisch schlapp mit Estampe,
Wischkreide und Glacepalette. Es wurde in der
Hauptsache nach Gipsabgüssen gezeichnet, die man
in Originalgröße wiederzugeben hatte. An großen

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