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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 2
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Grosz, George: Lebenserinnerungen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0087

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GEORGE GROSZ, AUFLAUF. FARBIGE ZEICHNUNG FÜR ILLUSTRATION

Figuren zeichnete man durchschnittlich eine Woche
bis vierzehn Tage. Zweimal im Monat wurde nach
lebendem Modell gearbeitet. Dann gab es noch er-
gänzenden Unterricht in Perspektive bei dem Ar-
chitekten Beyrich und Anatomie bei dem stets in
einen schwarzen Schwalbenschwanz gekleideten,sehr
verbindlichen und blond bespitzbarteten Prof. Diett-
rich. Ein junger, flott aussehender Landschaftsmaler
Berndt veranstaltete Landschaftskurse, die aber wahl-
frei waren und an der hauptsächlich Architekten
teilnahmen, die sich hinterher besoffen. Halt, da
hätte ich fast den alten Meister Johannes Raphael
Wehle vergessen, er lebt in der Kunstgeschichte
als der Schöpfer des Treffers „und sie folgten ihm
nach" fort. Bei ihm hatten wir hin und wieder
Kompositionsunterricht, und dann und wann korri-
gierte er auch nach Modell und im Abendakt. Er
war ein braver alter Herr, schon leicht mümmelnd,
und gehörte eigentlich schon der zurückliegenden
Zeit des Faltenwurfs und der Thumannschen Ma-
donnen an . . . Nichts zu lachen hatten wir bei
Prof. Richard Müller. Er hielt auf Disziplin und
militärische Pünktlichkeit, wer zu spät kam, wurde
angeschnautzt. Er war selbst ein riesig fleißiger

Arbeiter und von früh sechs bis abends um acht
(er malte bei künstlichem Lichte) unermüdlich an
der Staffelei tätig. Als ich einmal zu spät kam
— er war schon in der Klasse bei der Korrektur —,
herrschte er mich sofort an: „Wo komm'n Sie d'n
her? Wie? Zu spät aufgestanden, was??! Was
heißt'n das, Elektrische versäumen, was? Ein Mann
wie Sie und bei Ihrem Talent, der müßte schon
früh um fünfe vor der Akademietür warten, bis
se aufgemacht wird, scher'nSie sich an die Arbeit."
Ja, so vernichtend konnte er einen herunterkanzeln,
und dabei lag in seinem ganzen Wesen etwas
Autoritätheischendes, dem man sich auch bei aller
Frechheit nicht entziehen konnte, und das keinen
Widerspruch erlaubte. Natürlich machte man sich,
wie stets bei solchen tyrannischen Menschen,
hinter seinem Rücken doppelt lustig. Eine Menge
Anekdoten kursierten von ihm, und unzählig
ist die Zahl seiner höchst originellen Aussprü-
che. Einmal, es war gerade Modellpause, ich
stand allein im Korridor und biß in ein Früh-
stücksbrot, kam er aus seinem Atelier, ging dröh-
nenden Schrittes an mir vorbei, im Gehen wies
er auf das Ewerssche Buch „Alraune" in sei-

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