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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 2
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Grosz, George: Lebenserinnerungen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0088

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GEORGE GROSZ, ZEICHNUNG EUR ILLUSTRATION

ner Hand hin, indem er in seiner sehr charakte-
ristischen Art zu sprechen sagte: „Gehe scheißen,
Zeit nützen." — Er gebrauchte gerne männlich
derbe Worte und seine Aussprüche waren uns
gegenüber von ungewöhnlicher Drastik und erd-
hafter Plastik. Auch die Modelle bekamen, wenn
es gerade an dem war, ihr Teil ab. War irgend
etwas an einem Modell, was sein Interesse heraus-
forderte, so wurde der Gegenstand seines Augen-
merks eingehend vor versammelter Klasse bespro-
chen. Ein männliches Modell hatte einmal einen
etwas dicken Hoden, als Müller das sah, schoß er
sofort ungeniert los: „Was ham S'n da!? Harn
wohl'n Tripper? Was soll'n das? n Sack wie 'n
kleines Brot, würde mal zum Arzt gehen, nach-
sehen lassen!" Das alles kam kasernenhofhaft in so
einer gewissen feldwebelhaften brutalen Jovialität
heraus, so daß man eher belustigt als abgestoßen
war. In seiner Art kurz und bündig das rund-
weg zu sagen, was er dachte, so ganz ohne Kon-
zilianz oder Verbindlichkeit, steckte schlechthin
etwas Zwingendes, etwas Anregendes zum Nach-
machen. Manche unter uns konnten das meister-
haft. Und mein Freund Max Schenke, eine Zeit-
lang Müllers Lieblingsschüler, brachte es darin zu
einer großen Virtuosität. In seiner Sprechweise,
Tonfall und Vergleichsbildung konnte man ihn
schließlich gar nicht mehr von seinem Vorbilde
unterscheiden. Prof. Müller war ein Liebling der

Götter, er stammte aus bescheidenen Verhältnissen,
durch eisernen angeborenen Fleiß hatte er sich
vom Porzellanmaler heraufgearbeitet, und hatte in
sehr jungen Jahren schon den Professortitel be-
kommen. Im Anfang seiner Karriere war er mit
Sascha Schneider befreundet gewesen, doch hatten
sich später ihre Wege getrennt. Trotzdem Müller
immerhin ein ausgeprägter Typ Mensch war, so
hatte er als Pädagoge seine Mängel. Er war in
seine eigene Art, haargenau zu zeichnen, vernarrt
und ließ außer bestimmten alten Meistern, viel-
leicht noch Greiner und Klinger, fast nichts
neben seiner Auffassungsweise gelten. Darin war
er absolut untolerant und wenig weise. Ich be-
sinne mich noch, als eines Tages ein junger,
sehr eleganter tschechischer Jude namens Barkus
ein neu erschienenes Buch, den Katalog von
SchiefFler über Noldes graphisches Werk, in
die Klasse mitbrachte. Schadenfroh, wie wir
gesonnen, spielten wir es geschickt in Müllers
Hände. Er biß auch richtig an, und hielt zum
Gaudium der fortschrittlich Gesinnten unter uns
eine drastische, höhnische Vernichtungsrede gegen
Nolde. Besonders ärgerten ihn die bei jeder Blatt-
beschreibung angebrachten Größenmaße, ein Vor-
recht, das in seinen Augen nur den wirklich ab-
gestempelten alten Meistern zukam. Unser Freund
Höhmann, ein etwas nervöser Sohn eines Gubener
Apfelweinfabrikanten, war durch seine nervöse,
fahrige Anlage, der, wenn man so sagen kann,
„geborene" Impressionist, er brachte nie eine Zeich-
nung ganz fertig, sondern tüpfelte und strichelte
dauernd kribblig auf dem Papier herum. Ihn
konnte Müller gar nicht verknusen, denn diese ner-
vöse impressionistische Krakelei, ohne rechte Ähn-
lichkeit des Modells, war so ganz das Gegenteil
von seiner eigenen exakten, wie mit dem Kamm
gezogenen Photographenarbeit. Als Höhmann eines
Tages in einer allgemeinen Unterhaltung, die Müller
gelegentlich liebte, den Namen van Goghs er-
wähnte, brach aus Müllers Mund ein richtiges
Kasernendonnerwetter über den verblüfften Höh-
mann und über uns herrein. „So'n Gogh! So'ne
Scheiße, schmiert da so'n Sonnenuntergang in einen
Nachmittag, was soll'n das, ich male zwei Jahre
an nem Bild, so'n Gogh schmiert sein Scheißdreck
in 'ner halben Stunde runter und verkooft's für
fünfzehntausend Mark — so'n Mist!!" Wir freuten
uns mächtig über solche Temperamentausbrüche


 
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