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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 8
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Gronau, Georg: Kunstwissenschaft und Expertise, [2]
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Beenken, Hermann: Kunstwissenschaft und Expertise, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0357

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teu: bei allem Respekt vor Bodes Namen, einen Ton, wie
dieser ihn in seinem Artikel angeschlagen, wäre man jen-
seits des Kanals nicht gewöhnt und man schätze ihn nicht.

Ich kann ein Gefühl der Beschämung nicht unterdrücken,
wenn ich sehe, auf welchem Tiefstand literarischer Gesittung
wir seitdem angelangt sind, wenn ein solches Elaborat wie

das des Leipziger Dozenten möglich ist — und nicht allein-
steht. Was an anderer Stelle und von anderen Seiten letzt-
hin veröffentlicht worden ist, hält oft das gleiche Niveau.
Das schlimmste daran aber ist, wie mir scheinen will, daß
auch Universitätslehrer sich solchen Treibens schuldig machen.

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Das Thema, um das es geht, um das aber G.s Entgeg-
nung in einem weiten Bogen herumgeht, heißt: „Kuns t-
wissenSchaft und Expertise." Der von mir Angegriffene
mißversteht noch die Situation. Es geht nicht so sehr um ihn
als Person, es geht — in erster Linie wenigstens — nicht
um Bellini und auch um wissenschaftliche Standpunkte nicht.

Daß in einem Kampfe, der heute um der Ehre und des
Ansehens der deutschen Kunstwissenschaft willen gekämpft
werden muß, gerade ich gegen G. das Wort führte, ist im
Grunde ein Zufall. Auf die allzumenschliche Polemik G.s
gegen meine Person und den Versuch, meine wissenschaft-
liche Leistung herabzusetzen, gehe ich daher nicht ein.*
Zur Sache sei dieses gesagt: Zu Bellini-Problemen, die
ich als ernstlich wissenschaftlich strittig und zugleich als
streitwürdig anerkennen kann, haben meine Bemerkungen
über G.s Buch überhaupt nicht Stellung genommen. Ich hatte
meine persönliche Ansicht, daß weit mehr als die Hälfte
der von G. abgebildeten Werke verdächtig ist, nie von dem
Pinsel des Malers berührt worden zu sein, absichtlich zu-
rückgehalten und geschrieben: fast die Hälfte der Seiten
zeige Bilder, die offenkundig nicht von B. seien. Eine
Aufzählung unterließ ich deshalb, weil dies vorerst auf B.
spezialisierteren Kollegen zusteht. Mit deren Meinung weiß
ich die meine — wenigstens über die von mir bezeichnete
Menge von Bildern — grundsätzlich in Einklang. Ich darf
daher einfach auf weitere Auseinandersetzungen mit G.s Klas-
siker verweisen, die, wenn ich nicht irre, in der „Deutschen
Literaturzeitung" ** und in der „Zeitschrift für bildende Kunst"
früher oder später erscheinen werden. Sind diese erschienen,
werde auch ich mich zu Einzelnem äußern.

Eine bestimmte Gruppe von Kunstkennern sieht es als
ihre Aufgabe an, auf die überlieferten und kritisch faßbaren
Malernamen alle vorhandenen Bilder aufzuteilen. Andere

* Der nicht orientierte Leser soll nur eines wissen: wie es um das
„Elaborat dieses Herrn" steht, nämlich meine Besprechung der Publi-
kation: „Das unbekannte Meisterwerk" im Beiblatt der „Zeitschrift
für bildende Kunst". Ich hatte hier unter anderem die Aufnahme
eines von Berenson, L. Venturi und Valentiner veröffentlichten „Ma-
saccio", immerhin durch drei Aufsätze über den Meister zu einem
Urteile legitimiert, als Mißgrifl bezeichnet. Der von mir geäußerte
Verdacht, daß das Bild eine sehr weitgehende moderne V er fäl-
sch ung sei, wurde mir inzwischen von direkt unterrichteten Seiten
bestätigt. Aus einem fragmentarisch erhaltenen alten Bilde wurde der
„Masaccio" künstlich gemacht. Eine Aufdeckung der Affäre unter-
bleibt, weil die Person eines der Hauptbeteiligten aus menschlichen
Gründen Schonung verdient. Wenn man in einer solchen Sache der
Ansicht von drei privilegierten Kennern widerspricht und auch ein
paar anderen ihrer ZuSchreibungen die Gefulgschal't verweigert, so
heißt das: „Überheblichkeit" und „nach links und rechts Zensuren er-
teilen . Das Recht, mitzureden, wird einem bestritten. G. scheint sich
mit Experten halbgefälschter Bilder bemerkenswert solidarisch zu fühlen.
In Heft inzwischen herausgekommen.

halten die Möglichkeit einer solchen Aufteilung nicht für
gegeben, weil sie sich bestimmter Grenzen der historischen
Feststellungsmöglichkeiten bewußt sind. Ihnen erscheint es
daher als ein völlig unkritisches Verlangen, daß man dort
überall einen anderen Meisternamen parat haben soll, wo
zu dem Namen Bellini „Nein" gesagt werden muß. Sie wis-
sen von einer umfassend und sehr unabhängig vom Meister
tätigen Werkstatt, in deren Produkten nach etwas wie per-
sönlichem Stil zu suchen, oft vergebliches Unterfangen sein
dürfte. Sie wissen von schlechthin Minderwertigem, von ge-
oder verfälschten Bildern, Sachen, bei denen die Frage
nach dem „Meister" vollends absurd ist.

Es gibt wissenschaftliche Standpunkte, die einander gegen-
überstehen, und die Verschiedenheit der Gesichtswinkel er-
weist sich meistens als fruchtbar. Es gibt wissenschaftliche
Irrtümer, und wir begehen sie alle. Wer dazu kommt, sie
selbst einzusehen, wird sie als ein gewisses Kapital wissen-
schaftlicher und menschlicher Erfahrung gern in der Er-
innerung behalten und sich zu ihnen bekennen. Auf die
Irrtümer anderer aufmerksam zu machen, öffentlich, wenn
auch sie in die Öffentlichkeit drangen, ist wissenschaftliche
Pflicht. Widerlegung ist zum mindesten Aufgabe. Wider-
legung aber ist da nicht mehr am Platze, wo der
Idee der Wissenschaft und der freien wissen-
schaftlichen Entscheidung von außen her Abbruch
geschieht. Wo der über eine Frage Urteilende im Falle
des Ja-Sagens eine fünfstellige Liresumme erhält, die ihm im
Falle des Nein-Sagens sicher verloren geht, wo sich unter
solchen Bedingungen eine Bereitschaft zum Ja-Sagen
entwickelt, die mit wissenschaftlicher Verantwortung nicht
mehr vereinbar ist, da ist Widerlegung unmöglich, da gibt
es nur eines noch: Kampf, d. h. rücksichtslose Anprangerung.

Die Gutgläubigkeit bei der einzelnen wissenschaftlichen
Entscheidung des Bellini-Experten G. sei nicht in Zweifel
gezogen. Ich glaube zu sehen, wie sie zustande kommt. Dorr,
wo der historisch geschulte unbefangene Urteiler von vorn-
herein sieht: dies kann nicht B. sein, dort beginnt bei dem
Experten die Überlegung: ob nicht doch und vielleicht":
Wo bei jenem zum „Nein" eine einzige, vielleicht sehr
kurze Prüfung genügt, setzt seine Gründlichkeit ein. Er
prüft wiederholt, und allmählich kommt er zum „Ja", oder
ein anfänglich noch mit Zweifeln behaftetes „Ja" wird
sicher und mutig. Die Wiederholung der Prüfung wird zur
subjektiven Rechtfertigung.

Nicht im einzelnen Urteilsakt vollzieht sich der Sünden-
fall, vielmehr früher, da nämlich, wo der Kenner den ersten
Vertrag mit dem Händler schließt, wo er sich zum ersten
Male finanziell an dem Bilde beteiligen läßt, das er beur-
teilen soll, oder wo er sich im Falle des positiven Urteils

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