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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 18.1938

DOI Heft:
Heft 11 (November 1938)
DOI Artikel:
Böttcher, Otto: Das Kunstwerk und das Erlebnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.28172#0225

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191

von Aeußcrein und Innerem aufzeigen, pfeiler und Steinc
messen, die Turmhöhe schätzen laffen. Zwanglos sind wir
dann durch die Straßen gepilgert, haben uns die Rirche im
Vergleich zur Größe der Fachwerkbauten angesehen, die
Straßcnzüge beachtet, wie sie ;ur Rirche führe». Daneben
aewinnt der Iunge eine Fülle von Eindrücken und Vor-
stellungcn ohne geschichtlichen Hintergrund, dcn der Schü-
ler durch das Aufstöbern von Iahreszahlen, nachdem in der
Rirche hierfür genügend Anläffe gegeben waren, selbst ge-
funden hat. Das wohlgefallen an den winkeln wächst auf-
fällig, das Geschiebe in den Häuserreihen wird dem Aungen
vertraut. Ia, die Freude geht soweit, in ein Haus ;u
sehen. Bald liegt die Hand an der Scheibe, damit der
Blick ungchemmt cindringcn kann. wohngefühl und
Wohnsinn wollen erlebt sein.

Zur Mittags;cit haben wir den Grt verlaffcn, auf dem
Abmarsch uns immer umgeschaut, langsam verschwinden
die Ein;elheiten der Häuser, immer mächtiger ragt der
Rirchturm hervor und beherrscht weithin das Flachland.
IFur durch solche Vermittlungen kann ich dem Schüler die
notwendige Verbindung von Bau und Landschaft, Stadt
»nd Landschaft, ;um Erlebnis gestalten. Hat der Lehrer
kein Gefühl für solche werte, so kann er sie dem Schüler hier
nicht vermitteln. Das Erleben künstlerischer werte kann
cben auf den mannigfachsten wegen erreicht werden. Es
kommt darauf an, Her; und Gemüt für die Schönheit ;u
öffnen.

Dancben kommt dcm glücklichen Zusammenklang von
Unterricht und Anlage eine große Bedeutung ;u. Nie kann
man willensmäßig oder durch das abstrakte wissen ein
Runsterlebnis wecken. Ich habe als Gbersekundaner die
Burgruine Rheinfels bei St. Goar derart erlebt, daß ich
später nie wieder eine Burg so eindringlich aufgenommen
habe; angeregt war dieser Besuch durch den Unterricht,
durch die Besprechung der Burg in der Schule. Zum ersten
Male ist damals das Gefühl für wahre Größe in mir wach
gcwordcn. Die Anlage, Altem nach;ugehen, ist durch die
Anschauung, die durch den Unterricht bedingt ist, wesentlich
gefördcrt und belebt. Auf der Rückreise habe ich dann
crstmalig die westfaffade des Rölner Domes als unschön,
als langweilig empfunden. Wieweit das Burgerlebnis
einen neuen wertmaßstab geschaffen hat, kann ich nicht
aussagen, mitgewirkt hat es. Die Bedeutung eines Runst-
erlebniffes kann im Augenblick, aber auch im ^Zachhall
hervortreten.

Bedenken wir, daß eine wanderung, ein Uluseumsbesua>,
das Zeigen eines Gegenstandes durch das Sehen, wie auch
das Arbeiten mit einem werkstoff ein Runstcrlcbnis oder
künstlerische Fähigkeiten auslösen, mithin auch ;um ersten
Erfaffen der Runst führen kann, so werden wir gerade die
obhutvolle pflege dieser Arbcitsmöglichkeiten für den
Runstunterricht, d. h. für die Anleitung ;um Eindringen in
die Runst, aber auch für den Akademieunterricht und da-
mit für dic Runstcr;ichung schlechthin fordern. Neben dcm
Schcn hat das Zeichncn, das Nachformen, sei es auch nur
empfindungsgcmäß, cine inncwohnende Rraft, ;um wahrcn
verstchen, Erlebcn des Runstwcrkcs ;u führen. Das Nach-
formcn einer parkanlage dcs Barock mit Hilfe dcr Ski;;e
kann für die spätere Zeit den Grund für ein Erlcbnis in
dicser Richtung lcgcn. llcberhaupt halte ich dcn anschau-
lichcn Unterricht mit Hilfe der leicht hingeworfencn Zcich-
nung an der Dafel für höchst bcdcutungsvoll in dcr Runst-
crsichung. Aehnlich kann dic Hcrstcllung eincs Rastens ein
wcrkcrlcbnis mit sich bringen, das in cinem wahrcn Ver-
hältnis für das Material und die ihm gcmäße Form wur-
;cln kann. Die Zcichnung oder Ski;;e nach cinem Gcmälde
kann cine ebensolchc Aufschlußkraft in Be;ug auf das Er-
bsisen der Form und dcr Romposition haben, sie wird im
Zcichnen crlcbt.

Das Erlcbnis kann ;ur inncrcn Geschloffcnhcit, ;ur Reifc,
-wcr auch ;ur Icbciidigcn ^lufnahmc dcr Gütcr dcr Rultur

odcr ;ur Rritik sührcn. Um aber einem Erlebnis den weg
;u ebnen, muß das Runstwerk die ihm gebührende Um-
gebung haben. So wie das Stadtbild der Landschaft bc-
darf, um in seiner Lage ;u wirken, so das Gemälde der
richtigen Umgebung, um in seiner vollen Schönheit ;ur
Geltung ;u kommen, so die plastik der geeigneten Auf-
stellung. Auf diese Ergän;ung ;um Runstwerk, auf die
Umgebung des Runstwerkes im Hinblick auf die Förde-
rung oder Entwertung des Eindrucks oder des Erlebnisses
muß ich den Schüler aufmcrksam machen. Man ;eigc ihm
cin gutes Gemälde in einem schlechten Rahmen, dasselbe
in einem guten, bringe es ;wischen minderwertigen Stük-
ken, dann ;wischen glcichwertigen an. Eine Reproduktion
nehme man mit in die Halle und lasse vor dem Griginal
Vergleiche anstellen, dann wird dcm Schüler schon auf-
gehen, daß es überhaupt keine vollendete Reproduktion
geben kann, ja, daß gute Runst auch nicht für wenige
pfennige ;u haben ist, sie eben keine ware ist, die man in
jedem Laden erstehen kann. Das Erlebnis ist immer an
das Griginal gebunden. Durch solche Arbeiten wird das
Gefühl für Griginalität wach, wie ja der Vergleich auf die
Gualitätsunterschiede hinführt. Ferner können wir am
Runstwerk dic Entdeckerfrcude wecken. Bei reger Einfüh-
rung wird der Schüler selbst auf die Suche nach Runst-
werken ausgehen, anfangs nur, um das Vorhandensein
fest;ustellen, später um sie ;u erkennen, ein;uordnen, ab;u-
schätzen. Es ist eine Freude, nach der lebendigen Rritik an
der Baukunst der ;weiten Hälfte des i§. Aahrhunderts an
einem der vielen Beispiele die Urteile der Schüler ;u
hören, die sich angeregt durch die Stunde diese Machwerke
angesehen haben, man ;eige ihncn die widersinnigen Vrna-
mente, die Löwenköpfe, Muscheln, Gesimse, Grnamcntflä-
chen, die dem Bau ohne architektonischen Zusammenhang
ornamental vorgeblendet sind. Endlich führe man sie ;ur
Baustelle, in das Atelier, um ein Gefühl für das wer-
den der Formen ;u wecken, das dann durch Entwücfe unter-
baut werden kann. Auch gebe man der Rlaffe Runstgegen-
stände in die Hände, damit die Form nicht nur gesehen,
sondern auch ertastet, erfühlt wird, damit das Sehen
durch das Fühlen überwacht wird. Dieses Ablesen und Ab-
tasten gibt weitere Vorausseyungen für das Erlebnis ab.
Sie erfüllen besonders beim Runstgewerbe und bei der
plastik ungeheure Dienste für die Erklärung. Man unter-
laffe keinen Versuch, der das Entstehen eines Runstwerkes
;um Erlebnis macht, es gehören Grund- und Urerlebniffe
in dec Ersiehung ;um Vcrstehen aller Runst. Das der
stetigen wandlung in der Entwicklung der Runst und des
Rünstlers ist ein ebensolches Urerlebnis wie auch das der
inneren Einheit eines wahrhaft großcn Runstwerkes. Die
Urerlebniffe sind immer auf das Entscheidende im Leben
gerichtet, lassen das Rlcinliche und Zufällige beiseitc,
lenken ;u dem, was wahre Größe der Runst und in dcr
Runst ist, was wahres Leben gegenüber dem Scheinleben
ist. Denn in der Runst faffen wir doch die Läuterung des
Lebens in seinem sinnvollen Zusamnienhang aller bcwcgen-
dcn Rräfte der Zeit.

In politischer, religiöser, historischer, künstlerischer oder
scelischer Hinsicht kann das durch das Runstwerk bcwirkte
Erlcbnis bcdeutungsvoll sür dcn Mcnschen wcrdcn. An-
dercrseits kann es den Menschcn ;ur inncrcn Sammlung,
;ur Tätigkeit, ;ur Entfaltung, ;ur Verfcineruug dcs Lha-
rakters ersiehen. Rur;, die Bedcutung des Runstcrlcbniffcs
liegt in seiner Auswirkung, die sich über das gesamtc Lcben
in seinen Aeußcrungen erstreckt.

Von hier ;eigt sich der wcrt dcs Rlaffeubildcs in gan;
andcrer Perspcktive als bislang. Icdes gute Runstwerk
übt gcradc auf die Dauer cinen Einfluß aus, dcr mit dcm
wirklichcn Vcrstchcn wächst. lNan muß hierfür die Stu-
fen bcsonders auswählen. Schade, daß wir uns mit Rcpro-
duktioncn begnügcn müffeu. was sagcn cincr Scpta Fcucr-
bachs Rindcrgruppen, Thomas Rindcrrcigcii auf grüner
 
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