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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0106

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Literatur

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versuchen. Zeigt doch die Verfasserin selbst durch Fehl-
griffe handgreiflichster Art, wie weit sie davon entfernt ist,
so subtile Unterscheidungen anders als durch vage Ver-
mutungen begründen zu können. Als Beispiel sei Band 47,
Nr. 20 genannt. Der Text bezeichnet den Holzschnitt als
oberdeutsch. Hätte die Verfasserin einmal einen nieder-
ländischen Inkunabeldruck in der Hand gehabt, so wäre
sie gewiß nicht auf diese ganz absurde Ortsbestimmung
geraten, und sie hätte sich weniger über »die starken
Schraffierungen des ziemlich derben Holzschnittes« gewun-
dert, da es sich um ein typisches und unverkennbares Er-
zeugnis der Haarlemer Schule handelt. Zur Frage der Da-
tierung heißt es weiter: es sei auf keine »zu frühe Zeit
zu schließen; dagegen gehört die Frauentracht der Mitte
des Jahrhunderts an. Vielleicht lag ein älteres Blatt zur
teilweisen Benutzung vor.« Auch hier hätte die Verfasserin
nutzlose und irreführende Erwägungen sich und ihren
Lesern erspart, wenn sie bei Conway (the woodcuts
ofthe Netherlands in the 15. Century. Cambridge, 1884)
nachgeschlagen hätte. Sie hätte dort nämlich ohne
große Mühe auf Seite 255 gefunden, daß der Holz-
schnitt zuerst in einem 1492 bei O. Leeu in Antwerpen
erschienenen Druck (Van den Dochteren van Sijon)
vorkommt. Allerdings hätte sie nach dieser Feststellung
auf die Aufnahme des Blattes überhaupt und damit auch
auf ihren Exkurs über das Gleichnis der Minne in der
mittelalterlichen Mystik verzichten müssen. Wäre die Ver-
fasserin mit einer gesicherteren Vorstellung ihres Materials
an die Aufgabe herangegangen, so wäre sie gewiß nicht
nur in Fragen der Lokalisierung sorgfältiger und vorsichtiger
verfahren, sondern sie hätte auch Bemerkungen wie diese:
»das Blatt ist nicht so fein wie die übrigen. Werkstattarbeit«
sicher unterdrückt. Aus mehr oder minder sorgfältiger
Schnittausführung der Blätter einer Folge Schlüsse solcher
Art zu ziehen, sind wir durchaus nicht berechtigt, und es
ist die Frage erlaubt, wie denn der Unterschied zwischen
Werkstattgut und Meisterarbeit bei Holzschnitten des
15. Jahrhunderts zu denken sei. Das gleiche gilt von
der mehrfach wiederkehrenden Bemerkung, »der großzügige
Stil läßt auf die Hand eines Tafelmalers schließen.« Mit
Behauptungen solcher Art wird der Benutzer der Bände
nicht viel anzufangen wissen. Auch in der Tendenz, die
Holzschnitte stilistisch mit der Kunst bekannter Meister
in eine wenn auch nur lose Beziehung zu bringen, erweist
die Verfasserin keine glückliche Hand. So muß der Name des
Meister ES mehrfach herhalten. Einmal werden auf Grund
einer »zierlichen Schreitstellung« zwei Blätter aus einer
Genesisfolge (48, 4—5) in seine Nähe gerückt, während es
doch offensichtlich sich um ein sehr allgemeines und weit-
verbreitetes Stilelement handelt. Ein andermal heißt es
von einem Meister Michel Schorpp, von dem wir in der
Tat nicht viel mehr wissen als den Namen, er sei vielleicht
ein Schüler des E S, der sich später in Ulm niederließ.
Diese Hypothese gründet sich auf die angebliche Ähn-
lichkeit der Kindergestalten eines mit dem Namen Schorpp
bezeichneten Holzschnittes (48,9) mit den Stichen des E S.
Als charakteristisch für den Meister wird die Art seiner
Darstellung der Nasen bezeichnet: »zwei senkrechte Linien,
die ohne Absatz in die Brauen übergehen.« Auf Grund dieser
Stilbestimmung dürften dem Meister Michel sehr zahlreiche
Holzschnitte aller Zeiten und Gegenden zugeschrieben
werden. Die Verfasserin hält sich allerdings kaum an dieses
Erkennungszeichen, wenn sie den Spuren ihres Meisters
wiederholt zu begegnen meint. Die Ähnlichkeit etwa der
interessanten kleinen Enthauptung der hl. Katharina (46,7),
die um 1470—80 genau 30 Jahre zu früh datiert wird, mit der

ziemlich groben hl. Sippe ist, auch wenn man der Ver-
fasserin sogar in die Konstruktion einer Entwicklung ihres
Meisters zu folgen gewillt ist, nicht abzusehen. Irreführend
für den, der ohne Nachprüfung das Buch benutzt, sind
auch Bemerkungen wie diese (47,10): »der Künstler könnte
Stephan Lochners Tafelbild der Darstellung im Tempel ge-
kannt haben. Man vergleiche die Gestalt der Maria mit
derjenigen auf Lochners Gemälde.« Denn eine Verwandt-
schaft der beiden Figuren ist beim besten Willen in nichts
anderem zu entdecken als etwa darin, daß beide nach
rechts gewandt sind, und bekanntlich pflegt man beim
Holzschnitt eher auf Grund einer gegenseitigen Wendung
eine Beziehung zu vermuten. Eine besondere Vorliebe be-
zeugt die Verfasserin für den Namen des älteren Holbein.
Einmal wird ein übrigens als »elsässisch?« bezeichnetes
Schweißtuch der heiligen Veronika (48,7), das 1470—80
datiert wird, als dem Stile des älteren Holbein sich nähernd
bezeichnet. Wie die Verfasserin diese drei Angaben mit-
einander zu vereinigen denkt, bleibt ihr Geheimnis. Schreiber
hatte das Blatt auf 1440—50 datiert, womit die Zeit seiner
Entstehung besser bestimmt zu sein scheint. Ein ander-
mal wird eine Verwandtschaft mit Holbeins Votivbild des
Bürgermeister Schwarz (46,28) behauptet, die sich auf nichts
als eine Ähnlichkeit des Themas gründet. Endlich heißen
die 15 Nothelfer (46,26) »um 1500. Schule Holbeins des
Älteren«. Mit Holbein haben die Blätter nicht das geringste
zu tun, dagegen stehen sie der Art des Burgkmair recht nahe,
was wohl zu bemerken war. Die Entstehungszeit ist nicht vor
1510 anzusetzen, womit die Folge über die für die Publikation
gesetzte Grenze hinausgeht. Darin steht sie allerdings nicht
allein. Gleich die folgende Nummer, eine Anna selbdritt
(46,27), die als »fränkisch oder Donaugegend, um 1500« be-
zeichnet wird, enthält ausgesprochene Dürermotive und ist
sicher nicht vor dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts
entstanden. Ebenso war bei der Marter des hl. Sebastian
(46,25) die sehr nahe liegende Beziehung zu dem von Passa-
vant als Dürer beschriebenen Holzschnitt gleichen Themas
nicht leicht zu übersehen, und zwar um so weniger als die
Verfasserin selbst die Vermutung ausspricht, die Kompo-
sition sei im Anschluß an ein Vorbild entstanden. Auch
dieser Holzschnitt fällt sicherlich bereits in das 16. Jahr-
hundert, ebenso wie der Abschied Christi von seiner Mutter
(46,23). Und was soll man endlich dazu sagen, wenn die
Verfasserin unter der Bezeichnung »um 1500. Nieder-
rheinisch oder niederländisch« den bekannten Pilger
(Jakobus) vom Meister D S einführt (46,30), den Dodgson in
seinem Verzeichnis der Holzschnitte des Meisters im Jahr-
buch der königlich preußischen Kunstsammlungen 28, S. 33
als Nr. 13 beschreibt und abbildet. Von der Herausgeberin
altdeutscher Holzschnitte durfte man wohl die elementarsten
Kenntnisse des Werkes der Hauptmeister voraussetzen.

Die Reihe der Beispiele mag genügen. Es ist nicht
die Absicht dieser Besprechung, die Arbeit nachzuholen,
die die Verfasserin zu leisten versäumt hat. Es mußte nur
darauf hingewiesen werden, daß die Publikation, die so
wertvoll sein könnte, leider alles andere ist als mustergültig.
Die Sammlungsvorstände pflegen im allgemeinen nicht
freigebig zu sein im Erteilen der Erlaubnis zur Veröffent-
lichung der ihnen unterstellten Schätze. Wenn in den vor-
liegenden Fällen der Verleger, der doch eine langjährige
Erfahrung gerade auf diesem Gebiete besitzt, freie Hand
in der Wahl des Herausgebers hatte, so ist die Frage er-
laubt, warum er nicht einem erfahrenen und bewährten
Fachmanne die Aufgabe anvertraute, sondern den Wert
seiner Publikation durch den ganz unzuverlässigen Text
in Frage stellte. Glaser.

Inhalt: Dresdner Brief. — Hermann Schubert f. — Personalien — Neuerwerbungen für die Kgl. Gemäldegalerie in Dresden. Germanisches
Nationalmuseuni in Nürnberg. — Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts (45—48). Herausgegeben von Paul Heitz. Text von Mela Escherich.

Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstraße IIa
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h., Leipzig
 
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