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Boehle-Ausstellunge:
:n in Frankfurt a. M.
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drängenden Bildvorstellungen, die nach Verkörperung
verlangen.
Eine Überraschung brachte gleich die erste Nummer
mit dem Leichenbegängnis — ein Werk des Acht-
zehnjährigen (1891). Es liegt noch vor dem Stil, den
sich der Künstler dann rasch bildet und ist noch unter
dem Einfluß seiner Lehrzeit an der Kunstschule des
Städelschen Instituts unter Hasselhorst geschaffen. Der
Zug, schräg nach rechts vorn durch eine Straße sich
bewegend: zur Seite und hinten Leidtragende, Zu-
schauer, nur eben angedeutet. Die Töne weich, ver-
schwimmend, fast »impressionistisch« die Malerei: die
Köpfe der Priester vorn dagegen von einer bohrenden
Kraft der Charakteristik gestaltet, nicht immer fern der
Karikatur, aber jedenfalls von einem ungeheuren
inneren Leben erfüllt. Angebahnt schon hier jene,
man möchte sagen geistige Isolierung, die dann später
noch mehr in ihrer Schärfe hervortritt. Jeder steht
für sich, ein »Individuum«, unteilbar und unmitteilbar,
eingeschlossen in die Burg seines Seins, von Wall
und Graben umgeben, ohne die Möglichkeit eines
Übergehens in andere.
Nicht lange, und der Boehle, wie wir ihn kennen,
steht fertig vor uns. Verschwunden das eigentlich
Malerische, das Impressionistische. Dafür eherne Be-
stimmtheit in den Umrissen, bestimmte Lokalfarben
oder ein allgemeiner bräunlicher Ton, der das Ganze
umfängt, aber doch die Einzelheiten scharf hervor-
treten läßt. Schon in dem »Kirchgang von Alten-
heim« (1892) wird das deutlich. Die Bildfläche fast
gesprengt von dem sich drängenden Leben, das in
den beinahe unheimlich gespannten Köpfen nach Aus-
druck verlangt; die geistige Isolierung bereits stark
ausgeprägt. Während das Selbstbildnis aus dem
selben Jahre, ein versonnener Kopf mit wunderbaren
großen blauen Augen, dunkel auf dunklem Grunde,
von hoher malerischer Qualität ist. Von höchster
Vornehmheit dann aus dem folgenden Jahre das Bildnis
Wilhelm Altheims (1893) — ganz in Schwarz mit
wenig Rot, vor grünlichem Grunde — für dessen
Charakteristik kaum ein Wort zu hoch greift. Äußerste
Delikatesse im Umriß, in der stillen Bewegung der
steil aufragenden Silhouette, vollendete Zeichnung und
feine geistige Belebung des Kopfes machen das Bild-
nis zu einem Hauptwerk. Es ist gewiß kein Zufall,
daß der Dargestellte gleichfalls Maler und gleich-
strebender Freund war; sonst ist unter den Bildnissen
manches Gleichgültige. Auch in die große Wert-
schätzung des etwas weichlich behandelten und an der
Oberfläche — im wörtlichen Sinne —■ haften bleibenden
Bildnisses der Mutter (1896) vermögen wir kaum ein-
zustimmen. Das Letzte bleibt uns der Künstler hier
schuldig, und von dem Bildnis des etwas müden, als
Frankfurter Patrizier kostümierten Franz Adickes
(1907) möchte man meinen, daß Boehle der Sinn für
die in seinem Modell verkörperte Aktivität und stark-
geistige Bedeutung verschlossen geblieben sei: »Du
gleichst dem Geist, den du begreifst. . .«
Inder »Heckenwirtschaft in Sachsenhausen«
(1898) treten dann bezeichnende Züge schärfer hervor.
Reliefmäßige Anordnung, Beschränkung in der Farbig-
keit, mehr Zuständlichkeit als Geschehen, Annäherung
an den Plakatcharakter. Das Stoffliche des Vorwurfs
kehrt ja öfters wieder: der letzte Rest eines Frank-
furter Volkslebens mußte für Boehle, der selbst aus
dem Volke unmittelbar hervorgegangen war, eine be-
sondere Anziehungskraft haben, wie er auch ein be-
sonderer Verehrer des Sachsenhäuser Nationalgetränks
war, dem er in dem Selbstbildnis mit Hund und
Apfelweinglas (1905; Karlsruhe, Galerie) ein Denkmal
gesetzt hat.
Neben den Typus des Sachsenhäuser Gärtners tritt
dann der Mainschiffer, den Boehle oft genug in seinen
verschiedenen Vertretern und in seiner Tätigkeit ge-
schildert hat. Am monumentalsten wohl in der Fluß-
landschaft mit Frachtschiff von 1900. Endlich
und nicht am wenigsten hat den Sproß einer Bauern-
familie immer wieder das bäuerliche Leben dar-
zustellen gelockt, den Bauern mit seinen ackernden
Gäulen bei der Kartoffelernte, mit Pferden am Dorf-
brunnen, bei der Pferdeschwemme, in sein heimatliches
Dorf reitend, auf dem Schweinemarkte usw. usw.
Allen den Darstellungen dieser dem Leben der
Natur noch näherstehenden Typen ist eine gänzlich
unsentimentale Auffassung eigen, die sich rein an das
körperlich-vegetative Dasein hält, ohne sichtbare Spur
eines Reflexes in der Seele des Malers. Es fehlt zunächst
scheinbar jede Heroisierung oder nur Adelung dieser
dem Körperlichen geweihten Arbeit. Etwas Dumpfes,
Schwerfälliges, Erdgebundenes ist diesen Darstellungen
eigen, und besonders mancher Städter mag hier eine
Grenze in Boehles Kunst erkennen, besonders wenn
er etwa an Millet denkt. Zweifellos aber, daß Boehle
damit einen vielfach vorhandenen Zug im deutschen
Bauerntum und seine Auffassung der Arbeit als einer
harten, unerbittlichen Fron richtig zum Ausdruck bringt.
Die Absicht einer Monumentalisierung ist freilich
sicher vorhanden. Nur ist diese auf das Körperliche
beschränkt und zu einer eigentlichen Beseelung will
es nicht kommen.
In den Jahren um 1905 wird diese Tendenz zum
Monumentalen auch deutlich sichtbar. Jetzt entstehen
die Bilder, die die Frankfurter Städtische Galerie be-
sitzt, und von denen der St. Georg und die Lebens-
alter gezeigt wurden. Die Erinnerung an Böcklin, an
Hans von Marees taucht auf, bei aller Andersartigkeit.
Dann aber scheint es nicht weiter zu gehen. Es ist
wie ein Knoten in der Entwicklung des Künstlers.
Die Heroisierung wird mehr im Stofflichen als im
Künstlerischen zu geben versucht. Archaisierende Ten-
denzen erscheinen im größeren Umfange, die früher
nur hier und da, so etwa im hl. Hieronymus (1903)
aufgetaucht waren. Die Gestalt Christi, der Madonna
werden hervorgeholt. Sie sollen den Gebi den der
Arbeit, den Typen des Bauern und des Ritters eine
größere Bedeutung und neue innere Schönheit ver-
leihen, die — man kann es wohl nicht anders auf-
fassen — der Maler aus dem rein Künstlerischen
heraus glaubhaft zu gestalten sich nicht für fähig
fühlte. Dem Stofflichen entsprechend werden auch
die Formen archaistisch, ja manieriert, dekorativ, und
es ist kein Zufall, daß das letzte im Katalog aufge-
Boehle-Ausstellunge:
:n in Frankfurt a. M.
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drängenden Bildvorstellungen, die nach Verkörperung
verlangen.
Eine Überraschung brachte gleich die erste Nummer
mit dem Leichenbegängnis — ein Werk des Acht-
zehnjährigen (1891). Es liegt noch vor dem Stil, den
sich der Künstler dann rasch bildet und ist noch unter
dem Einfluß seiner Lehrzeit an der Kunstschule des
Städelschen Instituts unter Hasselhorst geschaffen. Der
Zug, schräg nach rechts vorn durch eine Straße sich
bewegend: zur Seite und hinten Leidtragende, Zu-
schauer, nur eben angedeutet. Die Töne weich, ver-
schwimmend, fast »impressionistisch« die Malerei: die
Köpfe der Priester vorn dagegen von einer bohrenden
Kraft der Charakteristik gestaltet, nicht immer fern der
Karikatur, aber jedenfalls von einem ungeheuren
inneren Leben erfüllt. Angebahnt schon hier jene,
man möchte sagen geistige Isolierung, die dann später
noch mehr in ihrer Schärfe hervortritt. Jeder steht
für sich, ein »Individuum«, unteilbar und unmitteilbar,
eingeschlossen in die Burg seines Seins, von Wall
und Graben umgeben, ohne die Möglichkeit eines
Übergehens in andere.
Nicht lange, und der Boehle, wie wir ihn kennen,
steht fertig vor uns. Verschwunden das eigentlich
Malerische, das Impressionistische. Dafür eherne Be-
stimmtheit in den Umrissen, bestimmte Lokalfarben
oder ein allgemeiner bräunlicher Ton, der das Ganze
umfängt, aber doch die Einzelheiten scharf hervor-
treten läßt. Schon in dem »Kirchgang von Alten-
heim« (1892) wird das deutlich. Die Bildfläche fast
gesprengt von dem sich drängenden Leben, das in
den beinahe unheimlich gespannten Köpfen nach Aus-
druck verlangt; die geistige Isolierung bereits stark
ausgeprägt. Während das Selbstbildnis aus dem
selben Jahre, ein versonnener Kopf mit wunderbaren
großen blauen Augen, dunkel auf dunklem Grunde,
von hoher malerischer Qualität ist. Von höchster
Vornehmheit dann aus dem folgenden Jahre das Bildnis
Wilhelm Altheims (1893) — ganz in Schwarz mit
wenig Rot, vor grünlichem Grunde — für dessen
Charakteristik kaum ein Wort zu hoch greift. Äußerste
Delikatesse im Umriß, in der stillen Bewegung der
steil aufragenden Silhouette, vollendete Zeichnung und
feine geistige Belebung des Kopfes machen das Bild-
nis zu einem Hauptwerk. Es ist gewiß kein Zufall,
daß der Dargestellte gleichfalls Maler und gleich-
strebender Freund war; sonst ist unter den Bildnissen
manches Gleichgültige. Auch in die große Wert-
schätzung des etwas weichlich behandelten und an der
Oberfläche — im wörtlichen Sinne —■ haften bleibenden
Bildnisses der Mutter (1896) vermögen wir kaum ein-
zustimmen. Das Letzte bleibt uns der Künstler hier
schuldig, und von dem Bildnis des etwas müden, als
Frankfurter Patrizier kostümierten Franz Adickes
(1907) möchte man meinen, daß Boehle der Sinn für
die in seinem Modell verkörperte Aktivität und stark-
geistige Bedeutung verschlossen geblieben sei: »Du
gleichst dem Geist, den du begreifst. . .«
Inder »Heckenwirtschaft in Sachsenhausen«
(1898) treten dann bezeichnende Züge schärfer hervor.
Reliefmäßige Anordnung, Beschränkung in der Farbig-
keit, mehr Zuständlichkeit als Geschehen, Annäherung
an den Plakatcharakter. Das Stoffliche des Vorwurfs
kehrt ja öfters wieder: der letzte Rest eines Frank-
furter Volkslebens mußte für Boehle, der selbst aus
dem Volke unmittelbar hervorgegangen war, eine be-
sondere Anziehungskraft haben, wie er auch ein be-
sonderer Verehrer des Sachsenhäuser Nationalgetränks
war, dem er in dem Selbstbildnis mit Hund und
Apfelweinglas (1905; Karlsruhe, Galerie) ein Denkmal
gesetzt hat.
Neben den Typus des Sachsenhäuser Gärtners tritt
dann der Mainschiffer, den Boehle oft genug in seinen
verschiedenen Vertretern und in seiner Tätigkeit ge-
schildert hat. Am monumentalsten wohl in der Fluß-
landschaft mit Frachtschiff von 1900. Endlich
und nicht am wenigsten hat den Sproß einer Bauern-
familie immer wieder das bäuerliche Leben dar-
zustellen gelockt, den Bauern mit seinen ackernden
Gäulen bei der Kartoffelernte, mit Pferden am Dorf-
brunnen, bei der Pferdeschwemme, in sein heimatliches
Dorf reitend, auf dem Schweinemarkte usw. usw.
Allen den Darstellungen dieser dem Leben der
Natur noch näherstehenden Typen ist eine gänzlich
unsentimentale Auffassung eigen, die sich rein an das
körperlich-vegetative Dasein hält, ohne sichtbare Spur
eines Reflexes in der Seele des Malers. Es fehlt zunächst
scheinbar jede Heroisierung oder nur Adelung dieser
dem Körperlichen geweihten Arbeit. Etwas Dumpfes,
Schwerfälliges, Erdgebundenes ist diesen Darstellungen
eigen, und besonders mancher Städter mag hier eine
Grenze in Boehles Kunst erkennen, besonders wenn
er etwa an Millet denkt. Zweifellos aber, daß Boehle
damit einen vielfach vorhandenen Zug im deutschen
Bauerntum und seine Auffassung der Arbeit als einer
harten, unerbittlichen Fron richtig zum Ausdruck bringt.
Die Absicht einer Monumentalisierung ist freilich
sicher vorhanden. Nur ist diese auf das Körperliche
beschränkt und zu einer eigentlichen Beseelung will
es nicht kommen.
In den Jahren um 1905 wird diese Tendenz zum
Monumentalen auch deutlich sichtbar. Jetzt entstehen
die Bilder, die die Frankfurter Städtische Galerie be-
sitzt, und von denen der St. Georg und die Lebens-
alter gezeigt wurden. Die Erinnerung an Böcklin, an
Hans von Marees taucht auf, bei aller Andersartigkeit.
Dann aber scheint es nicht weiter zu gehen. Es ist
wie ein Knoten in der Entwicklung des Künstlers.
Die Heroisierung wird mehr im Stofflichen als im
Künstlerischen zu geben versucht. Archaisierende Ten-
denzen erscheinen im größeren Umfange, die früher
nur hier und da, so etwa im hl. Hieronymus (1903)
aufgetaucht waren. Die Gestalt Christi, der Madonna
werden hervorgeholt. Sie sollen den Gebi den der
Arbeit, den Typen des Bauern und des Ritters eine
größere Bedeutung und neue innere Schönheit ver-
leihen, die — man kann es wohl nicht anders auf-
fassen — der Maler aus dem rein Künstlerischen
heraus glaubhaft zu gestalten sich nicht für fähig
fühlte. Dem Stofflichen entsprechend werden auch
die Formen archaistisch, ja manieriert, dekorativ, und
es ist kein Zufall, daß das letzte im Katalog aufge-