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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Über Carl Frey als Forscher
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https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0163

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIH. Jahrgang 1916/1917 Nr. 30. 27. April 1917

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und Augusi nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
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ÜBER CARL FREY ALS FORSCHER

In Carl Frey, dessen plötzlicher Tod allen denen
unerwartet kam, die seiner Erscheinung nach eine
weit längere Lebensdauer für ihn erhofften, hat die
kunstwissenschaftliche Forschung einen ihrer ausge-
zeichnetsten Vertreter verloren. Die deutsche Wissen-
schaft der Kunstgeschichte zugleich einen der Letzten
aus dem Kreise derer, welche sich die Erforschung
der italienischen Kunst mittels der Dokumente zum
Lebensziel gesetzt haben. Vor ihm sind Gustav Ludwig
und C. von Fabriczy dahingegangen; der Krieg hat
uns des trefflichen Oskar Pollak beraubt, der sich
dem noch wenig bearbeiteten Seicento widmete: nun
trifft uns der Tod Freys doppelt schwer und schafft eine
Lücke, die ausgefüllt zu sehen man nicht hoffen darf.

An rein historischen und literargeschichtlichen
Studien hatte sich' der Berliner Gelehrte — geboren zu
Berlin am 26. November 1857 — seine methodische
Schulung erworben; seine Erstlingsarbeit, die »Schick-
sale des Kaiserlichen Gutes in Deutschland unter den
letzten Staufen« (Berlin 1881) war der Abschluß seiner
Studienjahre. Erst jetzt wandte er sich dem Fach zu,
das fortan sein Leben ausfüllen sollte, unter der An-
regung von Herman Grimm, dem er in den folgen-
den Berliner Jahren — kurz unterbrochen durch
einen Lehrauftrag an der Düsseldorfer Akademie
(1885—1886) — eng verbunden war. Der Berliner
Hochschule ist er sein Leben lang treu geblieben; hier
habilitierte er sich 1883, hier wurde er Professor (1887)
und stand lange Zeit dem kunsthistorischen Seminar vor,
als dessen eigentlicher Begründer er anzusehen ist.

Was Herman Grimm an dem jungen Forscher
anzog, war wohl nicht zuletzt das Bewußtsein dessen,
was ihm selber fehlte. Dieser Mann, dessen vorzüg-
lichste Bedeutung in der wundersamen Anregung be-
stand, die von seiner allem Spezialistentum abholden
Bildung ausströmte, muß oft empfunden haben, daß
die Wissenschaft der sicheren Fundamente in höherem
Maße bedürfe, als seine Arbeitsart zu gewinnen ge-
stattete: er sah sich gern nach der Stütze um, die
ihm die treffliche Schulung und die unermüdliche
Arbeitskraft des jüngeren Gelehrten zu werden ver-
sprach. Die Aufgabe, zu der er ihn anregte, und
zu deren Lösung er ihm die Mittel zu verschaffen
wußte, war gerade für Frey mit seiner besonderen
Vorbildung die rechte: nämlich eine regestenmäßige
Darstellung des Lebens Michelangelos. Als sich dies
infolge der Schwierigkeiten, die die Verwalter des
Buonarottischen Erbes noch jedem Forscher bis auf
die Gegenwart in den Weg gelegt haben, als unaus-
führbar erwies, wurde ihm die Neubearbeitung der
Gedichte Michelangelos als Thema gesetzt.

Als junger Gelehrter sah er sich nun auf den
Boden gestellt, dem fünf Jahrhunderte zuvor nach
einer durch ihr Alter geheiligten Tradition einst die
moderne Kunst entsprossen war. Die eigentliche Auf-
gabe, die ihn nach Florenz geführt hatte, ließ ihm
freie Zeit genug; mit Feuereifer warf er sich auf das
Studium der Florentiner Monumente und ging ihrer
Erforschung, Rumohrs und Gayes Vorbild folgend,
in Archiven und Bibliotheken nach. Immer wieder
ist er in den folgenden Jahrzehnten nach Florenz
zurückgekehrt; die Mehrzahl seiner Veröffentlichungen
steht mit dieser Stadt in Zusammenhang. Nur soweit es
seine Michelangelostudien notwendig machten, sind aus-
gedehnte Arbeiten in römischen Archiven dazu getreten.

Man darf sagen, daß seine Forschungen wesent-
lich drei Themata behandelt haben. Von Michelangelo
war er ausgegangen; die Erforschung seines Lebens
und seiner Werke hat ihn bis zuletzt beschäftigt.
Nun aber nahm ihn die Stätte gefangen, auf der jene
Meisterwerke entstanden waren, die alte Stadt Dantes,
die er — beneidenswert darin für die auch nur etwas
Jüngeren — noch vor den wahnwitzigen Zerstörungen
Ende der achtziger Jahre, noch fast unberührt, gekannt
hat. Er wollte darstellen, wie sie über sich selbst
hinausgewachsen war, immer von neuem den Mauer-
ring sprengend, bis endlich der dritte, von dem auch
nur noch Reste erhalten sind, die Stadt der Medicaeer
schirmend umschloß. Fragen der Topographie der
»Cittäantica« haben ihn dauernd interessiert; in seinem
ersten kunsthistorischen Werk, das scheinbar nur ein
einzelnes Monument, die Loggia de' Lanzi, behandelte
(1885), hat er zuerst die Ergebnisse dieser Studien
dargeboten.

Der geschulte Historiker mußte aber notwendig
seine Aufmerksamkeit auch den Quellen zuwenden,
auf denen unsere Kenntnis von Michelangelos Leben
beruht. Das führte ihn zu der Beschäftigung mit Vasari;
er erkannte rasch, wieviel hier für einen Mann seiner
Schulung zu tun war. Im Zusammenhang mit seinem
Lehrberuf stand es, wenn er zunächst brauchbare
Texte für Seminarzwecke schaffen wollte; so entstand
die »Sammlung ausgewählter Biographien Vasaris«,
von der vier Hefte erschienen sind; das wichtigste
mit den Biographien Michelangelos von Vasari und
Condivi. Die Beschäftigung mit dem Aretiner führte
ihn weiter zu den Fragen nach der Entstehung des
grundlegenden Werkes; so kam er dazu, ein paar der
wichtigsten Schriften zu edieren, die Vasari voraus-
gingen, bzw. ihm gleichzeitig waren; die Ausgaben
des »libro di Antonio Billi« und des »Codice
Magliabecchiano XVII, 17« (beide 1892) waren die
Frucht seiner Forschungen, die ersten textkritisch voll-
kommenen Gesamtausgaben der beiden wichtigen
 
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