Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

DOI article:
Verschiedenes / Inserate
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0200

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
379

Zur Frage der Honorierung von Expertisen

380

Wenn man das Problem so stellt: »Sollte die Aus-
nützung seiner professionellen Kenntnisse dem Kunst-
historiker nicht ebenso honoriert werden, wie dem
Rechtsanwalt, dem Arzt, dem Chemiker?—« dann ist
die Lösung im Sinne der Bejahung eine Selbstver-
ständlichkeit. Nun wollen wir einmal fragen: »Soll
irgend ein Stand entgeltlich Gutachten im Auftrag des
Interessenten mit dem Anschein der Objektivität ab-
geben?«

Wir müssen uns darüber klar sein, daß man über
latente wirtschaftliche Konflikte nicht mit dem Impe-
rativ der völligen Sittenreinheit hier, des völligen Ver-
trauens da, hinwegkommt. Entschließen wir uns zum
Geben und Nehmen, wo endet das Wirken der Ent-
geltlichkeit? Ist das Gutachten bestellt, bezahlt, und
sein Inhalt wäre es nicht? Eben die Inanspruchnahme
des Apparates gelehrter Fachkenntnis, eben der äußere
Anschein der Objektivität, das gravitätische Gehaben
der Unbefangenheit wirkt verstimmend, da doch der
Auftraggeber nur Interesse an einem Gutachten von
einem bestimmten sachlichen Inhalt hat. Ein richtiger
Instinkt, geboren aus Kenntnis des Menschen-Materials,
wie es nun einmal ist, genährt aus Erfahrungen am
Versuch, lehnt sich gegen die Annahme auf, daß man
dem Einzelnen dienen, aber sein Interesse zugleich
ignorieren könne; daß solcher heroischer Unbeirrbar-
keit viele in immer wiederkehrender Betätigung fähig
wären.

Bleiben wir gleich beim Rechtsanwalt. Er tritt
in beruflicher Eigenschaft der Öffentlichkeit fast nie
als Gutachter entgegen (in der Fach-Publizistik ist er
Jurist, nicht Anwalt), nur eine Art von Konvention
oder Stil-Überlieferung bringt es mit sich, daß er, der
durch Treuepflicht gebunden ist, im Rahmen der Tat-
sachen und des Rechtes die dem Klienten günstigere
Auffassung zu begründen, eben diese Auffassung als
die eigene vorträgt. Und diese scheinbar unbedeutende
Äußerlichkeit genügt, um einen untilgbaren Konflikt
in das Leben des Advokaten zu tragen. Obwohl nun
dieser Konflikt — Anwalt des Rechtes und Vertreter
der Partei zugleich sein zu müssen — nicht gerade in
der Entgeltlichkeit der Advokatur begründet ist, viel-
mehr einer kostenlosen Vertretung ebenso innewohnen
würde, wird doch in der Praxis das Verhältnis des
Anwalts zur Außenwelt gerade von diesem Moment
beherrscht oder doch besonders betont. Die inhalt-
liche Bestimmung durch das Partei-Interesse genügt,
um Ansehen und Geltung der beruflichen Äußerung
des Advokaten zu drücken, aber den Ausschlag gibt
die Möglichkeit der Beeinflussung durch ein eigenes
Interesse. Sie hat es zur Folge, daß man den Dar-
legungen des Advokaten ungeachtet der Konvention
ihrer Form nirgends die Bedeutung objektiver Gut-
achten beimißt1).

Im innern Verhältnis zwischen Anwalt und Klienten,
da freilich entwickelt sich eine reiche Gutachter-Tätig-

1) Wenn die responsa prudentium in der Werdezeit
des römischen Rechts geradezu eine Rechtsquelle bildeten,
so mag das historisch wohl mit der grundsätzlichen Unent-
geltlichkeit der Advokatur in ihren Anfängen zusammen-
hängen.

keit, die von vollster Unbefangenheit erfüllt sein muß.
Allein die ist für die Außenwelt nicht bestimmt und
bleibt ihr auch immer verborgen.

Setzen wir also den Juristen, nicht gerade den
Anwalt, dem Kunsthistoriker gegenüber, so scheint
die Abgabe von Gutachten innerlich der entscheidenden
Tätigkeit des Richters viel ähnlicher als der unter-
stützenden des Anwalts. Daß aber der Richter von
der Partei nicht bezahlt werden darf, ist einer der
Orundpfeiler unserer Gesittung2).

Nehmen wir nun den Arzt vor, der ja auch in
der Regel im Auftrag des Einzelnen arbeitet. Gewiß
ist seine erste Tätigkeit ein Gutachten. Aber die
Diagnose dient der Therapie. Der Patient hat nur
am Heilungserfolg ein unmittelbares Interesse; an der
gutachtlichen Tätigkeit nur ein mittelbares, insoferne
ihre materielle Übereinstimmung mit dem okkulten
Sachverhalt mehr oder minder mit Recht als eine
Voraussetzung der Heilung angesehen wird, wenigstens
in jenen städtischen Kreisen, die das Künstlerische,
das Heuristische und Intuitive im Heilberuf nicht vor
allem empfinden.

Ganz anders wird das Verhältnis sogleich, wo
das Gutachten als solches einem privaten, zumal einem
ökonomischen Interesse des Bewerbers dienen kann.
Setzen wir den Fall, daß ein Arzt — und nun gar
ein Amtsarzt — einem zur Musterung Aufgebotenen
ein Gutachten über ein Leiden ausstellte, das ihn zum
Kriegsdienst untauglich machte. Hier wird das Gut-
achten als solches und seine Verwendung nach außen
Zweck, und sofort erscheint die Sache bedenklich.
Geht doch unser Lehrfall aus dem Unerfreulichen
gleich ins Kriminelle über, wenn wir die Möglichkeit
setzen, der Gutachter wäre der im Falle berufene Amts-
arzt selbst. Oder mit anderen Worten, derjenige, der
von Amts wegen zu untersuchen hat, ließe sich vom
Untersuchten für den Akt entlohnen. Dies erscheint
offenbar selbst dann unzulässig, wenn das Gutachten
inhaltlich zutreffend bliebe.

Freilich gibt es noch ein Gebiet für harmlosere
Gutachter-Tätigkeit der Ärzte: die Untersuchung der
natürlichen und künstlichen Heilmittel. Nun denn,
obgleich es ja grundsätzlich im Interesse der Allge-
meinheit liegen könnte, auf die Qualitäten von Mineral-
wässern oder Abführpillen aufmerksam gemacht zu
werden, — zweifelt etwa irgend jemand daran, daß
derlei Zeugnisse fast immer bezahlte Reklamen dar-
stellen? Wir könnten uns kaum entschließen, aus
diesem Brauch, von dem der Bruch mehr ehren würde
als die Befolgung, Mut zur Nachahmung zu schöpfen.

Am nächsten kommen wir dem Wesen der ent-
geltlichen Expertisierung der Kunstwerke, wenn wir
Analogien beim Ingenieur — das Wort im weitesten
Sinne genommen — suchen. Da gibt es zuweilen
Objekte, an deren Begutachtung große materielle Inter-
essen der Eigner hängen und die doch nur im Wege
der Privatuntersuchung, des entgeltlich ausgestellten

2) Die Ausnahme im Schiedsamt ist nur eine schein-
bare, doch auch sie nicht billigenswert. Im weiten Orga-
nismus der Verkehrssitte ist sie ein zum Absterben be-
stimmtes Rudiment, wie deren mehr aufzuzählen wären.
 
Annotationen