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Mitteilungen aus ausländischen Kunstzeitschriften
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zweite hier veröffentlichte Bild gehört Mr. Fry. Es
war früher in der Sammlung des Marchese Chiercati
in Vicenza und stellt das Opfer Abrahams dar. Der
Verfasser zeigt an diesem Beispiel, wie gewissenhaft
Piazzetta in seiner Arbeitsweise war und mit welcher
Zähigkeit er dieselbe Komposition immer wieder ver-
bessert. Von diesem Thema hat er nämlich vier oder
fünf Bilder geschaffen. Die früheste Fassung befindet sich
in Dresden (Nr. 569). Darauf folgt das Gemälde, das
früher in der Sammlung Algarotti war. Das Bild von
Mr. Fry ist dann noch später. Von dem Fryschen
und dem Dresdener Bilde sind Reproduktionen bei-
gefügt, sowie auch eine nach einem Stiche von Pietro
Monaco nach dem Algarottischen Gemälde. In diesem
Aufsatz wird auf den Einfluß von Jan Lys auf Piazzetta
hingewiesen, der 1590 in Oldenburg geboren wurde; in
Holland lernte er malen und ging nachher nach Italien.
Aus den unerschöpflichen Schätzen des englischen
Königshauses hat Lionel Cust die Wandteppiche in
Windsor Castle als Thema für einen Aufsatz gewählt
(Januar- und Februar-Heft). Diese berühmten Gobelins,
wovon sieben die Geschichte der Esther und sechs
diejenige Medeas und Jasons erzählen, waren nicht,
wie die Legende behauptet, ein Geschenk Ludwigs XIV.,
sondern sind in Paris gekauft, als 1820 George IV.
König von England wurde und Windsor Castle zur
Residenz wählte. Die Geschichte dieser Wandteppiche
findet man bei Maurice Fenaille, »Etat general des
Tapisseries de la Manufacture des Gobelins« (Paris
1903—09).
Von der Reihe von sieben Darstellungen der freien
Künste, die Justus van Gent (früher hieß er Melozzo
da Forli) für das Arbeitszimmer des Herzogs von
Urbino gemalt hat, und wovon sich heute je zwei in
der National Gallery und in Berlin befinden, hat Martin
Conway noch eine erkannt: ein Gemälde in Windsor
Castle, das uns Herzog Federigo mit seinem Sohne
zeigt, die einen Vortrag anhören. Hinter den Haupt-
personen sitzen drei Männer. In dem einen, der an
der rechten Seite des Bildes sitzt, hat der Verfasser
denselben Mann erkannt, dessen Bildnis in der Gal-
leria Carrara zu Bergamo hängt. Dieses Porträt, das
abwechselnd dem Mabuse oder dem Meister der Ur-
sula-Legende zugeschrieben wurde, dürfte also auch
eine Arbeit des Justus van Gent sein. Nach Analogie
dieses Bildes meint Conway, daß auch das männliche
Porträt im Besitze von Mr. James Mann, das ebenfalls
dem Meister der Ursula-Legende zugeschrieben wird,
ins Oeuvre des Justus van Gent einzuziehen sei. Lio-
nel Cust hat diesem interessanten Aufsatz noch eine
Notiz beigefügt, worin er mitteilt, daß das Gemälde
in Windsor 51V2X84 inches groß ist. Es wurde in
Italien entdeckt, wo es als Tischbrett benutzt war, und
kam 1845 nach England. Auf der Wand, unten an
der Decke des gemalten Arbeitszimmers liest man
»Federicus Dux Urbini Montisse«, woraus hervorgeht,
daß dieses Gemälde zu einer Reihe gehört, die an
den Wänden eines Zimmers entlang lief.
»The National Gallery Bill«, die auch im Ausland
großes Aufsehen erregt hat, wird hier von Roger Fry
besprochen. Die»Trustees« dieser Sammlung wünschten
das Recht zu erhalten, einige Gemälde von Turner zu
verkaufen, um dadurch die nötigen Gelder für den
Ankauf alter Gemälde von außerordentlicher Qualität,
die noch im Besitze von Privatleuten sind, zu be-
kommen. Der Verfasser kritisiert das Verfahren der
Trustees der National Gallery scharf, da sie nicht nur
die große Frage, wie es möglich sei, die Meisterwerke
in Privatbesitz dem englischen Volke zu erhalten, vor-
her nie beachtet, sondern sogar noch Schlimmeres
getan haben, indem sie durch ihre Nachlässigkeit ver-
darben, was Leute mit Sinn für das allgemeine Interesse
zustande zu bringen versucht hatten. Da den Trustees
nun endlich die Augen aufgegangen sind, stimmt Fry
diesem Plane zu, obwohl es ihm nicht erwünscht er-
scheint, daß der ganze Vorschlag in seiner heutigen
Form angenommen werde. Will man den Trustees —
so meint Fry — das Recht geben, etwas aus der ihnen
anvertrauten Sammlung zu verkaufen, so muß man
auch dem Direktor das Veto-Recht geben.
Auf der im vorigen Jahre im Burlington Fine Arts
Club abgehaltenen Ausstellung von »British Heraldry«
war ein Manuskript, das seiner Schönheit wegen große
Bewunderung fand: die »Rous oder Warwick Roll«,
die von dem bekannten Historiker John Rous (1411 —
1491) geschaffen war und die chronologische Geschichte
der gräflichen Familie von Warwick enthält. Das
Manuskript gehört der »Corporation of the Colleges
of Arms«, die es 1786 für ihre Bibliothek angekauft
hat. Durch ihre Erlaubnis war Archibald G. B. Rus-
sell imstande, im Burlington die ersten photographi-
schen Abbildungen zu geben, die nach diesen schönen
Federzeichnungen gemacht wurden.
Die Januar-Lieferung enthält auch noch eine Liste
der Neuerwerbungen des Britischen Museums. Das
Kupferstichkabinett erhielt vier Federzeichnungen von
B. Thorwaldsen, drei Zeichnungen von Louis Rae-
makers, fünf aus der Serie der sehr seltenen Radie-
rungen »Die Weisen von Griechenland« von de Gheyn
d. J. und eine radierte Platte von M. Maris, weiter eine
Lithographie von Greveden nach dem Porträt der
Herzogin von Berry von Lawrence, eine Lithographie
von Fantin Latour und drei von Gustave Dore. Unter
den neuerworbenen alten Holzschnitten befindet sich
ein Blatt, das uns die Lanze des hl. Mauritius und
andere Reliquien des heiligen römischen Reiches, früher
in Nürnberg, heute in der Schatzkammer in Wien, zeigt.
Die Abteilung für orientalische Kunst erwarb eine alte,
sehr schöne Kopie nach einem Gemälde aus der Schule
von Tosa, Szenen aus dem Leben des hl. Ippen, eine
Kopie nach einer der berühmten zwölf Malereien von
Yeni Högen, im Jahre 1297 gemacht, die im Tempel
von Kiötö bewahrt werden. Die interessanteste Neu-
erwerbung der griechisch-römischen Abteilung ist ein
Relief, das uns Zeus Stratios, der in Labranda in Caria
(Asia Minor) verehrt wurde, zeigt. Zeus steht zwischen
einem Mann und einer Frau, die ihn anbeten und die
der Inschrift nach Idrieus und Ada heißen und mit
dem Bruder und der Schwester von Mausolus iden-
tisch sein müssen, die zusammen in Halicarnassus
zwischen 351 und 344 v. Chr. herrschten. Das Relief
wurde in Tegea in Griechenland gefunden und ist mög-
Mitteilungen aus ausländischen Kunstzeitschriften
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zweite hier veröffentlichte Bild gehört Mr. Fry. Es
war früher in der Sammlung des Marchese Chiercati
in Vicenza und stellt das Opfer Abrahams dar. Der
Verfasser zeigt an diesem Beispiel, wie gewissenhaft
Piazzetta in seiner Arbeitsweise war und mit welcher
Zähigkeit er dieselbe Komposition immer wieder ver-
bessert. Von diesem Thema hat er nämlich vier oder
fünf Bilder geschaffen. Die früheste Fassung befindet sich
in Dresden (Nr. 569). Darauf folgt das Gemälde, das
früher in der Sammlung Algarotti war. Das Bild von
Mr. Fry ist dann noch später. Von dem Fryschen
und dem Dresdener Bilde sind Reproduktionen bei-
gefügt, sowie auch eine nach einem Stiche von Pietro
Monaco nach dem Algarottischen Gemälde. In diesem
Aufsatz wird auf den Einfluß von Jan Lys auf Piazzetta
hingewiesen, der 1590 in Oldenburg geboren wurde; in
Holland lernte er malen und ging nachher nach Italien.
Aus den unerschöpflichen Schätzen des englischen
Königshauses hat Lionel Cust die Wandteppiche in
Windsor Castle als Thema für einen Aufsatz gewählt
(Januar- und Februar-Heft). Diese berühmten Gobelins,
wovon sieben die Geschichte der Esther und sechs
diejenige Medeas und Jasons erzählen, waren nicht,
wie die Legende behauptet, ein Geschenk Ludwigs XIV.,
sondern sind in Paris gekauft, als 1820 George IV.
König von England wurde und Windsor Castle zur
Residenz wählte. Die Geschichte dieser Wandteppiche
findet man bei Maurice Fenaille, »Etat general des
Tapisseries de la Manufacture des Gobelins« (Paris
1903—09).
Von der Reihe von sieben Darstellungen der freien
Künste, die Justus van Gent (früher hieß er Melozzo
da Forli) für das Arbeitszimmer des Herzogs von
Urbino gemalt hat, und wovon sich heute je zwei in
der National Gallery und in Berlin befinden, hat Martin
Conway noch eine erkannt: ein Gemälde in Windsor
Castle, das uns Herzog Federigo mit seinem Sohne
zeigt, die einen Vortrag anhören. Hinter den Haupt-
personen sitzen drei Männer. In dem einen, der an
der rechten Seite des Bildes sitzt, hat der Verfasser
denselben Mann erkannt, dessen Bildnis in der Gal-
leria Carrara zu Bergamo hängt. Dieses Porträt, das
abwechselnd dem Mabuse oder dem Meister der Ur-
sula-Legende zugeschrieben wurde, dürfte also auch
eine Arbeit des Justus van Gent sein. Nach Analogie
dieses Bildes meint Conway, daß auch das männliche
Porträt im Besitze von Mr. James Mann, das ebenfalls
dem Meister der Ursula-Legende zugeschrieben wird,
ins Oeuvre des Justus van Gent einzuziehen sei. Lio-
nel Cust hat diesem interessanten Aufsatz noch eine
Notiz beigefügt, worin er mitteilt, daß das Gemälde
in Windsor 51V2X84 inches groß ist. Es wurde in
Italien entdeckt, wo es als Tischbrett benutzt war, und
kam 1845 nach England. Auf der Wand, unten an
der Decke des gemalten Arbeitszimmers liest man
»Federicus Dux Urbini Montisse«, woraus hervorgeht,
daß dieses Gemälde zu einer Reihe gehört, die an
den Wänden eines Zimmers entlang lief.
»The National Gallery Bill«, die auch im Ausland
großes Aufsehen erregt hat, wird hier von Roger Fry
besprochen. Die»Trustees« dieser Sammlung wünschten
das Recht zu erhalten, einige Gemälde von Turner zu
verkaufen, um dadurch die nötigen Gelder für den
Ankauf alter Gemälde von außerordentlicher Qualität,
die noch im Besitze von Privatleuten sind, zu be-
kommen. Der Verfasser kritisiert das Verfahren der
Trustees der National Gallery scharf, da sie nicht nur
die große Frage, wie es möglich sei, die Meisterwerke
in Privatbesitz dem englischen Volke zu erhalten, vor-
her nie beachtet, sondern sogar noch Schlimmeres
getan haben, indem sie durch ihre Nachlässigkeit ver-
darben, was Leute mit Sinn für das allgemeine Interesse
zustande zu bringen versucht hatten. Da den Trustees
nun endlich die Augen aufgegangen sind, stimmt Fry
diesem Plane zu, obwohl es ihm nicht erwünscht er-
scheint, daß der ganze Vorschlag in seiner heutigen
Form angenommen werde. Will man den Trustees —
so meint Fry — das Recht geben, etwas aus der ihnen
anvertrauten Sammlung zu verkaufen, so muß man
auch dem Direktor das Veto-Recht geben.
Auf der im vorigen Jahre im Burlington Fine Arts
Club abgehaltenen Ausstellung von »British Heraldry«
war ein Manuskript, das seiner Schönheit wegen große
Bewunderung fand: die »Rous oder Warwick Roll«,
die von dem bekannten Historiker John Rous (1411 —
1491) geschaffen war und die chronologische Geschichte
der gräflichen Familie von Warwick enthält. Das
Manuskript gehört der »Corporation of the Colleges
of Arms«, die es 1786 für ihre Bibliothek angekauft
hat. Durch ihre Erlaubnis war Archibald G. B. Rus-
sell imstande, im Burlington die ersten photographi-
schen Abbildungen zu geben, die nach diesen schönen
Federzeichnungen gemacht wurden.
Die Januar-Lieferung enthält auch noch eine Liste
der Neuerwerbungen des Britischen Museums. Das
Kupferstichkabinett erhielt vier Federzeichnungen von
B. Thorwaldsen, drei Zeichnungen von Louis Rae-
makers, fünf aus der Serie der sehr seltenen Radie-
rungen »Die Weisen von Griechenland« von de Gheyn
d. J. und eine radierte Platte von M. Maris, weiter eine
Lithographie von Greveden nach dem Porträt der
Herzogin von Berry von Lawrence, eine Lithographie
von Fantin Latour und drei von Gustave Dore. Unter
den neuerworbenen alten Holzschnitten befindet sich
ein Blatt, das uns die Lanze des hl. Mauritius und
andere Reliquien des heiligen römischen Reiches, früher
in Nürnberg, heute in der Schatzkammer in Wien, zeigt.
Die Abteilung für orientalische Kunst erwarb eine alte,
sehr schöne Kopie nach einem Gemälde aus der Schule
von Tosa, Szenen aus dem Leben des hl. Ippen, eine
Kopie nach einer der berühmten zwölf Malereien von
Yeni Högen, im Jahre 1297 gemacht, die im Tempel
von Kiötö bewahrt werden. Die interessanteste Neu-
erwerbung der griechisch-römischen Abteilung ist ein
Relief, das uns Zeus Stratios, der in Labranda in Caria
(Asia Minor) verehrt wurde, zeigt. Zeus steht zwischen
einem Mann und einer Frau, die ihn anbeten und die
der Inschrift nach Idrieus und Ada heißen und mit
dem Bruder und der Schwester von Mausolus iden-
tisch sein müssen, die zusammen in Halicarnassus
zwischen 351 und 344 v. Chr. herrschten. Das Relief
wurde in Tegea in Griechenland gefunden und ist mög-