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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI issue:
1./2. Septemberheft
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Romdahl, Axel L.: Eine malerische Wendnung in Dürers Schaffen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0022

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Bäumen hervorguckt?). Bezeichnend ist es wohl, daß
sogar Dürers Monogramm sich in Schraffen auflöst und
nic'ht als störendes Liniengefüge stehen darf. Nun kann
ja die Dreifaltigkeit, Bartsch 122, init der unbestreitbar
starken Plastizität des Christuskörpers unter den
tibrigen Holzschnitten des Jahres 1511 überraschend
scheinen, aber die Engelgruppe links, wo die einzelnen
Köpfe und Figuren zu Gunsten der malerischen Wirkung
aber zum Schaden der linearen und plastischen Klarheit
beschattet worden sind, zeigt genügend, daß Dürer auch
hier seine aktuellen Ziele nicht außer Aclit lassen
konnte.

Die Versuche, die malerischen Absichten in dem
Holzschnitt auszudrücken, hören mit dem Hieronymus,
Bartsch 113, von 1512 auf, wohl weil der Meister fand,
daß die Kunstart doch nicht schmiegsam genug war,
das was er sah und wollte, auszudrücken. Und im glei-
chen Jahre finden wir ihn eine neue Technik versuchen,
in der er hoffen konnte, besseren Erfolg zu gewinnen,
und zwar indem er zwei Themen aufnahm, die er in den
Holzschnitten schon gestalten wollte: Hieronymus in
der Wüste und die heilige Sippe.

Die neue Technik ist die Kaltnadel-Radierung, in
der wohl Dürer schon 1510 einen Übungsversuch in der
kleinen Veronica, Bartsch 64, gemacht liatte, die cr jetzt
aber mit allem Ernst in Anspruch nimmt, um die Dinge
aussprechen zu können, die ihm künstlerisch am Herzen
liegen. Vielleicht waren es die Blätter des Amster-
damer Meisters, die Dürer den Weg zeigten und ihn die
Ausdrucksmöglichkeiten der Methode ahnen ließen.
Die Teclmik jenes Anonymen ist jedoch eine ganz
andere als diejenige, die er sich erfinden wollte. Mit
der scharfen Nadel zieht der Amsterdamer Meister
seine kurzen und spitzen Striche, die sich nur in den
* Falten der Trachjen zu einem System mit plastischer
Absicht ordnen, aber im übrigen mit improvisatorischer
Freiheit und glücklicher malerischer Empfindlichkeit
angebracht werden, da wo es nötig ist und wie es nun
passen mag. Die ganze Arbeit bewahrt noch ein pri-
mitives Gepräge. Die Methode Dürers ist eine ganz
andere. Sie geht von der malcrischen Art zu zeichnen
aus, die wir in den früher erwähnten Zeichnungen
beobachtet haben, einige Parallelstriche und einfache
Kreuzschraffierung. In den Kaltnadelblättern kommen
kurze Striche hinzu, wie hingehauen, leicht geschweift,
unten spitz auslaufend, systematisch gelegt und kleine
millimeterlange Strichelchen und Punkte. Der größte
Unterschied zwischen den Zeichnungen und den Kalt-
nadelarbeiten liegt jedoch in der weit größeren Mög-
lichkeit zu wechselnder Tonalität und abgestufter male-
rischer Wirkung, die den letzteren eigen waren und die
von Dürer meisterhaft ausgenutzt und zu entscheidend
fiir die ganze Haltung der Blätter gemacht wurde. Der
etwas unsicheren Haltung nach scheint der Schmer-
zensmann, Bartsch 28, das erste der Kaltnadelblätter
aus dem Jalirc 1512 zu sein.

In der Anordnung der heiligen Familie an der
Mauer, Bartsch 43, läßt sich ein Anknüpfen an das Früh-
werk, die heiligp Famjlie mit der Heuschrecke, be-

merken, insofern als Joseph links hinter der Rasen-
bank zum Vorschein kommt. Jm übrigen ist das Bild
in einer pyramidalen Gruppe aufgebaut, der jedoch
durch eine hinzugefügte Figur ihre allzu steife Regel-
mäßigkeit genommen wird. Sichtbar hat die Komposi-
tion auch mit dem früher behandelten Entwurfe zu dem
Holzschnitte, Bartsch 96, Lippmann 524, Zusammhang.
Die Idee des Entwurfes mit den Köpfen gegen die Luft
ist iu dem Kaltnadelblatt durchgeführt.

Wenu wir das Kaltnadelblatt näher ansehen, ist
es erstaunlich, wie wenig Körperlichkeit die Gestalten
besitzen. Wir können nicht klar darüber werden, wie
Joseph sitzt oder liegt hinter der Rasenbank, auf
welche er seine Arme legt, und die drei teilnehmenden
Verwandten stehen in dem geringen Raum in der Mau-
erecke mit einer Geduld, die ihnen doch unmöglich ge-
wesen wäre, wenn sie wirklich eine dreidimensionale
Körperlichkeit besäßeti. Dtirer hat sich darum nicht
bekümmert. Hier wiinschte er ja nicht das plastische,
sondern den Schein, die Projektion der Wirklichkeit in
der Fläche als Ton und Licht, als ein vibrierendes Ge-
webe von tiefster Dunkelheit und höchster Helligkeit
mit einem ganzen Register von dazwischen liegenden
Nuancen. Und dies ist es, was tatsächlich in dem Blatte
gegeben wird. Die tiefen Schatten leuchten sammet-
schwarz, und zwischen ruhig bettenden Flächen, wo
doch iminer ein Reflex zittert, strahlen die Lichtmassen
der weiten Draperien. Aber das Gesicht Marias ist
weicli verschleicrt mit duftigen Schatten und ahnungs-
leichten Tönen ohne alle harten, bestimmt gezogenen
Konturen. Gegen den silbergrauen Himmel stelien die
Köpfe der beiden Männer wie nebelhafte Silhouetten.
Sowolil die Gesichtstypen — Joseph, der bartlose junge
Mann und nicht am wenigsten Maria — wie der male-
risclie Gesamteindruck erinnern an Leonardo da Vinci
und die lombardische Schule. Leicht wird man auch zu
dcm Gedanken an Quentin Matsys Löwenaltar mit der
heiligen Sippe geführt, vollendet im Jahre 1509. Be-
sonders sind es die männlichen Gestalten, als Silhouet-
ten gegen die Luft gestellt, an die wir uns aus dem
Matsysbilde erinnern, aber aucli die ganze Stimmung
ist gemeinsam mit dem zerstreuten Lauschen auf irgend
eine entfernte Vespergloeke. Es ist kein Zufall, daß
wir diesen Eindruck haben. Die beiden nordischen
Meister haben aus derselben Quelle geschöpft, und zu
der Ähnlichkeit der Vorbilder kam die Ähnlichkeit dei
eigenen Gemütsarten der Künstler noch hinzu.

Als Kunstwerk wird die heilige Familie an der
Mauer von dem Flieronymus bei dem Weidenbaum,
Bartsch 59, übertroffen. Die plastische Klarheit der
Hauptfigur und ihr Verhältnis zu dem umgebenden
Raum lassen gewiß viel zu wünschen übrig. Aber dazu
besitzt das Blatt eine malerische Einheit, eine ruhige
und warme Schönheit der Töne, die von einer weit
höheren Qualität ist als die etwas unruhige flackernde
Haltung bei der heiligen Familie. Es ist wie wenn wir
von den nocli subtil experimentierenden Beleuchtungs-
studien der Leonardoschule (mit Ausgangspunkt in dem
plastischen) zu der vollen malerischen Freiheit der

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