Kersting verewigen zu lassen, muß natürlich auf Kügel-
gen zuriickgefiihrt werden. War es kcine leichte Auf-
gabe, d'ie beiden Porträts in dem wiuzigen Maßstabe
und bei der erforderlichen perspektivischcn Verkiir-
zung wieder zu geben, so hat Kersting durch eine ge-
steigerte Hervorhebung der charakteristischen Eigen-
tiimlichkeiten die Ähnlichkeit mit den Köpfen der beiden
Dichter meisterhaft 'gewahrt.
Das große Kinder-Doppelbildnis an dcr gleichen
Wand stellt Gerhard von Kügelgens Söhne Wilhelm,
den Verfasser der oft genannten „Jugenderinnerungen“,
und den um dreinundeinhalb Jahre jiingeren Bruder
Gerhard vor. Wilhelm in weiter Hose mit kurzem
Leibchen vor einem Stoffsoldaten stehend, zieht, wie
zum Angriff, seinen Siibel, während der sitzende Ger-
hard mit einem Wollschäfchen spielt. Der Besuch Kii-
gelgens in Weimar ist fiir unser Bild von unmittelbarer
Bedeutung.
Über den Sinn und die Entstelmng des Bildes
schreibt Wilhelm von Kiigelgen: „Mir schenkte damals
Onkel Lais 6) eine als bayrischen Ulanen kostiimierte
Puppe, gar vollständig und schön mit der ganzen Arma-
tur. Mein Vater aber erlaubte mir, diesen Balg zu töten
als einen Franzosenfreund und lieh mir dazu seinen
Stocksiibel, mit dem er auch zerhauen wurde. Unend-
lich viele Kleie strömte zu meiner Verwunderung aus
den Wunden. Solche Begebenheit ist gefe'iert worden
auf einem lebensgroßen, mich und meinen unvordenk-
iichen Bruder darsteüenden Bilde, welches mein Vater
in jener Zeit malte, und ich noch besitze. Der Bruder
ist sitzend auf einem Kissen abgebildct, ein ausgestopf-
tes Lämmchen', das sein Entzücken war, an die Brust
drückend. Ich dagegen stehe hinter ihm, entschlossen,
den Bayern mit einem ungeheuren Säbcl abzuthun.“
Das Originai dieses ebenfalis in schärfster Verkürzung
dargestellten Bildes ist noch erhalten und befindet sich
im Bes'itz der Frau Kammerherr von Kügelgen in Des-
sau. Eine Abbildung des interessanten Bildes brachte
die 8. Auflage der Jugenderinnerungen (Ghr. Balzer-
sche Verlagsbuchhandiung in Stuttgart). Das Kinder-
bild dürfte wenige Jahre vor dem Kerstingschen Bilde
des Kügelgensdhen Ateliers entstanden sein, dessen
Signatur, wie wohl erinnerlich, die Jahreszähl 1811 an-
gibt. Nach dem Alter der dargestellten Kinder und ihren
Geburtsdaten (Wilhelm wurde arn 20. November 1802,
Gerhard im Mai 1806 geboren) zu urteilen, wurde das
Doppelbildnis 1808 gemalt.
Dle gegenüberliegende Wand des gemalten Ate-
liers ist kaum weniger interessant. Sie erhält ihr Ge-
präge durch einen Schreibtisch mit Büchern aller Art
und ein Regal mit einer Gliederpuppe und Gipsab-
güssen. Dieses Regal mit seinem echt künstlerischen
Inhalt hat die Phantasie des Söhnes Wilhelm stark
angeregt, denn der Verfasser der „Jugenderinne-
6) Besagter Onkel „Lais“ war ein von Petersburg Her der
Familie von Kügelgen befreundeter Privatgelehrter, der viel in
ihrem Hause verkehrte und sich besonders gern mit dem munteren
Sohn Wilhelm abgab.
rungen“ erwähnt besonders die Gliederpuppen und
Gipse. Was übrigcns an Abgüssen in dem Atelier-Bilde
Kerstings zu sehen, ist baroek, teils antiken Ur-
sprungs, wie ein Herakles-Torso, teils sind es Arbeiten
des 17. Jahrhunderts in der Art des Giovanni da Bolog-
na. Liegt in dieser Vorliebe Gerhard von Kügelgens
für barocke Skulptur ein tieferer Sinn, oder ist nur dem
Zufall zuzuschre'iben, daß Kersting diese Zusammen-
stellung vorfand? Kügelgen als „Klassizist“ und ge-
heimer Liebhaber des Barock —, wer wird nicht an
Winckelmann und Less'ing denken!
Überraschen muß in Gerhards Atelier die große
Zahl von Büchern. Er las in seinem späteren Leben
fast nie; sein reiches Wissen auf den verschiedensten
Gebieten verdankte er einer sehr gründlichen Schulbil-
dung und dem Verkehr mit vielen kenntnisreichen
Leuten seiner Umgebung. Sodann seinem ausgezeich-
neten Gedächtnis. „Er hatte niemals weder Zeit noch
Lust zurn Lesen, und hat es auch nicht nöthig, da Böt-
ticher für ihn Gelehrtes, meine Mutter Belletristisches
und Theologisches und Poenitz das Politische las. „Da-
zu“, pflegte er zu sagen,,, habe man seine Freunde, daß
sie für einen läsen.“ (Jugenderinnerungen).
Ein unscheinbares, aber nicht unwichtiges Iustru-
ment ist der kleine, viereckige Holzrahmen mit dem
Drahtnetz darin, der auf dem Tische liegt. Vermutlich
stellt er einen Motivsucher vor, dem zwar der „Schie-
ber“ fehlt, der dafür aber zugleich mit Nutzen beim
Kopieren von Gemälden und ihrer Übertragung in an-
dere Maßstäbe verwendet werden konnte. Wahr-
scheinlich hat sicli Kügelgen dieses Instrumentes be-
dient, als er die Sixtinische Madonna kopierte.
Unter dem Atelierfenster im Dämmerlicht steht
eine kleine, nach der Art einer Leier gebaute Harfe.
Auf ihr spielte Frau von Kügelgen, wenn sie den
Ihrigen eine besondere Freude bereiten wollte. An der
Fensterwand hängende Gewehre deuten auf Liebhabe-
rei des Besitzers fiir Waffeu; sie wird durchdas Zeug-
nis des Sohnes ausdrücklich bestätigt. Er erzählt
ferner, daß der Vater dem jungen Kersting zur Vervoll-
ständigung seiner Ausrüstung für das Feld eine der
Kugelbüchsen geschenkt habe. Im Schießen habe er
ihn täglich persönlich unterrichtet, bis er ausgerückt sei.
Durch praktische und gefällige Formen fällt der
große, runde, in drei Etagen sich aufbauende Flaschen-
und Pinselständer ins Auge. Er steht im Rücken des
Malers, frei im Raum, und so zum Fenster, daß sich das
weiße Licht, das von draußen kommt, in den Flaschen
farbig bricht. Die Wiedereinführung dieses aus der
Atelier-Ausrüstung unserer Tage verschwundenen
Ständers wäre dringend zu wünschen. Sie würde einem
häufig empfundenen Mangel abhelfen und zufrieden-
stellend die Frage beantworten: Wohin mit den nassen
Pinseln?
Nach den Aufzeichnungen unseres literarischen Ge-
währsmannes standen im Atelier Kügelgens noch eine
Hobelbank und ein Skelett. Das Skelett habe „das
Entsetzen der Dienstmädchen“ erregt, wenn sie, „um
Aufträge der Mutter auszufiihren, durch die halbgeöff-
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gen zuriickgefiihrt werden. War es kcine leichte Auf-
gabe, d'ie beiden Porträts in dem wiuzigen Maßstabe
und bei der erforderlichen perspektivischcn Verkiir-
zung wieder zu geben, so hat Kersting durch eine ge-
steigerte Hervorhebung der charakteristischen Eigen-
tiimlichkeiten die Ähnlichkeit mit den Köpfen der beiden
Dichter meisterhaft 'gewahrt.
Das große Kinder-Doppelbildnis an dcr gleichen
Wand stellt Gerhard von Kügelgens Söhne Wilhelm,
den Verfasser der oft genannten „Jugenderinnerungen“,
und den um dreinundeinhalb Jahre jiingeren Bruder
Gerhard vor. Wilhelm in weiter Hose mit kurzem
Leibchen vor einem Stoffsoldaten stehend, zieht, wie
zum Angriff, seinen Siibel, während der sitzende Ger-
hard mit einem Wollschäfchen spielt. Der Besuch Kii-
gelgens in Weimar ist fiir unser Bild von unmittelbarer
Bedeutung.
Über den Sinn und die Entstelmng des Bildes
schreibt Wilhelm von Kiigelgen: „Mir schenkte damals
Onkel Lais 6) eine als bayrischen Ulanen kostiimierte
Puppe, gar vollständig und schön mit der ganzen Arma-
tur. Mein Vater aber erlaubte mir, diesen Balg zu töten
als einen Franzosenfreund und lieh mir dazu seinen
Stocksiibel, mit dem er auch zerhauen wurde. Unend-
lich viele Kleie strömte zu meiner Verwunderung aus
den Wunden. Solche Begebenheit ist gefe'iert worden
auf einem lebensgroßen, mich und meinen unvordenk-
iichen Bruder darsteüenden Bilde, welches mein Vater
in jener Zeit malte, und ich noch besitze. Der Bruder
ist sitzend auf einem Kissen abgebildct, ein ausgestopf-
tes Lämmchen', das sein Entzücken war, an die Brust
drückend. Ich dagegen stehe hinter ihm, entschlossen,
den Bayern mit einem ungeheuren Säbcl abzuthun.“
Das Originai dieses ebenfalis in schärfster Verkürzung
dargestellten Bildes ist noch erhalten und befindet sich
im Bes'itz der Frau Kammerherr von Kügelgen in Des-
sau. Eine Abbildung des interessanten Bildes brachte
die 8. Auflage der Jugenderinnerungen (Ghr. Balzer-
sche Verlagsbuchhandiung in Stuttgart). Das Kinder-
bild dürfte wenige Jahre vor dem Kerstingschen Bilde
des Kügelgensdhen Ateliers entstanden sein, dessen
Signatur, wie wohl erinnerlich, die Jahreszähl 1811 an-
gibt. Nach dem Alter der dargestellten Kinder und ihren
Geburtsdaten (Wilhelm wurde arn 20. November 1802,
Gerhard im Mai 1806 geboren) zu urteilen, wurde das
Doppelbildnis 1808 gemalt.
Dle gegenüberliegende Wand des gemalten Ate-
liers ist kaum weniger interessant. Sie erhält ihr Ge-
präge durch einen Schreibtisch mit Büchern aller Art
und ein Regal mit einer Gliederpuppe und Gipsab-
güssen. Dieses Regal mit seinem echt künstlerischen
Inhalt hat die Phantasie des Söhnes Wilhelm stark
angeregt, denn der Verfasser der „Jugenderinne-
6) Besagter Onkel „Lais“ war ein von Petersburg Her der
Familie von Kügelgen befreundeter Privatgelehrter, der viel in
ihrem Hause verkehrte und sich besonders gern mit dem munteren
Sohn Wilhelm abgab.
rungen“ erwähnt besonders die Gliederpuppen und
Gipse. Was übrigcns an Abgüssen in dem Atelier-Bilde
Kerstings zu sehen, ist baroek, teils antiken Ur-
sprungs, wie ein Herakles-Torso, teils sind es Arbeiten
des 17. Jahrhunderts in der Art des Giovanni da Bolog-
na. Liegt in dieser Vorliebe Gerhard von Kügelgens
für barocke Skulptur ein tieferer Sinn, oder ist nur dem
Zufall zuzuschre'iben, daß Kersting diese Zusammen-
stellung vorfand? Kügelgen als „Klassizist“ und ge-
heimer Liebhaber des Barock —, wer wird nicht an
Winckelmann und Less'ing denken!
Überraschen muß in Gerhards Atelier die große
Zahl von Büchern. Er las in seinem späteren Leben
fast nie; sein reiches Wissen auf den verschiedensten
Gebieten verdankte er einer sehr gründlichen Schulbil-
dung und dem Verkehr mit vielen kenntnisreichen
Leuten seiner Umgebung. Sodann seinem ausgezeich-
neten Gedächtnis. „Er hatte niemals weder Zeit noch
Lust zurn Lesen, und hat es auch nicht nöthig, da Böt-
ticher für ihn Gelehrtes, meine Mutter Belletristisches
und Theologisches und Poenitz das Politische las. „Da-
zu“, pflegte er zu sagen,,, habe man seine Freunde, daß
sie für einen läsen.“ (Jugenderinnerungen).
Ein unscheinbares, aber nicht unwichtiges Iustru-
ment ist der kleine, viereckige Holzrahmen mit dem
Drahtnetz darin, der auf dem Tische liegt. Vermutlich
stellt er einen Motivsucher vor, dem zwar der „Schie-
ber“ fehlt, der dafür aber zugleich mit Nutzen beim
Kopieren von Gemälden und ihrer Übertragung in an-
dere Maßstäbe verwendet werden konnte. Wahr-
scheinlich hat sicli Kügelgen dieses Instrumentes be-
dient, als er die Sixtinische Madonna kopierte.
Unter dem Atelierfenster im Dämmerlicht steht
eine kleine, nach der Art einer Leier gebaute Harfe.
Auf ihr spielte Frau von Kügelgen, wenn sie den
Ihrigen eine besondere Freude bereiten wollte. An der
Fensterwand hängende Gewehre deuten auf Liebhabe-
rei des Besitzers fiir Waffeu; sie wird durchdas Zeug-
nis des Sohnes ausdrücklich bestätigt. Er erzählt
ferner, daß der Vater dem jungen Kersting zur Vervoll-
ständigung seiner Ausrüstung für das Feld eine der
Kugelbüchsen geschenkt habe. Im Schießen habe er
ihn täglich persönlich unterrichtet, bis er ausgerückt sei.
Durch praktische und gefällige Formen fällt der
große, runde, in drei Etagen sich aufbauende Flaschen-
und Pinselständer ins Auge. Er steht im Rücken des
Malers, frei im Raum, und so zum Fenster, daß sich das
weiße Licht, das von draußen kommt, in den Flaschen
farbig bricht. Die Wiedereinführung dieses aus der
Atelier-Ausrüstung unserer Tage verschwundenen
Ständers wäre dringend zu wünschen. Sie würde einem
häufig empfundenen Mangel abhelfen und zufrieden-
stellend die Frage beantworten: Wohin mit den nassen
Pinseln?
Nach den Aufzeichnungen unseres literarischen Ge-
währsmannes standen im Atelier Kügelgens noch eine
Hobelbank und ein Skelett. Das Skelett habe „das
Entsetzen der Dienstmädchen“ erregt, wenn sie, „um
Aufträge der Mutter auszufiihren, durch die halbgeöff-
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