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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Aprilheft
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Demmler, Theodor: Immanuel Kant in den Berliner Sammlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0238

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Abb. 1

leisen irome so sprechend lebendig, keines gibt mit so
ungesuchter Anschaulichkeit den hageren schmalbrü-
stigen Mann, der schon früh 5n seiner Vaterstadt ein
Gegenstand unbegrenzter Verehrung gcwesen ist.
Seine Bescheidenheit und Güte, gepaart mit dem vollen
Bewußtsein seines 'Wertes und der Stellung, die ihm zu-
kam, seine weltoffene Klugheit und jene Sicherheit der
Form, gewonnen aus der Durchdringung des ganzeu
Lebensinhalts mit dem Geist und den Maximen seiner
Philosophie, die Abrundung seiner ganz in sich selbst
ruhenden Persönlichkeit — von altedem, was die
Freunde und Schüler nicht müde wurden, zu schildern,
verspürt man einen Abgianz in der knappen und un-
gemein bezeichnenden Formensprache dieses Bild-
nisses. Die Gattung des kleinen Reliefporträts wird
in diesen Jahrzehnten mit besonderer Liebe gepflegt;
die besten Künstler wetteifern darin, mit kargen Mitteln
individuelles Leben und geistigen Gehalt auszudrücken,
in schiichte Umrißformen Anmut und Würde zu legen.
Unter der Fülle zeitgenössischer Konkurrenten behaup-
tet unser Collin auch als Künstler seinen Platz: was
er vor allen späteren Schilderern Kants voraus hat, ist
die frische Liebenswürdigkeit seiner Stilisierung, die
nicht von außen an den Kopf herangebracht, sondern
aus intimer Kenntnis seiner Eigenart entwickelt ist.

Seit den achtziger Jahren war Kant eine euro-
päische Berühmtheit: 1781 war die „Kritik der reinen
Vernunft“ erschienen. Die wichtigsten Bildnisse der
Folgezeit rühren von auswärtigen, vor allem von Ber-
l'iner Künstlern her. An der Spitze steht der M e d a i 1 -

leur Abramson ; vou dessen zwei Medaillen auf
Kant wir die erste als die am besten gelungene, nach
dem Silber-Exemplar unseres Münzkabinetts abbilden
(Abb. 3). Sie wurde dem 60 jährigen 1784 von e'iner
Anzahi Studierender in Gold iiberreicht. Das falsche
Geburtsdatum 1723, das sich — nach dem Vorbild eini-
ger Exemplare der Collinschen Tonpaste — auf der
Rückseite findet, dämpfte die Freude Kauts etwas: er
inacht in einer Randbemerkung zu Borowskis Manus-
kript seiner Biographie selbst auf diesen Fehler auf-
merksam, der wahrhaftig leicht zu vermeiden gewesen
wäre.

Abramson eröffnet die Reihe der Künstler, die einen
stärker stilisierten, einen idealen Kant zu geben unter-
nehmen. Daß Collins Medaillon sein Vorbild war, ist
durch die Zeitgenossen und überdies durch jenen Fehler
gut bezeugt. Um so stärker drängt sich die Abweichung
auf. Der hagere Alte, ohne Perrücke, mit offenem
Hals, trägt bei aller Betonung der geistigen Energie
typische Züge des Greisentums, die dem zwei Jahre
zuvor entstandenen Collinschen Kopf völlig fehlen. Ob
Schlilderungen der Freunde Kants den Künstler beein-
fiußten („äußerst mager, solang ich ihn kenne; — zu-
letzt vertrocknet wie eine Scherbe“, sagt Borowski),
oder ob er die Geisteskraft des Philosophen durch einen
abgezehrten Körper glaubte anschaulicher machen zu
können, — sicher ist soviel, daß Abramsons Auffassung
ihrerseiits auf die folgenden Darsteller einwirkt. In
der Form von Kopf und Hals, in der Anordnung der
Haare und in anderen Einzelheiten greift z. B. Bardou
ganz offenbar auf ihn zurück. Aber auch Hagemann
und Schadow gehen von diesem Typus aus, der, wenn
wir Collin Glauben schenken dürfen, den historischen
Kant wesentlich umgebildet und — verallgemeinert
hat. — Die Rückseite von Abramsons Medaille zeigt
eine Sphinx zu Füßen des schiefen Turms von Pisa, von

Abb. 2

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