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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Juniheft
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Grautoff, Otto: Französisches Kunstleben im Jahre 1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0307

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stehen, in ihren besten Stunden Persönliches geben.
Am flachsten wirkte Maurice Denis, dessen Mai-Sonder-
ausstellung im Pavillon Marsan den konventionellen
Charakter seiner Kunst bestätigte, Guerin, Laprade,
Marchand, Moreau, Puy erschienen als durchschnitt-
liche Geiger irn Konzert der Zeit. Flandrin aber findet
geleg§ntlich eine melancholische Grazie, die packt.
Utrillo eine Kraft in der Naturauffassung, die mitreißt,
Andre Mare eine bedeutende Eindringlichkeit in der
Menschencharakteristik, Lotiron eine straffe Verein-
fachung der Naturformen, Vlaminck duftige Farbenhar-
monien. Daneben sah man gute Biider von Bonnard
und Vuillard, von Redon und Vallotton. Das Schönste
aber waren einige uribekannte Cezannes und Renoirs.
Auch die Provinz erwacht. In Lyon hat Albert Poyet
vor zwei ja'hren den Künstsalon: Galerie Saint Pierre
gegrtindet und sich einen Interessentenkreis herange-
zogen. Poyets Ausstellungen stehen auf pariser 'Höhe,
auch sein Lager hat nichts pro'vinzielles.

Paris mahnt die lebenden Künstler immer von
neuem an die Vergangenheit, damit sie sich dauernd den
Geist der Tradition vor Augen halten. Bernheim-Jeune
veranstaltete imMärz eine schöneCezanne-Ausstellung,
um die gleiche Zeit Le Garrec eine Übersicht iiber Geri-
cault als Lithographen; L. Dreu stellte im Mai Aqua-
relle, Sepias uud Zeichnungen von Constantin Guys zu-
sammen; eine Ausstellung chinesischer Kunst veran-
staltete das musee Galliera. Alle diese Darbietungen
wurden in der zweiten Hälfte April übertrumpft durch
die große Degas-Ausstellung bei Georges Petit und im
Mai durch die Gericault-Ausstellung bei Jean Char-
pentier.

Degas ist bekanntlich die letzten vierzig Jahre
seines Lebens als menschenscheuer Einsiedler der Welt
fern geblieben. Dadurch erklärt sich, daß im Augen-
blick seines Todes seine verwandtschaftlichen Bezieh-
ungen zu den Familien Bellelli, Duc de Morbilli, Duc de
Montijose u. A. vergessen waren. Aus diesen und ande-
ren Privatsammlungen sind 73 Gemälde, 178 Pastelle
und Zeichnungen und 92 S'kulpturen zusammengetragen
worden, die in einem reich illustrierten und schönge-
drucktem Katalog ausführlich beschrieben sind. Durch
diesen großartigen Überblick über sein Lebenswerk ist
die Gestalt des Meisters ins Riesenhafte gewachsen;
denn nur fragmentarisch war sein Schaffen bekannt.
Man ahnte, aber man übersah bisher nicht im Ganzen,
mit welchem fast pedantischen Ernst der junge Degas
sich unter die Botmäßigkeit der Toskaner, Holbein und
Clouet gestellt hatte, wie er langsam, gleichsam schritt-
weise den Weg ins freie gefunden und wieviel Großes
und Tiefes er im Einzelbildnis und Familienporträt ge-
leistet hat. Das Köstlichste, Reifste und Persönlichste
sind die Pastelle von Frauen und Tänzerinnen, die vom
Ende der sechsziger Jahre an den Maler auf der Hölie
seines Wirkens zeigen. Daß die plastischen Arbeiten
so zahlreich waren, wußte man auch bis heute njcht.
Ein Teil der Werke nmßte infolge Raummangels bei
Hebrard untergebracht werden. Demotte hiat gleich-

zeitig den Corpus der Zeichnungen von Degas in 250
Exemplaren herausgegeben.

Auch Theodore Gericault war bis jetzt eine ver-
kannte Größe. Der französische Staat hat den hundert-
sten Todestag des großen Romantikers unbemerkt vor-
übergehen lassen. Der Duc de Trevise im Verein mit
dem Maler Pierre Dubaut ergriff die Initative zu einer
Gedächtnisausstellung, leider so spät, daß alle Sammler
des Auslandes sich nicht mehr beteiligen konnten. Im-
merhin ist auch durch diese Ausstellung ein bedeutender
französischer Maler neu erstanden. Man kannte die An-
fänge des Künstlers nicht. Die Ausstellung erwies, daß
Gericault von Anbeginn an malerische Tendenzen ver-
folgte. Man lernte auch in diesem Lebensüberblick
einen großartigen Porträtisten kennen und einen Cha-
ra'kterdarsteller von originaler Kraft. Zahlreiche Ent-
würfe, Skizzen und Vorarbeiten zum Medusenfloß wa-

Coubine, Landschaft

ren zu sehen, sowie vier Bilder aus Gericaults Spät-
zeit, der Fou- und Folle-Reihe. Der kleine Katalog war
sorgfäitig gearbeitet; er beschrieb 307 Gemälde, Zeich-
nungen und Skulpturen sowie 24 Bilder von Zeitgenos-
sen, die aus dem Kreise seiner Schüler, Nachfolger und
Imitatoren ausgewählt waren. Die Veranstalter der
Ausstellung bereiten einen großen Oeuvre-Katalog vor,
der in beschränkter Auflage gedruckt alle Werke des
Meisters in Abbildungen enthalten soll. Das Werk wird
gleichzeitig mit der deutschen Gericault-Monograp'hie
erscheinen, die der Propyläenverlag von dem Verfasser
dieses Berichtes vorbereitet. Die Ausstellung wird im
Juni auch nocli in Rouen gezeigt.

Die Deutschen sind von künstlerischen Veranstal-
tungen nicht inehr ganz ausgeschlossen. Vereinzelte
sind schon in den großen Salons aufgetreten; aber ich
möchte Niemandem raten ihnen nachzustreben; denn
die Künstlerschaft vor allem des Herbstsalons ist bis
auf wenige Ausnahme noch durch und durch nationa-
listisch. Man meide diesen Kreis, zumal deutsche
Künstler von der Presse bis heute entweder totge-

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