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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Juliheft
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Landau, Rom: Die verschüttete Antike
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0351

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Aber in diesem Lande braucht man nic’ht nach den
berühmten Orten mit dem Baedeckerstern zu gehen,
will man der Antike begegnen. Hier genügt es auf
einem Maulesel durch das Land zu reiten, um mitten in
einem wilden Kakteenfeld (bei Sousse), oder einem
melancholischen Olivenhain (Sfax), oder aber an einem
itaiienisch süßenMeeresabhang (inKorbouse), zwischen
sonnenwarmen Blumen Reste römischer Bauten, rö-
mischer Tempel und Basilikas zu entdecken. Oft sieht
man in dieser Beinah-wildnis mehr noch als in dem zu-
rechtgestutzten Pompeii: Mauern, Säulen mit Kapitä-
len, ganze Räume mit Gewölben, ornamentreichen Fen-
sternischen, umwuchert von farbstrotzendem Pflanzen-
geknäuel, in dessen Maschen schillernde Eidecksen ih-
ren metallglattenRücken sonnen.Langsam sterben diese
Ruinen immer mehr aus; denn es ist nicht nur der Wind,
die Sonne und der Sand, die den Stein wetzen. Der
Araber, der Berbere oder der Beduine, der sein eigen
Haus baut, geht zu der sterbenden Pracht Roms und
holt von da den Stein, den er zu seiner Arbeit braucht.
Und so haben denn auch dieAraber schon die Hälfte der
klassischen Bauten abgetragen, und der Rest wird fol-
gen, trotz der Bemühungen der französischen Regie-
rung, die alle ihr erreichbaren Schätze zusammenbrin-
gen läßt, sammelt und schützt.

Im Bardo, unweit von Tunis, in des Bey’s Ben
Hucefne früherem Haremspalast befindet sich das M u -
seum Alaoui. Unter Leitung der französischen
„Dirction des Antiquitees et Arts“ (mo-
mentaner Direktor ist der bekannte Jranzösische Kunst-
kenner :L.P o i n s s o t) entwickeite sich diesesMuseum
zu einer der besteingerichteten Sammlungen antiker
Kunst. Die herrlichen Dinge, die das Museum birgt, wie
die riesigen römischen und byzantinischen Mosaiken
(einzelne von ihnen sind über 150 Quadratmeter groß),
die vielen glänzend erhaltenen Marmorfiguren und Tor-
sos aus dem 2. und 3. Jahrhundert, vor allem der pracht-
volle Kolossaltorso eines „Stehenden Herkules“, dami
das mannigfache bronzene Kunstgewerbe, das, zum
Teil, erst vor 15 Jahren, in einer versunkenen römischen
Barke, in der Nähe Mahdia’s auf dem Meeresgrunde ge-
funden wurde — verdanken wir ja weniger dem fran-
zöischen Direktorium, als dem Lande selbst, dessen
Schoße sie entstammen; aber dennoch kann sich kaum
ein zweites Museum einer so mustergültigen und vor
allem unmuseumsartigen Anordnung rühmen, wie das
Alaouimuseum in Bardo.

Wenn man die Marmortreppe hinaufsteigt und
plötzlich in die „Salle de Carthage“ tritt, über die eine
goldene Galerie bj^zantinischer Herkunft läuft, in diesen
riesigen Marmor- und Mosaiksaal, zwischen dessen
haushohen Säulen antike Götter, heniich-frohe Männer-
und Frauenleiber, ruhen — so glaubt man bei Zeus im
Olymp zu Feste geladen zu sein, und nicht in einem Mu-
seumssaal, in dem Zusammengefundenes aus- und auf-
gestellt werden soll. Und blickt man dann durch die
reichen Gitterarabesken eines Fensters, so schaut man
in üppigen Strauß goldperlender Orangen und traumhaft
purpurner Blumen, die umflutet vom glitzern-weißen

Strahlenmantel der mittaglichen Sonne sinnlich-heißen
Duft ausströmen.

Aber nicht die Museen sind es, von denen man re-
den soll. S b e j 11 a ist es. Sbejtia: vergessene Götter-
kammer im verbrannten Distelfeld, verschüttetes Hei-
ligtum arabischer Wildnis! Sbejtla! pathetischer Auf-
schrei untergehender Welt, heroische Geste sterbenden
Volkes, versinkender Ruf antiker Kultur! Sbejtla: letz-
ter klassischer Traum, letzter Gruß Europas, letzter
Wink wesilicher Welt, der dem Wanderer zulacht,
wenn er auf des Kamels Rücken in das tötende Gelb der
Wüste reitet! Imnitten eines felsig-sandigen und sonn-
verbrannten Feldes, das kurz hinter dem Ort Sbejtla
liegt (einer kelinen arabischen Bahnstation, auf der
Strecke von Kairouan nach den Oasen), erhebt sich
plötzlich das unwahrscheinliche Märchen antiker Tem-
pel. Drei stolze Götterhäuser, dem Göttertriumvirat
Jupiter, Juno und Minerva geweiht, schlank und hoch in
ihrer reichen Korinthischen Schönheit, schlummern hier
in der Wildnis. Reinstes Beispiel einer Architektur, ge-
schaffen aus harmonischem Weltbild, geboren aus rhyt-
mischem Empfinden. Auch nicht sclilechter erhalten,
als die meisten antiken Ruinen Italiens.

Jedoch fast noch interessanter als diese Tempel-
pracht, die schließlich nicht unbekannt blieb, ist das
Feld, das zu des Tempels Fundamenten sich erstreckt.
Ein früheres Forum. Allmählich bloßgelegt schenkt
es Schätze 'wider, die es Jahrtausende iang barg:
Mauer- und Säulenreste, ganze römische Häuser und
Villen, Marmorkapitäle, Simse, ganze Fußböden mit
kaum versehrten Mosaiken.

Im Sand und Schutt, der über den Trümmern.ruht,
habe ich römische Ziegelplatten gefunden, und Steine,
geziert von anmutigsten Ornamentschmuck. Dauernd
findet man i n der Tuniser Erde bei allen möglichen Erd-
arbeiten, wie Häuserbau, Lichtanlagen, Wasserstraßen,
Wegeregulierungen, nicht nur Steinstücke, aber auch
bedeutende Architektur- und Plastikfragmente von oft
künstlerisch unerhörtem Wert. Torsos, Köpfe, Körper-
teile, oft ganze Figuren, kunstgewerbliche Gegenstände.

Einem Freund von mir, der als Regierungsingenieur
unweit von Sousse Wasserarbeiten zu leiten hatte,
brachten eines Morgens seine arabischen Arbeiter die
fast meterhohe griechische Figur einer Marmorgöttin,
die, ohne Hände, aber sonst glänzend konserviert, heute
den staatlichen Sammlungen einverleibt ist.

Ein anderer Bekannter von mir, der unweit Tunis
in Megrine, ein Haus besitzt, hat ausnahmslos den gan-
zen Säulen-, Platten- und Mosaikschmuck seines Hauses
uud seines Gartens Funden zu verdanken, die, einige
Jahre vor dem Krieg, bei den notwendigen Erdarbeiten
zur Anlage des Gartens unter dem Erdboden gemacht
wurden.

Um die architektonischen Bruchstücke, die im gan-
zen Lande dauernd gefunden werden, bekümmert sich
die „Direction des Antiquitees“ noch kaum; denn man
weiß nic'ht, wo man sie alle unterbringen soll; auch
besitzen die Meisten weniger künstlerischen, als haupt-

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