Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI Heft:
1./2. Juliheft
DOI Artikel:
Landau, Rom: Die verschüttete Antike
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0352

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sächlich historischen Wert. Und in wieviel Orten ruhen
noch entdeckte oder unentdeckte prachtvolle antike
Denkmäler!

Wer kennt bei uns das C o 1 o s s e u m von E 1
D j e in , das dem römischen Colosseum weder an For-
menreichtum noch äußerem Umfang nachsteht? Und
die vielen römischen Aquaedukte die das Land be-
decken; vor allem das prachtvolle Aquaedukt, das
fast kilometerlang, sich zwischen Tunis und Bardo hin-
streckt?

Und Dougga ! Diese Denkmalfiille (aus dem 2.
Jahrh. n. Chr.) mit ihrem großen Theater, ihrem Kapi-
töl und Jupitertempel, dessen Sanktuarium Marc Aurel
gestiftet haben soll, ihrem Forum, das heute noch präch-
tige Marmorkolonaden zieren, um die sich byzantinische
Festungsmauern erstrecken; und mit dem mefkwürdi-
gen lybisch-punischen Mausoleuin, dessen Entstehungs-
tage noch ins dritte Jahrhundert vor Chr. hineinreichen.

Und dennoch! Als ich nach wochenlangem Aufent-
halt unter Beduinen in der Wtiste, Tag und Nacht auf
brennendem Sande, unter noch brennenderem Himmel;
oder in den Oasen, inmitten spieizeugartiger Wiirfel-
häuser der Araber; danach nach dem Norden eilend,
zum ersten Mal die römischen Ternpel in Sbejtla er-
blickte, da war es mir, als flöße die ganze nordische
Heimat, die ganze in Europa verlebte Jugend, die ganze
europäische Kultur auf der man aufwuchs, als flöße
in mich plötzlich das ganze Europa, mich mit der unafri-
kanischen Pracht seiner klassischen Architektur
grüßend. Und da war mir zweierlei klar:

Man kann. noch so weit in Tiefen Afrikas hinabstei-
gen, mian kann dieses Land und das Vol-k, das es be-
wohnt, samt seiner Sitten und seiner Kultur noch so
lieben und bewundern und darin noch so lange leben,
und man bleibt dennoch immer, immer Europäer,
weißer, westlicher Europäer.

Und außerdem: diese klassisch-erhabene Kunst,
die doch seit Jahrtausenden schon in gelblockerer Sand-
erde zweite Heimat fand, Kunst, die dauernd von dieser
S'onne gesengt wird, die seit zwei Jahrtausenden kaum
andere Leiber, als die kupferbraunen der Araber und
andere Kleider äls weißen Burnus und weiße Gundura
sieht, — dieke heroisch geborene Architektur ist in der
verträumten Melanchofie dieses unpathetischen Landes
genau so fremd und sehnsuchtsvoll, wie der weiße
Wanderer, der auf des Kamels Rücken das ganze Land
zu ergründen versucht. Beide: sowohl der Mensch als
auch sein Geschöpf, die Kunst, sind liier fremd und wer-
den sich nie mit dern Volke oder der Landschaft ver-
mählen.

Ich kann Arabiens Sprache erlernen, Muselmane
werden, des Beduinen ranzigfette Küche essen, seine
Feste feiern, seinen Sitten folgen, seine Kleider tragen
und sein Gewerbe betreiben, ja ich kann unter der nie
endenden Sonne auch das Braun seines Antlitzes an-
nehmen; — und dennoch werde ich immer, immer
weiß, weiß, ganz weiß bleiben. Und auch der Römer
Tempel, halb itn Wüstensand begraben, der seit Ewig-
keiten sein Brautkleid über sie gestreut hat, diese Tem-
pel, die aus gelbem Stein Afrikas geformt wurden —
auch sie bleiben weiß, weiß und immer fremd in diesem
Lande.

Aber: ist das der Grund, dessenwegen wir s'ie nicht
kennen und der Vergessenheit Mantel über sie breiten?

Dann hätte wohl auch der Araber recht, mit dem
icli mich darüber unterhielt und der sagte: „Wenn eine
Mutter ihre Kinder aus der Heimat weit in die Fremde
schickt — so darf sie nachher nicht jammern, wenn sie
den Weg zu ihnen nicht mehr zu finden vermag“. „Und
schließlich“, setzte er nach einer Weile hinzu — „ist
es schmerzhaft, Biunien eigenen Gartens in fremdem
Boden als Krüppel sich sehnen zu sehen“.

314
 
Annotationen