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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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1./2. Septemberheft
DOI Artikel:
Hartog, A. H. de: Die neue Sachlichkeit in Holland: Randbemerkungen zu Amsterdamer Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0028

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Daß das Stilleben im engeren Sinne von diesen
„Sachliohen“ besonders gepflegt wird, sagten wir schon.
Wouter, Schram, Ykelenstam und R a o u 1
H i j nc k e s malen mit großer Akuratesse aus zweck-
mäßigem, blankem Geschirr übersichtlich zusammen-
gestellte Kompositionen, in gleichmäßigem, hellem Licht
und fast ohne Schatten, ohne Kleinlichkeit und ohne
Trockenheit.

Mit der Landschaft weiß die neue Sachiichkeit
merkwürdigerweise nicht viel anzufangen, denn diese
Maler haben die Fühlung mit der Natur verloren, als
echte Großstadtmenschen; und nur die von den
Menschen in die Natur hineingesetzten Häuserkomplexe

Nola Hatterman, Der Neger

der Großstadt interessiert sie noch, denn in der Dar-
stellung ihres mathematisch-strengen Volumens kann
sich wieder ihr intellektualistisches Gefallen an zweck-
mäßig-einfachen Formen aussprechen.

Gehen diese Maler der Landschaft aus dem Weg,
so wagen sie sich doch an das Höchste in der Kunst, an
die menschliche Figur, und hier sogar mit schönem Ge-
iingen, und es ist aufs höchste charakteristisch, daß ein
auf der diesjährigen Frühlingsausstellung von Sint-
Lucas in Asterdam gezeigter weiblicher Akt von dem
schon als Stillebenmaler gerühmten W o u t e r
S c h r a m (Abb. 1) bei einer Abstimmung des
Pubiikums die meisten Stimmen auf sich vereinigte,
während die Jury mit ihrem Preise ein sehr korrektes
Herrenbiidnis aus dem Jahre — 1 9 08 auszeichnete.

Die vox populi erwies sich in diesem Falle aus-
nahmsweise billiger und melir up-to-date als die v o x
d e r J u r y. An diesem gut gemalten Akt zeigt sicli
der neue Formwille auch in der Klarheit und Ueber-
sichtlichkeit der Komposition. Mit großem Geschick hat
sich hier der Maler wie gelegentlich V e r m e e r des
Spiegels bedient, der die Figur, etwas verkürzt — der
Kopf fehlt — wiederholt und den Raum auf einfache
Weise gliedert. In der Wahl des Modells, in dem das
Typische das Individuelle iiberwiegt, kommt aucli sehr
deutlich das Streben nach einer „idealen“ Form znm
Ausdruck, das als leise Unterströmung in der Neuen
Sachlichkeit anwesend ist.

Wie weit sind wir in einem solchen Werke wieder
von dem Expressionismus entfernt, der auch in Holland
zahlreiche bedeutende Werke hervorgebracht hat. Ver-
gleichen wir nur damit die Figurenbilder und Porträts
von C h a r 1 i e T o o r o p , P. W i e g m a n , W i m
S c h u h m a c h e r, wo auf den Ausdruck, das
Seelische, das Irrationelle alLer Nachdruck gelegt wurde
und die klare Form zu Gunsten einer dunklen, schweren
Farbenskala vernachlässigt wurde. So sind wir heute
mal wieder bei einem anderen Extrem angelangt;
Inneres und Gefühl gilt nichts mehr, nur die äußerliche
Exaktheit, und der Romantik ist man ebenso wieder
überdrüssig — wie umgekehrt in der Mode der — un-
romantischen kurzen Röckchen.

Wir tun aber dem Akt von S c h r a m vielleicht
Unrecht, wenn wir Seelisches von ihm verlangen — die
nackten Damen des Impressionisten Jan Sluyters
haben allerdings Seelisches — wo kann rnan Ausdruck
erwarten, wo der Kopf nur von hinten zu sehen ist!
Daß aber auch die Neue Sachlichkeit Menschliches aus-
zudrücken versteht, beweist neben Porträts des oben
unter den Stillebenmalern angeführten R. H y n c k e s
der hier abgebildete, vor einem Cafe sitzende Neger
von Fräulein Nola Hatterman (Abb. 2), der wirk-
lich als eine ganz individuelle, lebensvolle Erscheinung
gefaßt ist. Die stillebenartige Einstellung der neuen
Sachlichkeit verrät sich in diesem Bilde vor allem in der
genauen Wiedergabe der Nebendinge, der rot-weiß ge-
streiften Tischdecke, der Bieruntersätze mit der Auf-
schrift und der Zeitung mit den gut lesbaren Anzeigen,
denen vielleicht ein zu großes Gewicht verliehen wird
(wie den Insekten und Wassertropfen bei den alten
Stillebenmalern). Und doch wirken diese Bilder von
Schram und Hatterman trotz aller Exaktheit nicht im
geringsten kleinlich, sondern sie wahren durch das
große Format, die großen Formen und die überdachte
Komposition eine gewisse Monumentalität, wie ein
schon mal hier genannter Holländer, wie V e r m e e r ,
aber dann wie ein Vermeer, in dem sein Lebenselement,
die Farbe sich zu einer blassen Abstraktion ver-
flüchtet hat.

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□lü

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