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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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Maiheft
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Biach, Rudolf: Die Magie der Plastik: Vortrag in der Berliner Secession
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Die Magie der Plastik

Vortrag in der Berliner Secession

Yon

Rudolf Biach-Wien

Die Beziehung zwisclien dem Plastiker und dein
Betracliter seines Knnstwerkes ist älmlich dem Yer-
hältnis, das zwischen dem Magier nnd dem Mediiim
besteht. Meine Arbeit ist es, zu beobachten, was
die Menschen innerliclist bewegt. Und in diesem
Bemiihen bin ich zu dem Ergebnis gelangt, daß
wir zu Beginn einer Epoclie stelien, in der dem
bildenden Künstler und besonders dem Plastiker eine
entscheidende Eiihrerrolle znkommen wird. Sie miissen
allerdings wissen, dafi ich persönlich auf dem Stand-
punkt stehe, daß die Magie in der Menschlieits-
geschichte eine entscheidende Funktion ist. Der
Plastiker ist seit dem Uranfang der Menschheit mit
der Magie Yerknüpft, denn der Plastiker ist cs, der den
Lalisman formt. Der Talisman aber ist ein Abbild der
Gottheit, durcli das die Kräfte der Gottheit herunter-
gezogen werden. Es gibt allerdings aucli geweilrte
Talismane. Und diese Gegenüberstellung von geweih-
ten und künstlerischen Talismanen gibt Ihnen den
Gegensatz der beiden Magiertypen, nämlich die
Priestermagier, denen die Kräfte in hierarchischer
Ordnung übertragen worden sind, und jene anderen
Magier, zu denen die Kiinstler gehören, die sich aus
eigener Machtvollkommenheit mit dem Überirdischen
vereinigen. Der Priestennagier ist naturgemäß nur
möglich im Rahmen einer Religion. Religion bedingt
Autorität. Der moderne Mensch aber lehnt jcde reli-
giöse Autorität ab. Der moderne Mensch will nur
glauben, was er selber Ichrt. In unseren Tagen ist der
Priestermagier nicht mehr möglich, weil der moderne
Mensch die Religion ablehnt; darum braucht das
moderne Leben den Künstlermagier. Aber das ist eine
kulturhistorische Bedingtheit, von der unabhängig
feststellbar ist, daß jeder Magier mit einer Kraft ar-
beitet, die die Wissenschaft in dieser Gestalt nicht an-
erkennt. Diese Kraft ist nämlich die Ähnlichkeit der
äußeren Eorm. Ein historisches Detail wird Ihnen
erklären, wie das gemeint ist.

Kaiser Augustus hatte die Gewolmheit, in der Neu-
jahrsnacht in Fetzen gekleidet in den Straßen Roms
zu betteln. Warum? In Bettlergestalt kommen die
Götter auf die Eide nieder. ludem der Kaiser die Ge-
stalt der Götter nachalunt, sucht er die göttliche Kraf't
herabzuziehen. Diese Vorstellung, daß man durch die
Ähnlichkeit der Erscheinung eine Yerbindung her-
stellt, ist bei primitiven Yölkern allgemein Yei ln’eitet.
Catlin erzählt, daß er am oberen Amazonas bei den
Conibos-lndianern eines Tages gezeichnet habe. Da
sei der Zauberer des Stammes gekommen und hätte
ihni seine Modelle aufgehetzt; indem er nämlich zu
den Leuten sagte: „. . . wenn ihr den Weißen das
machen läß.t, so werdet ihr in der Nacht die Augen

nicht mehr schließen können. Er will niclit, daß ilvr
schlaft. Das, was er macht, tut er nur, um Macht iiber
eure Seelen zu erlangen!!" Die Yorstellung dieser
Menschen geht dahin, daß der Mensch, der ein Bild
ansieht, sich mit dem in Verbindung setzt, welchem
das Bild ähnlich ist. Wem ein Bild aber ähnlich ist,
kann zu cinem sehr schwierigen Problem werden. Ein
englischer Zeichner kam einmal mit einer großen
Karawane zu einem Stamm in Zentralafrika und
zeichnete den l läuptling. ln Erwartung, einen großen
Triumph zu erleben, zeigte er die Zeiehnung des
Lläuptlings den Angehörigen dieses Stammes. Die
\\irkung’ war eine andere, als er erwartete. Die Neger
erkannten ihren I läuptling überhaupt nicht. Sie wuß-
ten nichts mit dem Blatte anzufangen. Und zwar so
wenig, daß der Kiinstler nicht einmal in seiner Eitel-
keit verletzt war, sondern einem Schwarzen den Blei-
stift gab, damit auch er den Häuptling zeichne. Was
nun geschah, war seli i- merkwürdig. Der Schwarze
zeichnete nämlich auf das Papier das Motiv des Nar-
benschmucks, das der Iläuptling auf der Stirn und
den Wangen trug. Narbenschmuck ist nämlich bei
primitiven Völkern das bleibende Zeichen von Blut-
opfern, die ein Mann bei seinen Einweihungen dar-
gebracht hat. Mit Sorgfalt werden in deren Vollzug
die Wunden eingeschuitten. Denn durch die so ent-
stehenden Närben soll der junge Eingeweihte in Zu-
kunft die ilirn zuGebote stehendenKräfte ausstrahlen.
Wenn also der Schwarze seinen Häuptling lediglich
mit dem Narbenschmuck abzeichnet, so heißt das, daß
ihm das Gesicht, die äußere Erscheinuug, die wir
selien, iiberhaupt nicht zu Bewußtsein kam. Der
Scliwarze sieht in dem Menschen nur die Art und
Weise, in der er sich mit dem Überirdischen in Ver-
bindung setzi. Gauguin erzählt von dcr Königin vou
Haiti, wie deren ganzer Körperbau, und insbesonders
ihre gerade horizontale Schulterlinie mit dem steil ge-
hobenen Nacken, ihn an das heilige Dreieck erinnert
habe, das bei allen Yölkern dcr Erde das Symbol der
höchsten Herrschaft ist. Körperkonturen werden für
Gauguin zum Ausdruck der Berufung, die der Mensch
im irdischen Leben zu erfüllen hat. Gauguin und der
Schwarze suchen in geometrischen Formen an einem
Menschen seine iiberirdische Berufung im irdischen
Leben zu sehen. Daraus gelit liervor, daß Gauguin
und der primitive Neger eine verwandte Art zu
schauen liaben. Und das ist im Grunde weniger merk-
wiirdig, als es aussieht. Denn alle Kulturen bringen
in ihrer Kunst zum Ausdruck, welche Gewalten sie
schicksalbestimmend ansehen. Darum wälilt jede eiu-
zelne Kultur eine Kunst, die ilirem Wollen am besten
entspricht, und so erklärt sich die Merkwürdigkeit,
 
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